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»historisch gerechtfertigt« sei, da das Ganze so roch, wie es roch. Daß die Nazis Feinde seien –

Feinde für mich und für alles, was mir teuer war – darüber täuschte ich mich keinen Augenblick.

Worüber ich mich freilich vollkommen täuschte, war, wie furchtbare Feinde sie sein würden. Ich neigte damals noch dazu, sie nicht ganz ernstzunehmen – eine verbreitete Haltung unter ihren unerfahrenen Gegnern, die ihnen viel geholfen hat und heute noch hilft.

Es gibt wenig so Komisches, wie die unbeteiligt–überlegene Ruhe, mit der wir, ich und meinesgleichen, den Anfängen der Nazi–Revolution in Deutschland wie von einer Theaterloge aus zusahen – einem Vorgang, der immerhin exakt darauf abzielte, uns aus der Welt zu schaffen. Noch komischer ist es vielleicht nur, daß noch Jahre später, mit unserm Beispiel vor Augen, ganz Europa sich dieselbe überlegen–amüsierte, tatenlose Zuschauerhaltung leistete, während die Nazis schon längst dabei waren, es an allen vier Ecken anzuzünden.

17

Im Anfang sah diese Revolution auch tatsächlich so aus, als würde sie ein »historisches Ereignis«

werden wie gehabt: eine Angelegenheit der Zeitungen und allenfalls der öffentlichen Atmosphäre.

Die Nazis feiern als den Tag ihrer Revolution den 30. Januar. Mit Unrecht. Der 30. Januar 1933

brachte keine Revolution, sondern einen Regierungswechsel. Hitler wurde Reichskanzler, übrigens beileibe nicht als Führer einer Nazi–Regierung (nur zwei Nazis saßen außer ihm im Kabinett), und schwur Treue der Weimarer Reichsverfassung. Die Sieger des Tages waren, in der allgemeinen Auffassung, keineswegs die Nazis, sondern die Leute der bürgerlichen Rechten, die die Nazis

»eingefangen« hatten und ihrerseits alle Schlüsselpositionen in der Regierung besetzten.

Verfassungsrechtlich war der Vorgang weit normaler und unrevolutionärer als das meiste, was sich im Jahr zuvor abgespielt hatte. Und äußerlich verlief der Tag ebenfalls ohne alle revolutionären Merkmale – wenn man nicht einen Fackelzug der Nazis durch die Wilhelmstraße und eine belanglose nächtliche Schießerei in einem Vorort als solche gelten lassen will.

Für uns andere bestand das Erlebnis des 30. Januar tatsächlich nur in Zeitungslektüre – und den Empfindungen, die sie auslöste.

Morgens hieß die Überschrift: Hitler zum Reichspräsidenten gerufen – und man empfand einen gewissen hilflosen nervösen Ärger: Hitler war im August und war im November zum

Reichspräsidenten gerufen worden und hatte den Vizekanzler– und Kanzlerposten angeboten bekommen; jedesmal hatte er unmögliche Bedingungen gestellt, und jedesmal war danach feierlich erklärt worden: Nie wieder... Das »Nie wieder« hielt jeweils immer gerade ein Vierteljahr vor. Es herrschte damals in Deutschland bereits dieselbe krankhafte Sucht unter Hitlers Gegenspielern, ihm alles, was er wünschte, unverdrossen immer wieder und immer billiger anzubieten und geradezu aufzudrängen, wie heute in der Welt. Immer wieder wurde diesem »appeasement« feierlich abgeschworen, und immer wieder, wenn es darauf ankam, feierte es fröhliche Auferstehung – genau wie heute. Damals wie heute war die einzige Hoffnung, die einem blieb, Hitlers eigene Verblendung.

Mußte sie nicht schließlich selbst die Geduld seiner Gegner erschöpfen? Damals wie heute zeigte sich, daß diese Geduld in der Tat durch nichts zu erschöpfen war...

Mittags hieß die Überschrift: Hitler verlangt wieder zuviel. Man nickte halbberuhigt. Sehr glaubhaft.

Es hätte seiner Natur durchaus nicht entsprochen, weniger als zuviel zu verlangen. So mochte der Kelch noch einmal vorübergehen. Hitler – die letzte Rettung vor Hitler.

Gegen 5 Uhr dann waren die Abendzeitungen da: Kabinett der nationalen Konzentration gebildet –

Hitler Reichskanzler.

