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Gute Namen für ein Liebespaar aus einem Vicky–Baum–Roman. Man konnte sich keine besseren wünschen. Indem wir sie uns gaben, schickten wir uns an, ein braves kleines à–la–mode–

Liebespaar zu werden. Einige andere Paare rechts und links waren mit sich beschäftigt. Sie störten uns nicht. Ein alter Schauspieler aber, einsam und gebietend im Raume aufgepflanzt, mischte sich wehmütig–segnend ein, nannte uns »Kinderehen« und bestellte Cocktails für alle. Es war fast eine Familienszene. Allmählich bekam man schon wieder Lust, ein wenig zu tanzen. Ich hatte auch Lisl versprochen, sie noch einmal irgendwo zu besuchen. Es kam aber anders.

Ich weiß nicht, wie es sich zuerst zu uns herumsprach, die Polizei sei im Haus. Es kamen ja immer einmal Leute hindurch, die sich weinselig bemerkbar zu machen suchten und mehr oder weniger gelungene Scherze in die Gegend riefen, jeder nach seinem Vermögen. Einer mochte geschrien haben: »Aufstehen, Polizei ist im Haus!« Ich hielt es für keinen besonders guten Witz. Dann verdichtete sich das Gerücht aber. Ein paar Mädchen wurden nervös, sprangen auf, verschwanden, gefolgt von ihren Rittern. Ein junger Mensch, schwarz angezogen von Kopf bis Fuß und ebenso schwarz von Haar und Auge, stand plötzlich wie ein Volksredner mitten im Raum und erklärte mit grimmiger, rauher Stimme, wir täten gut, alle zusammen zu machen, daß wir fortkämen, wenn wir nicht die Nacht am Alexanderplatz verbringen wollten. (Am Alexanderplatz war das Polizeipräsidium, und auch das Polizeigefängnis.) Er gebärdete sich halb und halb, als sei er selber die Polizei. Bei näherer Betrachtung sah ich, daß er lange Zeit hier selbst gesessen und friedlich mit einem Mädchen herumgeküßt hatte. Das Mädchen war verschwunden. Er übrigens trug, wie ich jetzt sah, ein Liktorenbündel an der Kappe, und sein schwarzes Kostüm, mein Gott, das war ja eine Faszistenuniform! Seltsames Kostüm! Seltsames Benehmen! Der alte Schauspieler erhob sich langsam von seinem Sitz und ging schweigend und schwer schwankend davon. Es war alles plötzlich ein wenig wie in einem Traum.

Irgendwo in einem Saal draußen ging das Licht aus, von dem wir hier mitbeleuchtet wurden, zugleich ertönte vielstimmiges Gekreisch von dort, und wir alle sahen mit einem Schlag fahl aus – ein Beleuchtungseffekt wie auf der Bühne. »Stimmt das tatsächlich mit der Polizei? fragte ich den Schwarzen. »Es stimmt, mein Sohn!« rief er mit Stentorstimme. »Und warum? Was ist los?« »Was los ist?« schrie der Schwarze. »Das kannst du dir vielleicht selber sagen. Es gibt eben Leute, die so etwas nicht gerne sehen«, und er schlug irgendein Mädchen, das in der Nähe stand, rauh und klatschend auf den nackten Schenkel. Es war mir nicht ganz klar, ob er damit die Partei der Polizei zu nehmen beabsichtigte, oder ob es eine verwahrloste Trotzgeste sein sollte. Ich zuckte die Achseln. »Wir wollen mal selber sehen, wie, Charlie?« sagte ich. Sie nickte und folgte mir treu und ergeben.

Tatsächlich, überall war aufgestörte Bewegung, Gewühl, Unbehagen und leichte Panik. Irgendetwas war los. Vielleicht war etwas Unangenehmes passiert, ein Unglücksfall, ein Streit? Sollten gar hier vielleicht ein paar Leute aufeinander geschossen haben, ein Nazi und ein Kommunist? Unmöglich schien es nicht. Wir wanden uns durch die Zimmer und Säle. Da! Da war wirklich Polizei. Tschakos und blaue Uniformen. Dastanden sie zwischen den durcheinanderstrudelnden, aufgestörten Kostümen wie Felsen in der Brandung. Nun würde man ja alles erfahren. Ich wandte mich an einen, ein bißchen ungläubig, lächelnd und vertrauensvoll, wie man sich eben an einen Schutzmann um Auskunft wendet: »Müssen wir wirklich nach Hause gehen?«

– »Sie dürfen nach Hause gehen«, erwiderte er – und ich prallte fast zurück, so überaus drohend hatte er es gesagt, langsam, eisig und tückisch. Ich sah ihn an – und prallte zum zweiten Mal zurück: denn was für ein Gesicht war das! Das war nicht das übliche, bekannte, treue und biedere Schupogesicht. Es war ein Gesicht, das nur aus Zähnen zu bestehen schien. Der Mann hatte mir tatsächlich die Zähne entgegengefletscht, und zwar zeigte er unwahrscheinlicherweise beide Gebißreihen, ein seltener Anblick bei einem Menschen; seine Zähnchen standen klein, spitzig und böse da, wie bei einem Raubfisch. Und fischig, haifischig war das ganze blonde und blasse Gesicht unter dem Tschako: mit toten, wäßrigen, farblosen Augen, farblosen Haaren, farbloser Haut, farblosen Lippen und einer hechtartig vorspringenden Nase über den Zähnen. Sehr »nordisch«, das mußte man zugeben, aber freilich durchaus kein Menschengesicht mehr, sondern etwa das Gesicht eines Krokodils. Ich schauderte. Ich hatte das SS–Gesicht gesehen.

