Ich sehe schon, ich werde Bakschisch brauchen und viel telefonieren müssen.
Der Boden hat regelrecht vibriert, als die Motorräder sich dem Friedhof nähern.
Ein Landwirt hat einen Acker in der Nähe mit Stroh bestreut, und dort können die Mitglieder der diversen Motorradclubs ihre Maschinen abstellen. Schön weit voneinander getrennt die Anhänger der »3-Zimmer-Küche-Bad«-Goldwings und die Harley-Fahrer.
Insgesamt hat man eher den Eindruck, die Leute kommen zu einem Biker-Treffen als zu einer Beerdigung. Aber warum sollte das bei denen anders sein als bei normalen Familien auch, wo die Trauer des Anlasses oft durch die Wiedersehensfreude unter entfernt wohnenden Verwandten überdeckt wird.
Zur vorgesehenen Stunde gibt Sandy, die die Gesamtkoordination innehat, über das Funkgerät das Kommando, und während auf dem Friedhof die Totenglocke geläutet wird, startet unser Bestattungswagen etwa 300 Meter entfernt in einer Seitenstraße seine Fahrt. Die Sichtblenden haben wir entfernt, so dass man einen ungehinderten Blick auf den Sarg mit den Blumen werfen kann.
Langsam nähert sich das Fahrzeug, und als es sichtbar wird, verstummt auch jegliches Palaver. In einer stummen Prozession schließen sich nach und nach über 300 Biker und Bikerinnen dem Bestattungsauto an, angeführt vom Pfarrer, der Familie und den engsten Freunden des Verstorbenen. Einige Bikergruppen tragen Kränze, Blumengestecke in Herz- und Kreuzform, und eine der Abordnungen trägt eine etwas zerfetzte Jeansjacke wie eine Reliquie: die Kutte des Verstorbenen mit den Colors, wie man mir später erklärt, also dem Abzeichen und den Farben seines Clubs.
Während der Bestattungswagen eine Ehrenrunde um das große Rondell mit dem acht Meter großen Jesuskreuz dreht, bekommen die Trauergäste jeweils ein Blumensträußchen und einen Zettel mit Gebetstexten in die Hand gedrückt. Darum hat der Pfarrer gebeten, weil er sich nicht sicher ist, ob alle wohl die gängigen Gebete so genau kennen.
Inzwischen wird die Klappe des Bestattungswagens geöffnet und der Sarg von unseren Mitarbeitern auf einen Katafalk gestellt. Danach fährt der Bestattungswagen langsam weg. Eine Abordnung des Motorradclubs, sechs Mann, nimmt den Sarg auf die Schultern und marschiert über den breiten Mittelweg des Friedhofs zum südlichen Teil, zum Grab. Während des ganzen Weges läutet die Totenglocke und abgesehen vom eintönigen Bimm-Bimm der Glocke und dem Knirschen der Motorradstiefel auf dem Kies des Weges ist es totenstill.
Am Grab angekommen, übernimmt der Pfarrer mit kurzen Handzeichen das Kommando, wir sortieren die Gäste ein, so dass möglichst viele etwas sehen können. Ein bisschen komme ich mir wie ein Einweiser auf einem großen Parkplatz vor. Trotzdem dauert es deutliche zehn Minuten, bis alle ordentlich untergebracht sind.
Die Totenglocke ist inzwischen verstummt, und dann beginnt der Pfarrer seine kurze Ansprache. Vorne am Grab haben wir ein Standmikrofon aufgestellt; ich hasse es, wenn da vorne einer redet und man nichts hört.
Nach dem Pfarrer treten etliche Freunde, auch der Präsident und der »hangman« (was immer das auch ist) seines Clubs vor und sprechen ebenfalls ein paar Worte. Ich sage euch, auch Rocker können weinen!
Dann erst wird der Sarg in die Grube abgelassen, und der Pfarrer spricht die Aussegnungsworte. Dank der ausgeteilten Zettel können dann alle gemeinsam mit ihm beten.
Der nachfolgende Teil ist der ergreifendste. Einer nach dem anderen treten die Anwesenden vor und werfen ihre Blumensträußchen in das Grab. Dreimal muss »Born to be wild« gespielt werden, jeweils mit einer Pause dazwischen, bis alle durch sind.
Insgesamt dauert es deutlich über eine Stunde, bis die Biker den Friedhof wieder verlassen haben. Vor dem Tor warten zwei Polizeimotorräder und ein Streifenwagen. Die Geräuschkulisse, als die ganzen Maschinen anspringen und hinter den Polizeifahrzeugen herfahren, ist unbeschreiblich!
Noch Minuten später hing der typische Benzingeruch von Motorrädern in der Luft.
