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Schon viermal hatte ich ihr gesagt: »Das ist schwer hier, halten Sie uns bitte nicht auf!«

Und jedes Mal hatte sie genickt und irgendwas wie »Bahn frei!« gerufen, blieb dann aber doch wieder an der nächsten Tür stehen.

Als wir endlich unten waren, war sie offenbar so froh, dass wir nichts kaputt gemacht hatten, dass sie mir und dem Fahrer ein Trinkgeld geben wollte, jedem einen Euro. So was kommt manchmal vor, aber Münzen sind da eher selten. Jetzt haben wir beim Abtransport einer Leiche naturgemäß beide Hände voll, und ich hätte gar nicht gewusst, wie ich ihre Münze annehmen sollte. Gerade fuchtelte sie dem Fahrer mit dem Euro vor dem Gesicht herum, da fällt mir auf, was der für eine dicke Unterlippe hat. Wenn der die jetzt ein wenig vorstülpt, denke ich, könnte man den Euro … Ich muss mir wirklich Mühe geben, nicht zu lachen und Würde zu bewahren.

Endlich sind wir am Auto und können die Trage hineinschieben, und endlich kann die Hausmeisterin dem Fahrer seinen Euro geben, dann kommt sie zu mir, drückt mir auch einen Euro in die Hand, hält kurz inne und fragt: »Sind Sie der Chef?« Ich nicke, und zack ist der Euro wieder verschwunden: »Dem Chef gibt man ja kein Trinkgeld …«

Ach Mann, ich hätte so viel vorgehabt mit dem Geld!

Tschüss, Alter – mach’s gut!

Im Anschluss an die folgende Geschichte werde ich von einer Rockerbeerdigung erzählen, bevor ich das aber tue, passt diese Geschichte hier ganz gut dazu.

Pepi war Schönwetterrocker und Tätowierer und ist im Alter von 56 Jahren, die man ihm nicht ansah, er sah aus wie 70, schon letzte Woche verstorben. Magenkrebs.

Gut, der hat gesoffen, geraucht und auch ansonsten eher unsolide gelebt, dass der früh stirbt, war irgendwie jedem klar, vermutlich auch ihm selbst.

Heute Vormittag war die Trauerfeier hier bei uns in der Trauerhalle. Jetzt bringen wir den Sarg ins Krematorium, und später kommt die Asche in einen Friedwald.

Die Trauerfeier war schön. Ungefähr achtzig Leute waren gekommen, eher aus der Tattoo-Szene als aus der Rocker-Ecke, obwohl es da Überschneidungen gibt, wie man an den vielen Mopeds und Motorräder, auf unserem Hof erkennen konnte. Pepi hatte zu Lebzeiten gesagt, man solle seinen Abschied feiern und sich drüber freuen, dass man ihn gekannt habe, und nicht flennen, weil er gehen muss.

Also gab es ein Fass Bier.

Der Sarg stand in der Mitte der Trauerhalle, auf dem Deckel ein Krug mit Gerstensaft, und ringsherum standen und saßen die Trauergäste, prosteten sich und Pepi zu, hörten metallische Musik und erzählten sich die Geschichten, die sie mit Pepi verbanden.

Mit einem »Tschüss, Alter, mach’s gut!« verabschiedeten sich die Leute, als das Fass leer war, und selbst seine Witwe machte einen gelösten und zufriedenen Eindruck: »So hat der sich das gewünscht!«

Und genau darauf kommt es in unserem Beruf an, finde ich.

Born to be wild

Ich kenne Motorradclubs oder Bikerclubs, wie das heute so schön heißt, noch unter der Bezeichnung Rockerbande und muss sagen, dass ich jedes Mal ein ganz klein wenig Angst bekomme, wenn mir auf der Landstraße so eine Kolonneschwerer Motorräder begegnet. Die Fahrer und Mitfahrer sehen ja auch wirklich zu martialisch aus mit ihren schwarzen Lederjacken und den Helmen. Wahrscheinlich wollen die mir gar nichts tun, aber ich glaube, die wirken gerne ein bisschen gefährlich und sehen es gar nicht ungern, wenn unsereins ein bisschen vor ihnen bibbert.

Egal, die zwei die gerade aus meinem Büro raus sind, waren jedenfalls echte Rocker. Wie zwei Messdiener standen sie brav und ehrfürchtig nebeneinander, ganz in Leder. Der eine mit verspiegelter Sonnenbrille, der andere mit einem Piratenkopftuch. »Den Pepi hat’s zerbröselt.«

Ich nehme mal an, dass soll bedeuten, dass ein Motorradfahrer namens Josef ums Leben gekommen ist, und so ist es auch. Heuler und Bobo nennen sich die zwei und erzählen mir, dass Pepi (ist das eigentlich ein besonders verbreiteter Name unter Motorradfahrern, oder bringe nur ich reihenweise Biker-Pepis unter die Erde?) von einem Autofahrer geschnitten worden und seine »Mühle« quasi über ihn drübergewalzt sei.

