Anfangs schwindelte mir, und unwillkürlich schloss ich die Augen... Doch ich öffnete sie schon nach wenigen Sekunden. Der Wald war verschwunden: unter uns breitete sich mit dunklen Flecken besäte Ebene. Schaudernd wurde ich gewahr, dass wir uns in großer Höhe befanden.
Verloren bin ich, ich bin in der Gewalt Satans! fuhr es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Denn bis dahin war mir keinerlei Gedanke an eine Versuchung der Hölle gekommen oder gar an die Möglichkeit des Verderbens. Immer noch schossen wir dahin, und es war, als erreichten wir immer höhere Höhen.
"Wohin bringst du mich?" entrang sich mir ein Stöhnen.
"Wohin es dir gefällt", entgegnete meine Begleiterin. Eng schmiegte sie sich an mich, ihr Gesicht lehnte fast an dem meinen. Übrigens spürte ich diese Berührung kaum.
"Lass mich wieder auf die Erde zurück, ich kann diese Höhe nicht ertragen."
"Gut, aber schließe die Augen und atme nicht."
Ich tat's - und fühlte sogleich, dass ich stürzte, wie ein Stein stürzt... Wind pfiff durch mein Haar. Als ich wieder zu mir kam, schwebten wir sanft über dem Erdboden dahin, so niedrig, dass wir die Spitzen der hohen Gräser berührten.
"Lass mich nieder!" bat ich. Meine Begleiterin wendete sich leicht zur Seite, und ich stand. Sie hielt vor mir und faltete die Hände. Nach und nach wurde ich ruhiger und sah sie an.: demütige Trauer lag auf ihrem Gesicht wie zuvor.
"Wo sind wir?" fragte ich. Die Gegend war mir unbekannt.
"Fern von deinem Hause, aber ein Augenblick, und du kannst dort sein."
"Doch wie? Muss ich mich wieder dir anvertrauen?"
"Ich tat dir ja nichts Böses und werde dir nichts Böses tun. Fliegen wir, bis es tagt! mehr will ich nicht. Ich kann dich hintragen, wohin es dich gelüstet - kein Land der Erde ist zu weit. Gib dich hin! Sag mir von neuem: Nimm mich in!"
"Also dann... nimm mich hin!"
Und wieder schmiegte sie sich an mich, meinen Füßen entglitt der Boden, und wir flogen.
Wundervoll war es, den Wald von oben zu sehen. Sein stachliger Rücken schimmerte im Mondlicht. Er lag unter uns wie ein großes schlafendes Tier, und sein weites ununterbrochenes Rauschen, das fast wie ein undeutliches Murren klang, folgte unserem Flug. Hier und da passierten wir eine kleine Lichtung, und wie schön es dunkelte immer auf der einen Site der zackige Rand des Schattens... Ab und zu klagte unten ein Hase, oben schrie eine Eule, ebenso klagend. Es roch nach Pilzen, Knospen und Sumpfgräsern. Kaltes und strenges Mondlicht überflutete die Welt, und zu unseren Häuptern funkelte das Sternbild des Wagens.
Nun lag der Wald hinter uns, vor uns im freien Felde schwebte ein Nebelstreifen, der Fluss. Wir folgen längs seinem Ufer hin, über Büschen, die schwer und regungslos waren von Feuchtigkeit. Die Wellen des Flusses glitzerten in blauem Glanz. Zuweilen wogte seltsam ein dünner Dunst über ihnen - und keusch und herrlich schimmerten die Kelche der Wasserlilien. Langsam gewöhnte ich mich an die Empfindung des Fliegens, und nach und nach machte es mir sogar Spaß: jeder, der einmal im Traume geflogen ist, wird mich gewiss verstehen. Und nun erst schickte ich mich an, das sonderbare Wesen, das die Ursache dieser unglaubwürdigen Ereignisse war, mit größerer Aufmerksamkeit zu mustern...
Es war eine Frau mit einem kleinen und gar nicht russischen Gesicht. Weiß mir einem grauen Grundton und halb durchsichtig mit kaum wahrnehmbarer Schattierung, erinnerte es an Figuren auf einer von innen erleuchteten Alabastervase - und wiederum kam es mir bekannt vor.
"Ist es erlaubt, mit dir zu sprechen?" fragte ich.
"Sprich."
"Ein Ring ist an deinem Finger; dann lebtest du also bereits auf Erden und warst verheiratet?" Ich verstummte... keine Antwort.
"Wie heißt du - oder wie hast du geheißen?"
"Nenne mich Ellis."
"Ellis! Hast du mich früher gekannt?"
"Nein."
