»Was für Blumen?«
»Hat er gestern gesagt, er will von seinem Geld Blumen für seinen Papa kaufen.«
So eine Holzbirne! Warum sagt der das nicht früher, von wem hat er dieses Holzbirnige bloß? Meine Frau und ich waschen unsere Hände in Unschuld, und während ich noch wasche, sehe ich im Augenwinkel, wie sie auf mich deutet und mit dem Mund lautlos irgendwas Hässliches über mich in die Welt setzt.
Es gibt sechs Blumengeschäfte in der Gegend, die Nummern haben wir alle, schon aus beruflichen Gründen, eingespeichert.
Bei Kötters war Daniel nicht, aber der alte Kötters verspricht, sofort anzurufen, wenn ein schwarzer Junge kommen sollte.
Das versprechen auch die nächsten drei Blumenhändler, und auch meine Frau signalisiert, dass Daniel nicht beim Blumenhaus »Egons Blumenstübchen« war.
Erst bei Neureuthers haben wir endlich Erfolg. Ja, der Junge sei schon vor einer halben Stunde oder so da gewesen, habe für fünf Euro Nelken gekauft und sei dann mit der Frau wieder weggegangen.
»Mit was für einer Frau?«
»Keine Ahnung, so eine Dicke, die müssten Sie aber kennen, die ist irgendwas bei der Gemeinde.«
»Die Nüsselschweif!«, entfährt es mir.
Was hat sie bloß mit dem Jungen vor?
Meine Frau beruhigt uns und sagt: »Wenn die mit dem Jungen Blumen kaufen geht, wird sie ihn ja nicht fressen wollen.«
Sie hat recht, ich nicke: »Ja, die wird sich nur in Szene setzen wollen.«
Frau Olugulade wird nun immer mehr abgelenkt, es treffen die ersten Trauergäste ein und gehen gemeinsam mit ihr in unsere Trauerhalle. Viele Leute tauchen allerdings nicht auf. Zu neu ist die Familie in unserer Gegend. Eine Frau vom Mütterkreis erscheint, ein Schwarzer, den wir zuvor nie gesehen haben, den Frau Olugulade aber weinend begrüßt, noch eine Frau aus unserem Stadtteil und später noch ein Spanier, den eigentlich niemand kennt, der aber beteuert, sehr zu trauern.
Der Friedhofsverwalter ruft an. Ja was denn nun sei, wann wir denn nun die Urnenbeisetzung haben wollten, ewig habe er auch keine Zeit, vor allem rege ihn auf, dass er nun in seiner grauen Uniform parat stehen müsse, weiter hinten auf dem Friedhof aber viel Arbeit auf ihn warte, die es aber nunmehr dringend erforderlich mache, dass er seine grünen Arbeitsklamotten wieder anziehe. Ja gut, so formuliert er das nicht, er sagt: »Ey, jetzt hab ich die Faxen langsam dicke, ich muss noch drei Löcher ausheben und sitz hier in der Uniform, wird das bei euch heut noch was?«
Frau Büser kommt herein: »Chef, hier ist jemand am Telefon.«
Es ist unsere geliebte Dorfklatschtante, die Gemüsefrau von vorne an der Ecke. »Sie suchen doch die Frau Birnenbaum, oder? Die steht nämlich drüben an der Kirche und lässt sich filmen, und die hat den Jungen dabei, den Sie apportiert haben. Nicht wahr, Sie wollen den doch apportieren, weil Ihre Frau keine Kinder mehr bekommen kann?«
Doofe Nuss! Meine Frau ist fruchtbarer als das Donaudelta, und wenn es nach der Zahl der Eisprünge ginge, könnten unsere Kinder in voller Mannschaftsbesetzung gegeneinander ganze Fußballturniere austragen …
Aber so ist das eben mit den Tratschweibern, sie wissen immer nur ein bisschen, den Rest dichten sie dazu, erst als Frage oder Behauptung, dann als Tatsache. Ich habe aber keine Zeit, um mit der Gemüsefrau über diesen Quatsch zu diskutieren, bedanke mich kurz, und schon sitzen wir im Auto, auf dem Weg zur Kirche. Ich am Steuer, neben und hinter mir meine Frau, Sandy und der allgegenwärtige Jussip.
Vor der Kirche bietet sich uns ein absonderliches Bild. Die Birnbaumer-Nüsselschweif hat sich eine Papptafel mit einem Holzständer bringen lassen, auf der sie Zeitungsausschnitte über ihre Afrika-Gruppe aufgeklebt und mit einem dicken Filzstift ihre Bankverbindung für Spenden aufgemalt hat. Vor diesem Plakat posiert sie in ihrem Walle-Walle-Mantel, wirft den Kopf mal nach rechts, mal nach links und rückt den etwas hilflos dreinschauenden Daniel, der ein kleines Nelkensträußchen in der Hand hält, hin und her.
