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Ich würde gern wissen, wie es in einem Menschen aussieht, der die Gastfreundschaft jemandes annimmt, den er grundsätzlich mit allen seinesgleichen umzubringen wünscht.« »Aber wer spricht von Umbringen!« rief Holz, und fast alle protestierten nun, außer Brock, der sagte, er für seine Person sehe hier keinen unüberbrückbaren Gegensatz. »Sie wissen vielleicht, daß Offiziere im Kriege sehr oft in Häusern zu Gast sind, die sie am nächsten Morgen in die Luft zu sprengen haben.« Holz aber bewies mir besonnen, daß man nicht von »Umbringen« reden könne, wenn die jüdischen Geschäftsleute ordentlich und diszipliniert boykottiert würden. »Wieso ist das kein Umbringen?« rief ich empört. »Wenn man jemanden systematisch ruiniert, ihm jede Verdienstmöglichkeit nimmt, muß er schließlich am Ende verhungern, nicht wahr? Jemanden absichtlich verhungern lassen, nenne ich Umbringen, Sie nicht?« »Ruhig, ruhig«, sagte Holz. »Niemand verhungert in Deutschland. Wenn die jüdischen Geschäftsinhaber wirklich ruiniert werden sollten, werden sie Wohlfahrtsunterstützung beziehen.« Das Schrecklichste war, daß er dies ganz ernsthaft sagte, ohne jeden beabsichtigten Hohn. Wir schieden in Erbitterung.

Im Laufe des April, ganz kurz ehe sie »geschlossen« wurde, traten sowohl Brock wie Holz der Partei bei. Es wäre falsch, sie als reine Konjunkturritter zu klassifizieren. Beide hatten ohne Zweifel schon immer in ihren Ansichten Berührungspunkte mit den Nazis gehabt. Immerhin hatte es bisher nicht dazu gereicht, daß sie Parteigenossen wurden. Die Werbekraft des Sieges mußte erst dazu kommen.

Es wurde von nun an schwer, die »Arbeitsgemeinschaft« aufrechtzuerhalten. Von Hagen und Hirsch hatten viel zu tun. Immerhin hielt sich die Gruppe noch etwa fünf, sechs Wochen lang. Dann, Ende Mai, gab es eine Sitzung, in der sie aufflog.

Es war unmittelbar nach dem Cöpenicker Massenmord, und Brock und Holz kamen zu unserer Zusammenkunft wie Mörder von ihrer Tat. Nicht, daß sie selbst an der Schlächterei teilgenommen hätten. Aber in ihren neuen Kreisen war sie offenbar das Tagesgespräch, man hatte sich deutlich in eine gewisse kollektive Täterschaft hineingeredet, und die beiden brachten in unsere zivilisiert–

bürgerliche Zigaretten– und Kaffeetassen–Atmosphäre einen sonderbaren roten Nebel von Blut und Todesschweiß mit.

Sie fingen gleich von der Sache zu reden an, und aus ihren plastischen Schilderungen erfuhren wir erst das Ganze. Die Zeitungen hatten nur Andeutungen gebracht.

»Recht toll gestern in Cöpenick, wie?« meinte Brock, und auf diesen Ton etwa war sein Bericht abgestimmt. Er gab Einzelheiten, schilderte, wie man die Frauen und Kinder jeweils erst ins Nebenzimmer geschickt hätte, um dann die Männer entweder mit dem aufgesetzten Revolver zu erschießen oder mit einem Knüppel über den Kopf zu schlagen oder aber auch mit den SA–Dolchen abzutun. Die meisten hätten sich erstaunlicherweise überhaupt nicht gewehrt und in ihren Nachthemden eine traurige Vorstellung abgegeben. Die Leichen hätte man in den Fluß geworfen, und noch heute würden ständig neue in der Gegend dort ans Ufer geschwemmt. Während seines ganzen Berichts stand das gewisse verwegene Lächeln auf seinem Gesicht, das in der letzten Zeit bei ihm ziemlich starr und stereotyp geworden war. Er verteidigte nicht, fand aber auch nicht allzuviel dabei. In der Hauptsache wertete er das Ereignis als eine Sensation.