Ich weiß nicht genau, wie die allgemeine erste Reaktion war. Die meine war etwa eine Minute lang richtig: Eisiger Schreck. Gewiß, es war »drin« gewesen, schon lange. Man hatte damit rechnen müssen. Dennoch, es war so phantastisch. So unglaubhaft, wenn man es jetzt wirklich schwarz auf weiß vor sich sah. Hitler – Reichskanzler... Einen Augenblick spürte ich fast körperlich den Blut– und Schmutzgeruch um diesen Mann Hitler, und ich empfand etwas wie die zugleich bedrohliche und ekelerregende Annäherung eines mörderischen Tiers – eine schmutzige scharfkrallige Pfote an meinem Gesicht.

Dann schüttelte ich das ab, versuchte zu lächeln, versuchte nachzudenken, und fand in der Tat viel Grund zur Beruhigung. Am Abend diskutierte ich die Aussichten der neuen Regierung mit meinem Vater, und wir waren uns einig darüber, daß sie zwar eine Chance hatte, eine ganz hübsche Menge Unheil anzurichten, aber kaum eine Chance, lange zu regieren. Eine schwarz–reaktionäre Regierung im ganzen, mit Hitler als Mundstück. Bis auf diesen Zusatz unterschied sie sich wenig von den beiden letzten, die Brüning gefolgt waren. Eine Reichstagsmehrheit würde sie auch mit den Nazis nicht haben. Gut, den Reichstag konnte man immer wieder auflösen. Aber auch in der Bevölkerung hatte die Regierung eine klare Mehrheit gegen sich; vor allem die kompakte Arbeiterschaft, die nach der endgültigen Blamage der maßvollen Sozialdemokraten wahrscheinlich kommunistisch werden würde. Natürlich konnte man die Kommunisten »verbieten« – und damit umso gefährlicher machen.

Die Regierung würde inzwischen soziale und kulturelle Reaktionen treiben, wie bisher, wahrscheinlich schärfer als bisher, und außerdem, Hitler zuliebe, Antisemitismus. Werben würde sie damit keinen ihrer Gegner. Nach Außen wahrscheinlich eine Politik des Auftrumpfens; vielleicht ein Aufrüstungsversuch. Das mußte, zu den 60 Prozent im Lande, die gegen die Regierung standen, automatisch das ganze Ausland gegen sie versammeln. Außerdem, was waren das für Leute, die seit drei Jahren plötzlich Nazi wählten? Urteilslose größtenteils, Propagandaopfer, fluktuierende Masse; nach der ersten Enttäuschung würden sie auseinanderlaufen. Nein, alles in allem genommen, war diese Regierung kein Grund zur Beunruhigung. Fraglich nur, was eigentlich nach ihr kommen sollte; und zu befürchten möglicherweise, daß sie es bis zum Bürgerkrieg treiben würde. Den Kommunisten war es zuzutrauen, daß sie eines Tages losschlagen würden, ehe sie sich verbieten ließen.

Dies war, wie sich am nächsten Tag erwies, auch so ungefähr die Prognose der intelligenten Presse.

Seltsam, wie überzeugend sie sich selbst heute noch liest, wo man doch weiß, wie alles gekommen ist. Wie konnte es nur so anders kommen? Etwa vielleicht gerade deshalb, weil wir alle so sicher waren, daß es nicht anders kommen könnte – und uns gar so fest darauf verließen – und so gar nichts ins Auge faßten, um es schlimmstenfalls zu verhindern, daß es anders käme – ?

Noch den ganzen Februar hindurch blieb alles, was geschah, auf Zeitungsnachrichten beschränkt –

d.h. es spielte in einer Sphäre, die für 99 Prozent aller Menschen jede Realität in dem Augenblick verlieren würde, wo es einmal keine Zeitungen gäbe. In dieser Sphäre geschah freilich genug: Der Reichstag wurde aufgelöst, dann, unter flagranter Verfassungsverletzung durch Hindenburg, der preußische Landtag. Ein wilder Beamtenschub setzte in der höheren Verwaltung ein und ein wilder Terror im Wahlkampf. Die Nazis genierten sich nicht mehr, das mußte man zugeben: Sie brachen jetzt regelmäßig mit Sprengkolonnen in die Wahlversammlungen anderer Parteien ein, sie erschossen fast täglich einen bis zwei politische Gegner, in einem Berliner Vorort brannten sie auch eines Tages das ganze Haus einer sozialdemokratischen Familie nieder. Der neue preußische Innenminister (ein Nazi: ein gewisser Hauptmann Göring), promulgierte einen tollen Erlaß, in dem er die Polizei anwies, bei Zusammenstößen ohne Prüfung der Schuldfrage die Partei der Nazis zu nehmen und auf die andern ohne Warnung zu schießen – und wenig später wurde sogar eine