Herr Boberitz, der Lokalberichterstatter vom »Stadtanzeiger«, einem unsäglich dämlichen, stets hofberichterstattenden Reklameblättchen für unseren Stadtteil, dirigiert den tanzenden Wal und knipst. Bobritz ist der einzige Fotograf, der es schafft, von einer Leiter herab Leute zu fotografieren und dennoch eine Froschperspektive hinzubekommen.
Ihm kann ich keinen Vorwurf machen, er will nur eine kleine Schlagzeile und ein paar Bilder. Doch die Nüsselbaum, die möchte ich schlachten!
»Sie haben ja nun mal gar keine Ahnung!«, keift mich die Birnbaumer-Nüsselschweif an, während Daniel zu meiner Frau läuft.
»Wissen Sie, was Sie sind?«, frage ich die Birnbaumer, und sie schneidet mir das Wort ab: »Ja, ich bin die Einzige, die hier Verantwortung übernimmt und Flagge zeigt. Das alles hier dient ja einem höheren Ziel, wovon Sie ja offensichtlich überhaupt keine Ahnung haben. Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen jeden Tag in Afrika sterben?«
»Sie sind so eine impertinente Hohldommel!«, rufe ich und fuchtele ihr mit den Händen vor dem Gesicht herum. Später sagte Sandy mir, es habe ausgesehen, als ob ich der Nüsselbirne den Hals umdrehen wollte. Und ja, innerhalb von Sekunden stehen wenigstens zehn Leute um uns herum, während ich von der Birnbaumer nichts anderes wissen will, als was ihr denn einfiele, so einen Zinnober zu veranstalten, während wir alle darauf warten, endlich die Beisetzung der Urne durchführen zu können.
Den Leuten ist es egal, um was es geht, Hauptsache, es ist was los.
Und natürlich lässt auch das grün-weiße Auto unserer Ordnungshüter nicht lange auf sich warten. Wer denn verantwortlich sei für diesen Menschenauflauf, wollen sie wissen, und dann deutet einer auf Frau Brüsselschweifs Plakat: »Wem gehört das Ding denn da? Es hat Beschwerden gegeben, Sie dürfen hier doch vor der Kirche nicht einfach einen Infostand aufbauen.«
Ich bin viel zu aufgeregt, und in mir läuft ein Film ab, in dem ich mir vorstelle, was man mit der Dicken alles anstellen und auf welche Weise man sie möglichst schmerzhaft ins Jenseits befördern könnte. Da bekommt das Wort »Menschenauflauf« eine ganz andere Bedeutung und auf einmal habe ich ein Bild vor Augen: die Nüsselschweif nackt auf einem Riesentablett, Petersilie in den Ohren, einen Apfel im dampfenden Maul und rund um die Hüften einen schönen Berg Kartoffelpüree …
»Was gibt es denn da zu lachen?«, will der andere Beamte von mir wissen, der sich offensichtlich verscheißert fühlt. Nur mit Mühe gelingt es meiner Frau, ihn davon zu überzeugen, dass ich ihn nicht gemeint haben könne und dass wir jetzt alle zu einer Beerdigung müssten.
Jussip nickt heftig, schürzt die Lippen und sagt: »Amen!«
»Also alle, die mit der Demonstration nichts zu tun haben, verschwinden jetzt hier!«
Man glaubt nicht, wie schnell wir, mitsamt Daniel, im Auto sitzen und wegfahren. Zurück bleiben die Nüsselschweif und zwei Handvoll Neugieriger.
Vor uns liegt die Beisetzung der Urne des Herrn Olugulade.
Gemeinsam laufen wir zum Friedhof. Vornweg meine Frau, Pastor Brentzinger und ich, dahinter Frau Olugulade mit den beiden Kindern, und daran schließt sich die kleine Trauergesellschaft an. Der Weg ist nicht weit, und der Friedhofswärter sieht uns schon kommen. Er hatte sich inzwischen für eine Kombination aus grauer Uniformhose und grüner Arbeitsjacke entschieden, und bis wir bei ihm sind, hat er sich einen grauen Kittel übergezogen und seine amtliche Schirmmütze aufgesetzt. Die Urne mit der Asche des Verstorbenen hält er unter dem Arm, als würde er ein Ferkel zu Markte tragen.
Ich schaue ihn an, ziehe die Augenbrauen hoch und gebe ihm ein kleines Zeichen, woraufhin er sich nun wenigstens die Urne mit beiden Händen vor die Brust drückt. Wir warten noch einen kleinen Moment, bis sich der alte Herr Pastor umgezogen hat. Schon vor Tagen hatte er von sich aus angefragt, ob er die Urnenbeisetzung übernehmen solle, und den ganzen Vormittag auf unseren Anruf gewartet. Jetzt ist er schon etwas schläfrig, aber guter Dinge.