Wir schüttelten die Köpfe und fanden alles sehr schauerlich, was ihn zu befriedigen schien.

»Und Sie fühlen sich nicht weiter in Ihrer neuen Parteizugehörigkeit behindert durch diese Dinge«, bemerkte ich schließlich.

Sofort nahm er Abwehrstellung ein und bekam einen unerschrockenen Mussoliniblick. »Nein, keineswegs«, erklärte er. »Haben Sie etwa Mitleid mit den Leuten? Das ist ganz unangebracht. Der Mann, der zuerst geschossen hat, vorgestern, hat selbstverständlich gewußt, daß es ihm das Leben kosten wird. Es wäre geradezu stilwidrig gewesen, ihn nicht aufzuhängen. Alle Achtung übrigens vor ihm. Was die andern betrifft – pfui Teufel. Warum haben sie sich nicht gewehrt? Es waren alles alte Sozialdemokraten und »Eiserne–Front«–Leute. Was haben sie sich ihre Nachthemden anzuziehen und sich ins Bett zu legen? Sie hätten sich wehren und anständig sterben können. Aber es ist eine schlappe Bande. Ich habe kein Mitleid mit ihnen.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich langsam, »ob ich viel Mitleid mit ihnen habe, aber was ich habe, ist ein schwer zu beschreibender Ekel vor den Leuten, die da schwerbewaffnet herumgehen und Wehrlose abschlachten.«

»Sie hätten sich wehren solleng, sagte Brock störrisch und verwegen, »dann wären sie keine Wehrlosen gewesen. Das ist ja gerade der ekelhafte marxistische Trick, sich wehrlos zu stellen, wenns ernst wird.«

Hier mischte sich Holz ein. »Ich halte das ganze für eine bedauerliche revolutionäre Ausschreitung«, sagte er, »und unter uns gesagt, ich glaube, daß der betreffende Standartenführer eins aufs Dach kriegen wird. Aber ich glaube allerdings auch, man sollte doch nicht übersehen, daß es ein Sozialdemokrat war, der zuerst geschossen hat. Es ist begreiflich, und es ist in gewissem Sinne sogar berechtigt, daß die SA in so einem Fall zu sehr, äh, energischen Repressalien greift.«

Es war sonderbar, Brock ertrug ich immer gerade noch, aber Holz wirkte neuerdings wie das rote Tuch auf mich. Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn beleidigen.

»Es ist mir interessant, Ihre neue Theorie der Rechtfertigungsgründe zu hören«, sagte ich. »Wenn ich nicht irre, haben Sie doch auch einmal Jura studiert?«

Er blickte mich »stahlhart« an und nahm den Handschuh umständlich auf. »Jawohl, ich habe Jura studiert«, sagte er langsam, »und ich erinnere mich, während meines juristischen Studiums auch einmal etwas über Staatsnotwehr gehört zu haben. Vielleicht haben Sie das betreffende Kolleg versäumt.«

»Staatsnotwehr«, sagte ich, »interessant. Sie erachten den Staat als angegriffen und in Notwehr versetzt dadurch, daß ein paar hundert sozialdemokratische Staatsbürger sich mit Nachthemden bekleiden und in ihre Betten legen?«

»Nicht doch«, sagte er. »Sie vergessen immer wieder, daß zunächst ein Sozialdemokrat zwei SA–

Leute niedergeschossen hat –«

»– die bei ihm Hausfriedensbruch begingen –«

»– die bei ihm in Ausübung obrigkeitlicher Funktionen vorsprachen.«

»Und das gibt dem Staat ein Notwehrrecht gegen beliebige andere Bürger? Gegen mich und Sie?«

»Gegen mich nicht«, sagte er, »aber vielleicht gegen Sie.«