19

Zwei Tage später brannte der Reichstag.

Es gibt wenig zeitgeschichtliche Ereignisse, die ich so vollständig »versäumt« habe wie den Reichstagsbrand. Während er stattfand, war ich in einem Vorort bei einem Freund und Mitreferendar zu Besuch und redete Politik. Dieser Mann ist heute ein recht hoher Militärfunktionär, »streng unpolitisch« von Gesinnung, und nur berufseifrig und pflichtstreng mit der technischen Seite der Eroberung fremder Länder beschäftigt. Damals war er ein Referendar wie ich, ein guter Kamerad, etwas trocken von Wesensanlage und unter dieser Trockenheit leidend, allzugut behütet von einem Elternpaar, dessen einziger Sohn und einzige große Hoffnung er war, und außerstande, dem liebevollen Gefängnis dieses Elternhauses zu entrinnen. Der große Kummer seines Lebens war, daß es ihm niemals gelingen wollte, eine rechte Liebesgeschichte zu erleben: Er war kein Nazi, gewiß nicht. Die bevorstehende Reichstagswahl setzte ihn in Verlegenheit. Er war »national«, aber »für Rechtsstaat«. Er konnte aus diesem Konflikt nicht herausfinden. Bisher hatte er »Deutsche Volkspartei« gewählt, aber er fühlte, daß das jetzt keinen rechten Zweck mehr hatte. Vielleicht würde er gar nicht wählen.

Wir Besucher rangen um seine arme Seele. »Du mußt doch einfach merken,« sagte einer, »daß jetzt eine klare nationale Politik gemacht wird. Wie kann man da noch schwanken! Jetzt heißts Entweder

– oder. Und wenn schon ein paar Paragraphen darüber zum Teufel gehen!« Ein anderer gab dagegen zu bedenken, daß die Sozialdemokraten immerhin das Verdienst gehabt hätten, »die Arbeiterschaft in den Staat hineinzuintegrieren.« Die jetzige Regierung gefährde dieses mühevolle Werk wieder. Ich erregte leichte Mißbilligung durch die »frivole« Bemerkung, gegen die Nazis zu wählen, schiene mir eine Angelegenheit des guten Geschmacks zu sein – ganz gleichgültig, wie man im übrigen politisch stehe. »Schön, dann wähle wenigstens schwarz–weiß–rot«, bemerkte der Champion der Nazis gutmütig.

Während wir so dummes Zeug redeten und Moselwein tranken, brannte also der Reichstag, fand sich der unglückselige van der Lubbe mit jedem wünschenswerten Ausweispapier versehen im brennenden Hause vor, sprach Hitler flammenumloht wie ein Wagnerscher Wotan vor dem

Reichstagsportal die großen Worte: »Wenn das die Kommunisten getan haben, woran ich nicht zweifle, dann gnade ihnen Gott!« Wir hatten keine Ahnung davon. Das Radio war nicht angestellt.

Gegen Mitternacht fuhren wir schläfrig in späten Autobussen nach Hause, während schon überall die Überfallkommandos unterwegs waren und ihre Opfer aus den Betten holten, den ersten großen Schub für die ersten Konzentrationslager: linke Abgeordnete, linke Literaten, unbeliebte Ärzte, Beamte, Anwälte.

Erst am nächsten Morgen las ich in der Zeitung, der Reichstag brenne. Erst mittags las ich von den Verhaftungen. Ungefähr gleichzeitig wurde jene Verordnung Hindenburgs angeschlagen, die für die Privatleute Meinungsfreiheit, Brief– und Telefongeheimnis aufhob und der Polizei dafür unbeschränkte Haussuchungs–, Beschlagnahme– und Verhaftungsrechte gab. Am Nachmittag gingen Leute mit Leitern herum, biedere Handwerker, und begannen an allen Anschlagsäulen und Zäunen Wahlplakate säuberlich mit weißem Papier zu überkleben: Den Linksparteien war jede weitere Wahlpropaganda verboten worden. Die Zeitungen, soweit sie noch erschienen, berichteten fast ausnahmslos mit einem gewissen weichen, patriotisch–beseligten Jubelton über alles. Wir waren gerettet! Heil uns, Deutschland war frei! Am Sonnabend würden alle Deutschen mit dankgeschwelltem Herzen das Fest der nationalen Erhebung zusammen begehen! Fackeln heraus, Fahnen heraus!