Выбрать главу

Der Friedhofsverwalter geht mit der Urne vor der Brust neben Pfarrer Brentzinger vor uns her, und wir anderen folgen ihnen. Der Weg bis zum Grab an der Mauer ist nicht sehr lang, aber der Friedhofswärter biegt zweimal unnötig ab, dadurch stehen wir aber alle schön in Reih und Glied, als die kurze Zeremonie beginnt.

Wir vom Bestattungshaus halten uns im Hintergrund, am Grab stehen die wenigen Leute, die gekommen sind, und der Pfarrer betet, spricht der Familie in einer kurzen Ansprache Trost aus, und dann kommt der Moment, in dem der Friedhofsverwalter die Urne in das kleine Loch gleiten lässt.

Frau Olugulade schluchzt auf, und die Frauen neben ihr haben ihre liebe Mühe, sie etwas zu beruhigen. Daniel steht da und dreht verlegen sein Nelkensträußchen in den Händen. Ich trete vor, gebe ihm einen kleinen Stupser und nicke in Richtung Grab. Er versteht, geht die paar Schritte, schaut neugierig in das Loch und legt die Nelken daneben.

Das war sie, die Urnenbeisetzung des Herrn Olugulade, schmucklos, kurz und kalt, wäre da nicht Jussip gewesen.

Er beginnt erst zu summen, dann singt er mit voller, tiefer Stimme ein Lied in einer Sprache, die ich nicht kenne. Langsam, ergriffen und mit geschlossenen Augen singt er Strophe um Strophe. Im wahrsten Sinne des Wortes ist außer dem Gesang nur Totenstille. Als er fertig ist, wischen sich alle ein paar Tränen aus den Augen.

Nach der Beisetzung erzählt uns Daniel, was während seines Verschwindens wirklich passiert war; dass er aus völlig freien Stücken losgelaufen sei, um Blumen für seinen Papa zu kaufen, und bei dieser Gelegenheit sei er der Birnbaumer geradewegs in die Arme gelaufen. Die habe für den Morgen einen Pressetermin gehabt und hatte nun nichts anderes im Sinn, als den kleinen Schwarzen zu diesem Termin mitzunehmen.

Dass der Junge dadurch beinahe die Beisetzung seines eigenen Vaters verpasst hätte, juckte die Dicke einfach nicht. Das tat sie mit einem stirnrunzelnden »Das glauben Sie ja wohl selbst nicht!« ab, als ich sie zwei Tage später deswegen zur Rede stelle und ihr Vorhaltungen mache.

Ich hätte das alles auch einem Eimer Elbewasser erzählen können, so wirkungslos verpuffte das. Anders gesagt: Eher hätte ich das Elbewasser dazu überreden können, aus dem Eimer in den Fluss zu hüpfen und gegen die Strömung zu fließen, als dass die Birnbaumer-Nüsselschweif auch nur im Geringsten darauf reagiert hätte.

Wenn man diese Frau einmal erlebt hat, dann weiß man, dass die einem sowieso nie zuhört. Besonders einfallsreich und eloquent ist sie nämlich nicht, redet aber dennoch unablässig, wenn es sein muss. Wenn ich ihr etwas sage, dann merke ich, dass sie mir in den seltensten Fällen überhaupt zuhört, viel zu sehr ist sie schon mit dem nächsten ihrer Sätze beschäftigt, kann kaum abwarten, bis man fertig ist, und plappert dann drauflos. Meistens hat das, was sie sagt, nichts mit dem zu tun, was man selbst gesagt hat.

Wenn ich jetzt schreibe, dass diese Frau eine dumme Kuh ist, sage ich noch viel zu wenig. Und dennoch gibt es Tausende in unserem Stadtteil, die glauben ernsthaft, diese Frau komme gleich nach dem heiligen Franziskus.

Frau Olugulade und ihr Kleiner taten dann noch etwas Unerwartetes. Sie zogen von hier weg. Wortreich, doch ohne dass ich wirklich daraus schlau wurde, erklärte sie mir, dass sie eine tolle Wohnung in einem zwölf Kilometer entfernten Ort gefunden habe und nun unbedingt dorthin ziehen müsse.

Man muss wissen, dass wir ja nicht die Einzigen waren, die sich um die Familie sorgten und kümmerten. Irgendjemand hatte dort etwas Passendes für die Frau und ihre Kinder gefunden und bot ihr sogar eine Arbeitsstelle an. Damit lief alles etwas anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass das Ganze zum Nachteil für Frau Olugulade war. Es wäre ihr ja kein bisschen mehr geholfen gewesen, wenn es nun ausgerechnet nur nach meiner Nase gegangen wäre, und wer sagt, dass ausgerechnet das, was ich mir überlegt hatte, auch das Beste war?

