Einleitung
Wenn mich jemand fragt, welchem Beruf ich nachgehe, dann sage ich Bestattungsunternehmer. Manch einer guckt dann im ersten Moment ganz verschreckt, anderen fällt irgendein aus ihrer Sicht lustiger Spruch dazu ein, und beinahe alle sagen nach mehr oder weniger kurzer Zeit, das sei wenigstens ein krisensicherer Job, gestorben werde ja immer.
Aber ganz egal wie die Leute im Einzelnen reagieren, früher oder später beginnen sie Fragen zu stellen, denn der Beruf des Bestatters spielt sich in weiten Bereichen hinter dem Schleier des Tabus ab. Tod und Trauer sind in unserer Gesellschaft Themen, über die man nicht gerne spricht und die man lieber verdrängt. Sterben sollen am besten nur die anderen, und man selbst möchte möglichst wenig damit zu tun haben. Wenn es dann mal die eigene Familie trifft, ja dann beschäftigt man sich notgedrungen mit der Thematik, und dann nimmt man auch die Dienste eines Bestatters in Anspruch.
Ansonsten bemerkt man oft nicht einmal, dass es Bestatter überhaupt gibt. Eine Dame kam eines Tages zu mir ins Bestattungshaus und sagte: »Ich gehe nun seit zwölf Jahren beinahe täglich hier vorbei, erst jetzt, da mein Mann gestorben ist, ist mir bewusst geworden, dass Sie hier Ihren Betrieb haben; der ist mir vorher noch nie aufgefallen.«
Ohne besonderen Anlass nimmt man Bestatter also gar nicht wahr und will auch normalerweise gar nichts weiter von ihnen wissen.
Anders ist das jedoch, wenn man unvermittelt, vielleicht am Rande einer Party, einem gegenübersteht und auf einmal Gelegenheit hat, die Fragen zu stellen, die man einem Bestatter schon immer mal stellen wollte. Nun kann man die Chance nutzen, um mal ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen und zu erfahren, was da eigentlich ganz genau gemacht wird und was da mit uns und unseren Toten so alles passiert, wenn der Bestatter aktiv wird.
Mir geht es zumindest immer so, kaum habe ich gesagt, was ich von Beruf bin, stehen die Leute oft in dichten Trauben um mich herum und löchern mich mit Fragen. Genau das war der Auslöser, warum ich angefangen habe, im Internet unter bestatterweblog.de meine Erlebnisse niederzuschreiben und Fragen der Leser zu beantworten.
Nun verbietet es sich aber logischerweise von selbst, dass ein Bestatter mit den Namen und Schicksalen seiner Kunden im Internet hausieren geht. Deshalb habe ich von Anfang an alle Namen verändert, Orte und zeitliche Abläufe verfremdet und die gesamten Ereignisse in einem fiktiven Bestattungshaus irgendwo in Süddeutschland spielen lassen. Der Kern der Geschichten, die geschilderten Schicksale und die wichtigen Zusammenhänge sind alle wahr, doch habe ich mich immer bemüht, die persönlichen Fakten so zu verändern, dass keine Rückschlüsse auf reale Personen möglich sind.
Inzwischen sind im Weblog Tausende von Artikeln erschienen, von denen eine Auswahl im März 2008 bereits als Buch veröffentlicht wurde. Gänzlich überarbeitet und ergänzt um viele neue Geschichten, bietet dieses Buch nun allen denjenigen, die lieber etwas Gedrucktes in Händen halten, und denen, die keinen Bestatter zu ihrem Bekanntenkreis zählen, die Möglichkeit, endlich mehr über diese mehr oder weniger verborgene Welt zwischen Leben und Tod zu erfahren.
Peter Wilhelm
Herbst 2009
Wie ich Bestatter wurde
Ich bin Bestatter, ich habe täglich mit toten Menschen zu tun, aber auch mit deren lebenden Hinterbliebenen. Tote sind friedlich und machen keine Probleme. Mit den Lebenden ist das oft anders, und genau davon erzählt dieses Buch.
Warum ich ausgerechnet Bestatter geworden bin? Vor dreißig Jahren bereits war ich in einer Firma tätig, die eigentlich ganz etwas anderes machte, nebenbei aber auch Bestattungen abwickelte. So kam ich schon als junger Mann, wenn auch nur am Rande, mit der Branche das erste Mal in Berührung. Studium und Berufsjahre folgten, und irgendwann landete ich als Kaufmann bei einem sehr großen Bestattungsunternehmen. Und eines Tages folgte dann das eigene Bestattungshaus.