»Kohle hammer genuch«, sagt Heuler und legt zum Beweis ein ganzes Bündel auf den Tisch. »Wir hamm zusammengelecht!«

Bobo nickt zustimmend und zupft an seinem Piratentuch.

»Ne dicke Kiste« wollen sie, und die Beerdigung muss am Mittwoch sein, das hätte man so mit den anderen Clubs abgesprochen, die alle mit einer Abordnung kommen wollen. Wie viele Leute denn da kämen, will ich wissen.

»So an die dreihundert etwa und alle mit Mühlen«, sagt Heuler, und was macht Bobo? Genau! Der nickt und nestelt am Kopfschmuck.

Sie wollen den »Kennedy«, eine Klapptruhe aus Holz nach amerikanischem Muster. Blumenschmuck ohne Ende, und vorne am Sarg soll ein Emblem mit »Harley Davidson« angenagelt werden.

Die Trauerfeier soll in ihrem Clubhaus stattfinden. Das ist einerseits draußen vor den Toren der Stadt in einer ehemaligen Fabrik, und andererseits stellt uns das vor ein Problem. Trauerfeiern mit Sarg sind in Deutschland nur in der Friedhofskapelle oder in extra dafür zugelassenen Räumen, beispielsweise unserer Hauskapelle, erlaubt.

»Wir woll’n aber die Mühle vom Pepi aufbauen, seinen Sarch davor un dann alle einen auffen Pepi heben.«

Ich überlege hin und her und komme dann zu dem Ergebnis, dass ich bei dreihundert Leuten unmöglich unsere eigene Kapelle vorschlagen kann, die ist mit knapp zweihundert Sitzplätzen zu klein, selbst die Trauerhalle auf dem Friedhof, den die wollen, ist zu klein.

Da kommt mir die rettende Idee.

»Wir machen das so: Sie machen die Trauerfeier in Ihrem Clubhaus, mit Drehbühne und kaputtem Motorrad, genau so, wie Sie das geplant haben. Vor das Moped stellen wir ein großes Foto vom Pepi, und meinetwegen können Sie dort auch auf Ihren Kameraden anstoßen. Wir kommen mit dem Sarg da hin, machen am Bestattungswagen die Gardinen auf, damit der Sarg mit den Blumen sichtbar ist, und dann fahren wir im Konvoi vom Clubhaus zum Friedhof.«

»Jau«, sagt Heuler. Und Bobo? Genau, Bobo nickt und zupft. Nicht mal gegen das Wort Moped haben die etwas einzuwenden.

»Born to be wild« wollen sie auf dem Friedhof gespielt haben, wenn der Sarg abgelassen wird.

»Alter, das geht alles klar, oder?«

Ja, Heuler, das geht klar!

Die zwei gehen wieder, nachdem Bobo alles unterschrieben hat, der ist nämlich für den Schreibkram zuständig.

Wir müssen jetzt wirken, und zwar heftig! Der Verstorbene muss zweihundert Kilometer weit entfernt abgeholt werden. Und der Bestattungswagen muss umgebaut werden, denn anders als die Leute glauben, haben die keine Gardinen, sondern fest bespannte Tafeln, die zwar herausnehmbar sind, aber dennoch ist das ein Akt. Außerdem muss ich erst einmal mit dem Ordnungsamt und der Polizei telefonieren, wie das mit dem Konvoi aussieht, das dürfte aber klargehen, wahrscheinlich bekommen wir einen Streifenwagen zur Begleitung. Dann einen Pfarrer finden, der die Feier im Clubhaus macht, auch das wird gehen, denke ich, ich habe da schon einen im Auge, der lange in Amerika war. Das größte Problem wird wieder das Friedhofsamt sein. Ich muss einen Termin bekommen, der absolut frei ist, das heißt, dass vor- und hinterher keine anderen Beerdigungen sind.

Ich muss mit dem Landwirt sprechen, dem das Brachgelände am Friedhof gehört, ob die da mit ihren Motorrädern parken dürfen. Unsere Musikanlage muss gecheckt werden, damit wir »Born to be wild« spielen können.

Mal sehen, ob ich ein Grab finde, das nicht in dritter Reihe am engsten Weg liegt, damit auch alle bei der Grablegung etwas sehen.