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Iwan Sergejewitsch Turgenjew

Gespenster

Der Schlaf wollte nicht kommen und unablässig wälzte ich mich von der einen Seite auf die andere. Der Teufel hole diesen Unsinn! Tischrücken!, dachte ich. Das zerrüttet einem nur die Nerven... Aber schließlich begann der Schlaf mich zu übermannen...

Da war mir plötzlich, als töne in meinem Zimmer sanft und klagend ein Saitenklang.

Ich hob den Kopf. Der Mond war eben erst aufgegangen und schien mir gerade ins Gesicht. Weiß wie Kreide lag sein Licht auf dem Fußboden... und vernehmbar erklang der sonderbare Ton aufs Neue...

Ich richtete mich auf. Eine kleine Angst zuckte durch mein Herz. - So verging eine Minute und noch eine... Irgendwo ferne krähte ein Hahn und ein anderer, noch weiter entfernt anwortete.

Mein Kopf sank auf das Kissen zurück... Es ist weit mit mir gekommen, dachte ich: Es fehlt nur noch das Ohrensausen. Gleich darauf muss ich wohl eingeschlafen sein, oder vielleicht kam es mir auch nur so vor, als ob ich einschliefe. Ich hatte einen ungewöhnlichen Traum. Mir träumte, ich läge in meinem Schlafzimmer auf meinem Bett - und könnte nicht schlafen und nicht einmal die Augen schließen. Wieder der Ton... Ich drehte mich um... Der Mondschein auf dem Fußboden gleitet langsam in die Höhe, nimmt Gestalt an und gewinnt an seinem oberen Ende eine leichte Rundung... und plötzlich steht unbeweglich, durchsichtig wie Nebel, eine weiße Frau vor mir.

"Wer bist du?" Die Frage kostet mich große Mühe.

Wie ein leises Rauschen von Blättern vernehme ich die Stimme: "Ich bin's... ich... ich... Ich kam dich holen."

"Mich holen? Wer bist du?"

"Komm nachts zur Waldecke, wo die alte Eiche steht. Dort wirst du mich finden."

Aber bevor ich noch die Züge der geheimnisvollen Frau gesehen habe, muss ich unwillkürlich schaudern: eine Kälte fuhr über mich hin. Auch liege ich nicht mehr; ich sitze schon aufrecht auf meinem Bett. Dort aber, wo, wie mir schien, das Gespenst gestanden, schimmert auf dem Fußboden in breiten Streifen der Mond.

***

Irgendwie verging der nächste Tag. Ich weiß noch, ich versuchte zu lesen und zu arbeiten... es ging nicht. Die Nacht kam. Mein Herz pochte, als erwarte es jemand. Ich ging zu Bett und drehte mich zur Wand.

"Warum kamst du nicht?" scholl durch mein Zimmer vernehmbar ein Flüstern.

Ich fuhr herum. Wieder war es sie... wieder das rätselhafte Gespenst: starre Augen, starres Gesicht und der Blick voller Trauer.

"Komm!" flüsterte es aufs neue.

"Ich werde kommen", entgegnete ich, und es überlief mich. Der Schatten glitt leise nach vorn und verglitt sanft wogend wie Rauch - und wieder lag auf dem ebenen Fußboden schimmernd nur der weiße Mond.

***

Aufgeregt verbrachte ich den folgenden Tag. Zum Abendessen trank ich Wein, fast eine ganze Flasche, dann ging ich auf die Terrasse, aber ich blieb dort nicht lange und warf mich auf mein Bett. Mein Blut schlug schwer. Wieder der Ton... Ich erbebte, aber ich wendete mich nicht um. Da umschlang es mich eng von hinten, und wie ein Hauch drang es in mein Ohr: "Komm, komm, komm ..."

Ich erbete vor Grauen, ich stöhnte nur: "Ich werde kommen!" und richtete mich auf.

Am Kopfende meines Bettes stand, über mich gebeugt, die Frau. Ein leichtes Lächeln, sie verschwand. Diesmal aber hatte ich ihr Gesicht erblickt. Hatte ich es nicht schon früher bereits gesehen? Wo war das? und wann?

Spät stand ich auf und strich tagsüber durch die Felder, ich kam auch zu der alten Eiche am Waldrand und sah mich aufmerksam um. Als es auf den Abend ging, saß ich lange in meinem Arbeitszimmer am offenen Fenster. Meine alte Haushälterin brachte mir ein Glas Tee - aber ich trank keinen Schluck... Mich beschäftigte nur ein Gedanke: Bin ich von Sinnen oder nicht?

