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Währenddessen spielt Daniel auf dem Hof Fußball, aber da es viel zu kalt ist, rufe ich ihn herein. Ich will nochmals nach der geheimnisvollen Stadt mit B forschen und habe mir allerlei clevere Fragen zurechtgelegt. »Das Krankenhaus, in dem deine Mutter liegt«, beginne ich, doch er unterbricht mich: »Sie meinen das Krankenhaus in Bonn?« Und schon scheint das Geheimnis gelüftet zu sein. Ob sich da eine Blockade gelöst hat, oder ob Daniel gestern einfach zu aufgeregt war?

Ich bin jedenfalls ziemlich aufgeregt, als ich der Reihe nach die Bonner Krankenhäuser abtelefoniere – schon beim zweiten habe ich Glück. Olama Olugulade ist dort bekannt, man verbindet mich »auf Station«, und es meldet sich Schwester Cordula. Die ist Nonne, sehr bemüht und heftig erschrocken, als ich ihr berichte, was vorgefallen ist. Ja, klar, den verstorbenen Mann kenne sie, der habe seine Frau gebracht, die stehe kurz vor der Entbindung, morgen, spätestens übermorgen sei es so weit. Man könne der werdenden Mutter in Anbetracht der schwierigen Lage unmöglich jetzt mit einer solchen Botschaft kommen – und überhaupt könne ich so was ja wohl schlecht telefonisch machen.

»Ich will das überhaupt nicht machen«, protestiere ich. »Ich dachte eher daran, dass ich Sie informiere und Sie das dann übernehmen.«

»Das muss schon einer machen, der die Familie kennt«, sagt Schwester Cordula, und ich erkläre ihr nochmals, dass ich die Familie überhaupt nicht kenne. »Ja, trotzdem, Sie sind ja quasi der Ersatzvater für den Kleinen, also können Sie auch mit der Mutter sprechen, aber frühestens am Dienstag.« Ich will nochmals protestieren, aber Schwester Cordula lässt sich in ihrer Wegbeschreibung nicht unterbrechen.

Nee, das mach ich nicht. Ich bin Bestatter und kein Todesbotschaftsüberbringer.

Ich rufe Pfarrer Schmidt an. Er ist evangelisch und hat oft ganz gute Ideen, wenn ich in so Sachen nicht weiterweiß. Er hört sich meine Geschichte an, unterbricht mich kaum, fragt nur zweimal kurz nach, und dann warte ich auf seinen Ratschlag. Statt mich aber nun zu bestärken, dass mich das alles nichts angeht, sagt er: »Dann werden wir beide am Dienstag eben nach Bonn fahren müssen.«

Kein Verlass mehr auf die Popen!

»Na ja«, sagt er, »überlegen Sie doch mal, in was für einer Situation die Frau ist. Die hat dann gerade ein Baby geboren und wartet sicher darauf, dass ihr Mann kommt oder sich meldet. Wollen Sie, dass dann ein Polizist ihr die Botschaft überbringt?«

Mann, ich wollte dem Herrn Bauer einen Gefallen tun, dem kleinen Daniel helfen, aber doch nicht so in die Sache hineingezogen werden.

Seit Montag weiß ich mehr von der Rechtsmedizin. Herr Olugulade ist an einem Lungenemphysem verstorben. Wodurch das genau verursacht worden ist und ob es kurzfristig aufgetreten ist, konnte oder wollte man mir nicht sagen. Jedenfalls sind damit die Untersuchungen abgeschlossen, keine Fremdeinwirkung, kein Suizid. Es ist im Moment ausgeschlossen, dass die Witwe irgendeinem Bestatter einen Auftrag erteilt, und bis Mitte der Woche will die Behörde nicht warten und vergibt dann den Auftrag von Amts wegen vermutlich an die Pietät Eichenlaub.

Ich schlage mich um solche Aufträge nicht, schon gar nicht um diesen Auftrag. Wenigstens ist die junge Frau von der Ortspolizeibehörde kooperativ. Sie habe kein vitales Interesse daran, dass die Bestattung auf Anordnung erfolge. Ich schildere ihr die vermutlich prekäre finanzielle Situation der Familie und biete einen Kompromiss an. Mit dem ist sie sehr einverstanden, denn er spart Geld, und das ist mir wichtig, denn ich habe das Gefühl, dass die Familie Olugulade auf sich selbst gestellt ist und hinterher selbst für die Kosten einstehen muss.

Das rechtsmedizinische Institut hat auch keine Probleme mit meiner Idee.