"Warum kamst du dann zu mir?"
"Ich liebe dich."
"Ellis", rief ich plötzlich, "vielleicht bist du eine arme sündige Seele?"
Der Kopf meiner Gefährtin neigte sich zur Seite. "Ich kann dich nicht verstehen", raunte sie.
"Im Namen Gottes ...", begann ich.
"Was sagst du da?" murmelte sie erstaunt. "Ich kann dich nicht verstehen." Aber mir war, als ob der Arm, der wie ein kalter Gürtel mich umschlang, sich ein wenig lockerte...
"Keine Angst", sprach Ellis. "Keine Angst, Geliebter!" Sie wendet mir voll das Gesicht zu und näherte es dem meinen... Auf meinen Lippen war eine sonderbare Empfindung, wie die Berührung eines feinen und weichen Stachels...
Ich blickte nach unten. Wir waren in beträchtlicher Höhe über einer mir unbekannten Provinzstadt, die am Abhang eines breiten Hügels lag. Aus der dunklen Masse der Holzdächer und Obstgärten ragten Kirchtürme. Schwarz lag über der Flussbiegung eine lange Brücke. All das schwieg in tiefem Schlaf. Selbst die Kuppeln und die Kreuze funkelten im schweigsamen Glanz, schweigsam ragten die hohen Brunnenstangen, umgeben von runden Weidenbüschen, schweigsam drang der feine Pfeil der bleichen Landstraße auf der einen Seite in die Stadt ein, und schweigsam eilte er auf der gegenüberliegenden Seite in die schattenhafte Weite der einförmigen Felder hinaus.
"Wie heißt diese Stadt?" fragte ich.
"...ssow."
"Im ...schen Gouvernement?"
"Ja."
"So weit bin ich von zu Hause?"
"Für uns gibt es keine Entfernungen."
"Tatsächlich?" Wie ein Rausch flammte es in mir auf: "Dann bringe mich nach Südamerika!"
"Dorthin kann ich nicht. Dort ist jetzt Tag."
"Gleichviel, wohin es geht - nur möglichst weit."
"Schließe deine Augen und atme nicht", sagte Ellis, und wie ein Orkan rasten wir dahin. Die Luft fegte mit betäubendem Rauschen an mein Ohr.
Wir hielten, aber der Lärm hörte nicht auf. Im Gegenteiclass="underline" ein drohendes Brüllen war es jetzt, ein donnerndes Heulen.
"Du kannst die Augen öffnen", sagte Ellis.
Ich gehorchte... Mein Gott, wo waren wir?
Uns zu Häupten schwere rauchgraue Wolken, sie drängten sich, sie rannten wie ein Herde wütender Ungeheuer... Uns zu Füßen aber war ein zweites Ungeheuer: das tosende, tosende Meer...
Weiße Gischt sprüht empor und schwillt kochend zu kleinen Hügeln auf, rasende Wogen krachen an die riesige, pechschwarze Klippe. Das Heulen des Sturmes, der eiskalte Atem des aufgerührten Abgrundes, das schwere Donnern der Brandung, das bald wie ein klagevolles Jammern, bald wie Kanonengebrüll und bald wie Glockenton schallt - das zerreißende Kreischen und Knirschen der Steine am Ufer, der jähe Schrei einer unsichtbaren Möwe, das schwarze Gerippe eines gescheiterten Schiffes am verhängten Horizont - in allem Tod, Tod in allem und Grauen...
"Was ist dies? Wo sind wir?"
"Auf dem Südufer der Insel Wight, auf dem Vorgebirge Blackgant, an dem so häufig die Schiffe zerschellen", entgegnete Ellis. Diesmal sprach sie mit besonderer Deutlichkeit, und es war etwas wie Schadenfreude in ihren Worten, wie mir scheinen wollte...
"So trage mich fort, fort von hier... nach Hause! Nach Hause!"
Ich presste die Hände vors Gesicht, und schon spürte ich, wie wir noch schneller als zuvor dahin schossen: Das Geräusch des Windes war kein Heulen mehr, kein Pfeifen - er winselte in meinem Haar, winselte in meinen Kleidern... mir verschlag es den Atem...
"So steh doch!" Ellis rief es.
Ich gab mir alle erdenkliche Mühe, mich zusammenzureißen und wieder zur Besinnung zu kommen... Unter mir war fester Boden, und kein Laut war hörbar, als wäre alles Leben ringsum erstorben... aber das Blut hämmerte immer noch ungleichmäßigen Schlages in meinem Schläfen, und im Kopfe sauste es mir. Endlich richtete ich mich auf und öffnete die Augen.