Die Sonne ging derweil unter, nicht nur der Himmel loderte auf - auch die ganze Luft war mit einem Male von einem fast übernatürlichen Purpur gesättigt. Regungslos ruhten Gras und Blatt, und ein Glanz lag auf ihnen, als wären sie mit frischem Lack überzogen; aber in ihrer versteinerten Unbeweglichkeit, in der grellen Schärfe ihrer Konturen, in dieser Vereinigung heftigen Leuchtens und toter Ruhe war etwas sehr Sonderbares und Rätselhaftes. Ein großer grauer Vogel lies sich lautlos herab und setzte sich auf den äußersten Rand des Fensterbrettes... Ich sah ihn an, und auch er musterte mich von der Seite mit seinen runden und dunklen Augen. Bist du vielleicht abgesandt, mich zu mahnen? ging es mir durch den Kopf. Da schwang der Vogel seine weichen Flügel und flog lautlos fort, wie er gekommen. Aber lange noch blieb ich am Fenster - und doch war kein Überlegen in mir: ich war, so schien es, in einen Zauberkreis geraten, wie ein Boot, das lange vor dem Wasserfall schon von der Strömung ergriffen wird, so riss auch mich eine sanfte und unüberwindliche Kraft mit fort.

Endlich fuhr ich auf. Aus der Luft war der Purpur schon völlig verschwunden, die Farben waren dunkler geworden und die verzauberte Stille schon lange dahin. Ein Wind spielte, am dunkelblauen Himmel ging hell der Mond auf, und in seinen kalten Strahlen funkelten silbern und schwarz die Blätter der Bäume. Die gute Alte betrat mein Zimmer mit einer Kerze, aber da wehte es durchs Fenster und löschte das Licht aus. Ich konnte es nicht länger ertragen, ich sprang auf, stülpte die Mütze auf und begab mich zur Waldecke hin, zur alten Eiche.

***

Vor vielen Jahren schlug einmal der Blitz in diese Eiche; doch brach auch ihr Wipfel ab und verdorrte er, so blieb ihr dennoch Lebenskraft auf Jahrhunderte hinaus. Als ich mich ihr näherte, trat der Mond gerade hinter ein kleines Wölkchen: tiefes Dunkel herrschte unter den breiten Zweigen. Ich konnte nichts besonderes gewahren... aber wie sank mir das Herz, als ich dann zur Seite blickte: denn zwischen Wald und Eiche stand regungslos neben einem hohen Strauch eine weiße Gestalt. Mein Haar begann sich zu sträuben, doch ich nahm mich zusammen und näherte mich dem Walde. Ja, sie war es, der Gast meiner Nächte.

Als ich näher trat, kam der Mond wieder hervor. Es war, als sei sie ganz aus milchigem Nebel gesponnen. Durch ihr Gesicht hindurch sah ich einen Zweig, leise im Winde gewiegt, und nur ihre Augen und das Haar dunkelten kaum bemerkbar, und an einem Finger der gefalteten Hände blitzte ein schmaler goldener Ring. Ich machte vor ihr halt und wollte sprechen, aber ich konnte keinen Ton hervorbringen, obwohl ich eigentlich nicht länger Furcht empfand. Die Augen waren auf mich gerichtet, doch weder Kummer war in ihnen noch Freude, nichts als eine sonderbare und leblose Aufmerksamkeit. Ich wartete, ob nicht ein Wort von ihr kommen würde, aber sie blieb, wie sie war: reglos und stumm, und immer noch war ihr toter und prüfender Blick starr auf mich gerichtet... Und wieder kam das Grauen über mich.

"Ich bin da!" rief ich endlich mit letzter Kraft. Meine Stimme klang sonderbar fremd und hohl.

"Ich liebe dich", flüsterte es.

"Du liebst mich?" wiederholte ich erstaunt.

"Gib dich hin", sagte es von neuem.

"Mich hingeben? Dir, einem Schatten, der keinen Körper hat?" Eine eigentümliche Entrücktheit gewann Macht über mich: "Woraus bestehst du eigentlich, aus Rauch, aus Luft, aus Nebel? Mich dir hingeben! Sage mir zuvor, wer du bist! Sage mir, ob du vormals auf Erden lebtest und woher du kommst!"

"Gib dich hin. Ich werde dir nichts Böses antun. Sprich nur diese Worte: Nimm mich hin!"

Ich blickte sie an. - Was sagte sie da? überlegte ich. Was soll das alles? Wie will sie mich hinnehmen? Oder versuche ich's doch am Ende?

"Also gut." Ich sprach es - und sprach unerwartet laut, fast so als hätte jemand, der hinter mir stände, mir Mut gemacht: "Nimm mich hin!"

Die Worte waren kaum gesprochen, da glitt die rätselhafte Gestalt mit einem seltsamen inneren Lachen, von dem für eine Sekunde auch ihr Gesicht bewegt wurde, schnell auf mich zu, hob die Arme und streckte sie nach mir aus... Ich prallte zurück, aber es war zu spät, denn ich war bereits in ihrer Gewalt. Sie umfing mich, und schon war mein Körper eine halbe Elle über dem Erdboden. Schon schwebten wir über dem unbewegten, nassen Gras.