Also werden wir heute Nachmittag einen Sarg, den wir – sagen wir es mal so – »übrig haben«, dorthin bringen und den Verstorbenen ordnungsgemäß einbetten. Dann lassen wir den Sarg dort, denn der Verstorbene gilt dann für die Ortspolizei mit Duldung als versorgt, und es besteht kein Anlass, behördlicherseits tätig zu werden. Und den Sarg dort gekühlt aufzubewahren kostet auch nichts. Sobald ich mit der Ehefrau gesprochen habe, werden wir weitersehen, ob es eine Erd- oder Feuerbestattung gibt, auf welchem Friedhof und wie die Trauerfeier sein soll.

Die Damen vom Jugendamt sind auch hier gewesen. Man stellt sie sich ja immer etwas ältlich vor, mit Hosenanzügen und einem grauen Dutt, unfreundlich, schnippisch und durch und durch Beamte. Die Realität sieht anders aus: Die beiden waren eher jung, trugen Jeans und einen Haufen Unterlagen und waren überaus freundlich, hilfsbereit und betroffen. Sie wollten sehen, wo Daniel schläft, ob er was zum Anziehen und zum Spielen hat, und waren ganz angetan von der Idee, dass Daniel bis auf weiteres mit unseren Kindern in die Schule geht. Der Schulleiter hatte überhaupt keine Probleme damit und nahm diesen Vorschlag sofort an. Dann wollten die beiden Damen einzeln mit Daniel, mit meiner Frau und mit mir sprechen, dann noch mal mit meiner Frau und mir zusammen. Sie hatten etliche Fragebögen, fragten nach Einkommens- und Wohnverhältnissen, Ernährungsgewohnheiten und den sanitären Bedingungen. Dann machten wir einen Rundgang durch die Wohnräume, und damit war auch schon alles erledigt. Es gibt von Seiten der beiden keinerlei Bedenken, dass Daniel bis auf weiteres als Pflegekind bei uns bleiben kann. Morgen schon sollen wir ein entsprechendes Schreiben bekommen, und eine Überprüfung der Verhältnisse kann jederzeit unangekündigt, spätestens aber in vier Wochen erfolgen.

Für 14 Uhr hatte sich die Birnbaumer-Nüsselschweif angekündigt. Sie habe mir Wichtiges zu berichten.

Die Frau wollte es überhaupt nicht glauben, dass Daniel jetzt bei uns bleibt. Übers Wochenende habe sie bereits ein Kinderzimmer bei sich eingerichtet und bei den übrigen Mitgliedern der Afrikagruppe Spielzeug und Kleidung für das Kind gesammelt. »Das kann ich jetzt gar nicht ab«, sagt sie und zückt ihr Mobiltelefon, um mit ihrem Mann zu sprechen – und vor allem, um dann noch Dr. Raps anzurufen. Sie ist entrüstet. Während sie telefoniert, habe ich die Gelegenheit, sie mir näher anzuschauen. Sie ist eigentlich eine exakte Kopie von Heidi Klum, nur rund 15 Zentimeter größer und 100 Pfund schwerer und auch sonst ganz anders. Sie ist nicht schön, aber auch nicht unhässlich. Dann stiefelt sie auch schon mit dem Telefon nach draußen in die Halle.

In der Zwischenzeit klingelt mein Telefon. Es ist die Klinik in Bonn, diesmal eine Schwester Barbara, die eine etwas unangenehm hohe Stimme hat, aber sonst sehr sympathisch klingt. Das Kind sei geboren, ein Junge, 3420 Gramm, 55 Zentimeter. Ich kenne Frau Olugulade zwar nicht, freue mich aber wie ein Schneekönig. Da wäre aber noch was, sagt Schwester Barbara: »Jemand hat hier heute Mittag angerufen und wollte mit der Frau sprechen, von einem afrikanischen Verein war die Dame.«

»Von der Afrikagruppe?«, frage ich. »Eine Frau Birnbaumer-Nüsselschweif?«

»Afrikagruppe stimmt, an den genauen Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber das, was Sie da gesagt haben, kommt schon hin.«

»Ja, und was wollte sie?«

»Die wollte der Frau Olugulade erzählen, dass ihr Mann gestorben ist und dass sie ein Schreiben per Fax haben möchte, damit sie auf das andere Kind aufpassen darf.«

Während mein Blutdruck bedrohlich ansteigt, beschwöre ich die Schwester, Frau Olugulade abzuschirmen.

»Machen Sie sich keine Gedanken«, sagt die Schwester, »wir haben der Frau jetzt was gegeben, die braucht jetzt sehr viel Ruhe.«

»Und sie hat keine Ahnung, was passiert ist?«

»Nein, nicht die geringste. Der verstorbene Mann scheint sowieso ein bisschen sehr afrikanisch gewesen zu sein, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Ich weiß zwar nicht genau, was sie meint, aber mir soll das im Moment recht sein. Ich sage Schwester Barbara noch, dass ich morgen kommen möchte und einen Pfarrer von hier mitbringe. Das findet sie gut, der Krankenhauspfarrer sei schon fast 80 und auch nicht bei bester Gesundheit.