Daniel blieb allerdings noch bei uns, insgesamt sollten es fast anderthalb Jahre werden, bis er endlich zu seiner Mutter ziehen konnte.

Er weinte fürchterlich, als er mithalf, seine ganzen Sachen in unseren Wagen zu packen; zu sehr hatte er sich an uns alle gewöhnt. Eine Stunde später war alles vorbei, ich hatte Daniel bei seiner Mutter abgeliefert, die mir aus Dankbarkeit eine selbstgenähte Decke schenkte.

Die Decke halten wir noch heute in Ehren, von Daniel und seiner Mutter habe ich nie wieder etwas gehört …

Tratsch im Treppenhaus

Der Bestatterberuf erfordert nicht nur Einfühlungsvermögen und kaufmännisches Geschick, sondern auch Kraft. Die Menschen werden immer größer und schwerer, und so wiegt heute ein durchschnittlicher, beladener Sarg zwischen 80 und 110 Kilo. Hat man aber einen Mann zu transportieren, der alleine schon 140 Kilo auf die Waage brachte, so kann man sich leicht vorstellen, dass das ein Kraftakt ist. Manchmal wird einem dieser Kraftakt aber auch noch unnötig erschwert, und das Sargtragen wird zur Anstrengung, selbst wenn nur eine schmale alte Dame darin liegt.

Ich glaube, es gibt kaum einen Dialekt, in dem nicht schon das gleichnamige Theaterstück auf irgendeiner Volksbühne aufgeführt worden ist, den meisten wird es mit Heidi Kabel und Henry Vahl in den Hauptrollen besonders in Erinnerung sein. An dieses Theaterstück fühlte ich mich heute Nacht erinnert, als wir einen Verstorbenen aus einem Mietshaus abgeholt haben. Nun ist es sowieso oft schon nicht so ganz einfach, eine Trage mit einem Verstorbenen durch ein enges Treppenhaus zu bugsieren. In diesem speziellen Treppenhaus, von dem hier die Rede ist, wurde das zunächst mal dadurch erschwert, dass auf den Treppenabsätzen ganze botanische Gärten angelegt waren und an den Wänden überall Bilder hingen. Da heißt es doppelt aufpassen und dicke Arme haben, denn es geht oft um Zentimeter, und wenn die fehlen, muss man sich umso mehr plagen und die Trage oft weit über Kopf stemmen, dann wieder ganz tief herablassen, um sie dann wieder hochzustemmen. Das gibt kräftige Arme, geht aber auch ziemlich auf den Rücken. Je mehr Krempel in einem Treppenhaus herumsteht, umso schwieriger wird die Arbeit für uns.

Heute Nacht war es das vierte Obergeschoss, mit der Eingangstreppe also neun Treppen. Auf jeder Etage gab es zwei Wohnungstüren, und in wirklich jeder Wohnungstür standen Leute, entweder einzeln, im Doppelpack oder sogar ganze Familien. Alle steckten neugierig ihre Köpfe vor. Das ist nicht normal, denn üblicherweise bekommt in so einem Haus jeder alles mit, und die wissen ganz genau, dass der Bestatter da ist, und jeder bleibt angesichts unseres Auftauchens in seiner Wohnung. Hier war das anders. Vor allem gab es eine Frau, die sogar nachts einen geblümten Haushaltskittel trug, die uns schon unten an der Tür in Empfang nahm. Zunächst dachte ich, das sei eine Verwandte, erst später stellte sich heraus, dass sie die Hausmeisterin war. Die wich auch nicht von unserer Seite, lediglich beim Umbetten der Verstorbenen blieb sie, wie alle anderen auch, außen vor.

Dann aber übernahm sie das Gesamtkommando. Wild mit den Armen fuchtelnd, bahnte sie uns den Weg, wies ständig darauf hin, dass wir ja das neugestrichene Treppengeländer nicht verkratzen und bloß keine Bilder von der Wand reißen oder Blumen umwerfen sollten. Auf jeder Etage blieb sie kurz stehen, wir mit der schweren Trage hinter ihr, damit sie den jeweiligen Nachbarn eben mal erzählen konnte, dass Frau Sowieso gestorben sei und wie die doch zuletzt gelitten hat und dass wir die Bestatter sind und dass die jetzt bei uns auf der Trage liegt und dass wir sie jetzt wegbringen. Nachdem sie das das dritte Mal erzählt hatte, stieg in mir der unbändige Wunsch auf, der Frau einfach einen kleinen Tritt zu geben, Platz hätten wir im Wagen noch gehabt!