Ich glaube, es ist eine gute Sache, dass das Vereinsheim dieses Motorradclubs in einer ehemaligen Fabrik weit vor der Stadt liegt, denn das Fest zu Ehren des verstorbenen Bikers sollte bis in die frühen Morgenstunden gehen. Fast habe ich es ein bisschen bedauert, dass ich der Einladung, da teilzunehmen, nicht gefolgt bin. Ich habe zwar auch ein Motorrad, aber die Welt dieser Motorradclubs ist mir doch zu fremd.
Eine Leiche im Keller
Bestatter zu sein, das heißt, dass man 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr Dienst hat. Zu jeder beliebigen Zeit kann das Telefon klingeln und ein Auftrag hereinkommen. Dann kann man nicht sagen: »Wir kommen Montagmorgen vorbei« oder »Wir haben jetzt schon geschlossen«, sondern dann muss man raus, egal ob es draußen schneit, hagelt, regnet oder ob es 40 Grad im Schatten sind. In früheren Zeiten bedeutete das auch, dass immer jemand zu Hause bleiben musste, damit das Telefon bewacht war. Seit es Handys gibt, haben wir es da leichter. Aber trotzdem: Egal ob Weihnachten oder Ostern, Gevatter Tod kennt keine Dienstzeiten und schlägt zu, wann es ihm beliebt, auch wenn in einer Familie gerade Geburtstag gefeiert wird.
Familie Brondes hatte zur Feier des 70. Geburtstages des Hausherrn geladen. Verwandte, Freunde und Bekannte waren gekommen, das Haus der Brondes war übervoll. Es wurde lange gefeiert, und das gute kalte Buffet von Metzger Schuck war schneller abgeräumt, als es dem Jubilar lieb war. Gegen Mitternacht beschloss er daher, aus dem Keller noch ein Dutzend Dosen guter Gulaschsuppe hochzuholen, damit seine Frau den verbliebenen Gästen noch etwas Warmes machen konnte.
Die Uhr zeigte sicherlich schon gegen vier, als die letzten Gäste das Haus der Brondes verließen. Es waren vornehmlich diejenigen, die nicht so weit entfernt wohnten und zu Fuß nach Hause gehen konnten; fahren konnte keiner mehr, dafür hatte der alte Brondes als guter Gastgeber gesorgt.
Wenig später schlief das Ehepaar Brondes, nicht mehr ganz nüchtern, aber sehr zufrieden ein. Es war eine schöne Feier gewesen, und man würde noch lange von dem schönen Tag zehren. Der aufmerksame Leser wird sich fragen, wo die übliche Leiche bleibt, denn die meisten Geschichten, die ein Bestatter erzählt, haben etwas mit einem Toten zu tun. Und wer da insgeheim spekuliert, Herrn oder Frau Brondes könnte in dieser Nacht etwas passiert sein, der irrt.
Die beiden haben die Nacht in bester Gesundheit überlebt, und dennoch mussten wir am nächsten Morgen einen Verstorbenen im Hause der Brondes abholen.
Gut, so ganz stimmt das nicht: Es war nicht am Morgen, sondern schon gegen Mittag. Für Frau Brondes war es aber nach der langen Feier vom Vortag wie am frühen Morgen. Ein menschliches Bedürfnis hatte sie gegen zehn Uhr aus dem Bett getrieben, und ursprünglich hatte sie vorgehabt, sich noch ein Stündchen hinzulegen. Doch als gute Hausfrau konnte sie nicht an ihrer unaufgeräumten Küche vorbeigehen, und wenig später war sie voll damit beschäftigt, Ordnung zu schaffen. Die Geschirrspülmaschine war schnell eingeräumt, aber wie es aussah, würde sie die noch drei- oder gar viermal laufen lassen müssen, bis alles weggespült sein würde. Als Nächstes mussten zwei ungeöffnete Dosen von der Gulaschsuppe wieder in den Keller gebracht werden.
Frau Brondes ging zur Kellertür, öffnete sie, tastete links nach dem Lichtschalter, und als die Neonröhren endlich richtig aufflammten, zuckte sie zurück und ließ vor Schreck die beiden Dosen fallen. Am Fuß der Treppe lag in einer großen Blutlache ein Mann. So schnell war der alte Brondes noch nie auf den Beinen gewesen, der Schrei seiner Frau hatte ihn hochgerissen und mit etwas kreislaufschwachen Beinen stakste er die Kellertreppe hinunter, um unten angekommen festzustellen, dass der Mann in der Blutlache Herr Anderle war, ein guter Bekannter aus dem Kleingartenverein. Und Herr Anderle war tot. Es folgte das übliche Programm: Polizei, Kripo, Arzt, dann wir.