Im Laufe der Jahre lernte ich so viele Menschen kennen, erlebte ich so viele Geschichten, dass ich irgendwann anfing, diese Begebenheiten aufzuschreiben. Zunächst in kleinen Notizbüchern, dann mit fortschreitender Technik auch im Computer, in meinem eigenen Weblog und schließlich auch in dem Buch, das Sie gerade in den Händen halten.
Mein erster Lehrherr war der Bestatter Karl Fischer. Er hatte von seinem Vater eine Hauderei übernommen. Ein Hauderer hatte ein Lohnfuhrunternehmen und transportierte im Grunde alles, im engeren Sinne allerdings Verstorbene. Früher mit Pferd und Kutsche, wovon einige alte Schwarzweißfotos im Büro erzählten, später – so ab den 30er Jahren – mit Autos. Die Schreiner stellten die Särge her, der Hauderer transportierte Särge und Leichen. Früher waren Bestattungen noch nicht so kompliziert. Wenn jemand verstorben war, ging ein Angehöriger zum Schreiner und sagte Bescheid. Der Schreiner richtete den Sarg, der Hauderer holte den Sarg, bettete den Verstorbenen ein und brachte ihn zum Friedhof.
Den Weg zum Rathaus und zum Pfarrer unternahmen die Angehörigen selbst.
Kurz gesagt: Eine Hauderei ist ein Taxiunternehmen für tote Leute.
Als die ersten Bestattungsinstitute aufkamen, hatten die meisten keine eigenen Bestattungswagen, und das ist in manchen Städten auch heute noch so. Der Hauderer hält eine ganze Reihe solcher Autos bereit und wechselt bloß die Tafeln mit dem Namen des Bestattungshauses aus.
Im Laufe der Jahre fertigten immer weniger Schreiner eigene Särge, die großen Sargfabriken entstanden. So kam zur Hauderei oft noch ein Sarglager hinzu. Das förderte das Entstehen sehr vieler kleiner »Wohnzimmerbestatter«. Mehr als einen Katalog mit Bildern von Särgen brauchte man nicht, den Rest machte der Hauderer. Schon 1948 machte mein 1924 geborener Lehrherr aus der Hauderei ein komplettes Bestattungsinstitut. Neben den wenigen verbliebenen Bestattungsautos wurden auch verstärkt Bestattungsanhänger eingesetzt.
Mit den Wirtschaftswunderjahren wurden immer mehr Autos angeschafft – nicht nur bei ihm, sondern auch andere Bestatter konnten sich jetzt einen eigenen Anhänger oder sogar einen Bestattungswagen leisten. Das Hauptstandbein wurde das Bestattungshaus. Und in genau dem begann ich meine kaufmännische Lehre.
Wenn man in einem Bestattungshaus als kaufmännischer Lehrling anfängt, gibt man sich der Illusion hin, man habe ja mit den Leichen nichts zu tun. Tatsächlich vergingen aber nur zwei Tage, da zerplatzte diese Illusion wie eine Seifenblase, es war Not am Mann, und ich musste mit anfassen.
Seine erste Leiche vergisst man nie, sagen Bestatter. In meinem Fall war das die alte Frau Kruse, die von einer Trage in einen Sarg gehoben werden musste. Ich wollte keine Schwäche zeigen und bin da recht unbedarft und nüchtern herangegangen. Kalt war sie, alt war sie und ein bisschen hässlich. Aber sie war auch ruhig, friedlich und erinnerte mich an meine Tante Rosel. Ein wenig merkwürdig war das schon, aber es überwog das Gefühl, etwas zu machen, was nicht jeder macht, also eine besondere Tätigkeit auszuüben.
Einmal mit dabei gewesen und nicht schreiend davongelaufen zu sein, das bedeutete für meinen Chef, dass ich forthin immer mal wieder mit anpacken konnte, dann auch mal mitfahren, und nach wenigen Monaten war das selbstverständlich, es gab überhaupt keine Diskussionen oder Fragen zu diesem Thema.
Mir hat das nie etwas ausgemacht, auch heute nicht, wenn zehn oder zwölf Tote im Kühlraum liegen. Ich kenne da kein unheimliches Gefühl oder irgendeine Angst.
In der Firma war es üblich, dass die vier Leute aus dem Büro – Chef, Chefin, Tochter und Lehrjunge – in der Pause oben bei Chefs zu Mittag aßen. Der Chef legte sich nach dem Essen immer etwas hin. Und sagen wir es mal so: Seine Tochter und ich haben das auch hin und wieder getan …
Wie man heute so sagt, die Chemie hat auf Anhieb gestimmt, und auch mein Chef ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht auf der Suche nach einem Angestellten, sondern nach einem Nachfolger war. Seine Tochter, also meine Frau, hätte das gut machen können, aber der Alte war der Meinung, so was müsse ein Ehepaar machen.