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Die Männer nicken, und Manni holt die Sacktrage. Grauer, abwaschbarer, plastifizierter Stoff, ein langer Reißverschluss, mehrere Gurte zum Zuschnallen und ringsherum Griffschlaufen zum Tragen. Da hinein betten wir den Verstorbenen, Manni legt einen Rachenverschluss. Das ist ein Spray, das tief in den Hals gesprüht wird und sich dort ausdehnt. Wir werden den Mann möglicherweise im Transportsack auch kopfüber stellen müssen und wollen unangenehme Überschwemmungen im Leichensack vermeiden.

Dann ziehen wir den Reißverschluss zu, und los geht’s. Es sind wirklich vier Mann notwendig – nicht etwa weil der Verstorbene so schwer wäre, sondern einfach weil es viel zu eng ist in der Wohnung.

An manchen Stellen sind nur wenige Quadratzentimeter Boden zu sehen, man kann nur die Füße voreinandersetzen, sich seitwärts zwischen den Stapeln hindurchschieben. Der Mann hat zu Lebzeiten so viele Türme aus Gerümpel aufgebaut, dass wir die Sacktrage 15- bis 20-mal senkrecht stellen müssen.

Zwei Mann halten sie hoch, die anderen beiden müssen sich an der Sacktrage vorbeizwängen und sie dann um die Ecke ziehen, was dadurch erschwert wird, dass man nicht nebeneinanderstehen kann.

Gut eine halbe Stunde ziehen, zerren und stemmen wir, manchmal stecken wir regelrecht fest, müssen wieder drei, vier Meter zurück, damit noch ein Mann an der Sacktrage vorbeikann, und durch die rege Tätigkeit in der Wohnung wird allerlei Ungeziefer zu erhöhter Aktivität angeregt. Es krabbelt wirklich überall, an den Wänden, auf dem Boden, ja sogar an der Decke.

Klirrend stürzen Flaschen zu Boden, als wir in der Küche um die Ecke biegen, doch kurz darauf haben wir es geschafft, sind nassgeschwitzt und haben den Verstorbenen endlich im Treppenhaus. Dort empfängt uns Stimmengewirr, die ganzen Hausbewohner scheinen sich versammelt zu haben. Ich bitte die Leute, eine Treppe weiter hochzugehen, damit wir Platz haben. Sie machen das auch, und ich merke, dass man uns Sympathie entgegenbringt – man ist froh, dass wir den Mann abholen, dass der Spuk im Kellergeschoss bald ein Ende hat. Traurig.

Der Rest ist schnell erledigt. Den Verstorbenen in den Bestattungswagen zu legen, die Klappe zu schließen, das dauert nur wenige Minuten. Ein Hausbewohner kommt und bringt ein Tablett mit vollen Schnapsgläsern: »Den werden Sie jetzt brauchen.« Da hat er recht!

Zu Hause ist erst einmal Duschen angesagt. Die Kleider fliegen komplett in den Wäschesack, doch ich habe das Gefühl, als röche ich trotzdem immer noch nach fauligem, muffigem Müll.

Herr Huber macht sich in unserem Versorgungsbereich direkt daran, den Verstorbenen zu waschen und ansehnlich zu machen. Er wird zwar nicht aufgebahrt, aber der Mann ist so schmutzig, das kann man nicht so lassen.

Später am Tag kommt Frau Klemperer, man sieht es ihr an, dass es ihr peinlich ist, wie wir ihren Bruder vorgefunden haben.

Vor zwölf Jahren hat ihn seine Frau verlassen, was der Mann nicht verkraftet hat. Wenige Monate später kam er in die Psychiatrie, blieb dort ein halbes Jahr und bekam dann von der Stadtverwaltung eine kleine Wohnung zugewiesen. Frau Klemperer erzählt, ihr Bruder habe sich von der Regierung verfolgt gefühlt und sei fest davon überzeugt gewesen, dass er alles Mögliche sammeln müsse, um sich für eine Belagerung zu wappnen. Schon die erste Wohnung habe er verwahrlosen lassen und mit Sammelgut vollgestellt.

Damals wurde er wieder in die Psychiatrie eingewiesen, doch das war dann auch das letzte Mal. Eine zweite Wohnung folgte, die verlor er auch wieder und bekam dann die jetzige Wohnung zugewiesen, die der städtischen Wohnungsgenossenschaft gehört. »Da konnte man ihn nicht so einfach rausschmeißen, und in die Psychiatrie kam er ja auch nicht mehr. Die haben gesagt, solange er niemandem was tut, kann man da nichts machen.«

Alle paar Monate habe der Hausverwalter das Gesundheitsamt gerufen und in Abständen von etwa zwei Jahren sei die Wohnung zwangsweise komplett entrümpelt und von einer Hygienefirma »entwest« worden.

»Das, was Sie da heute vorgefunden haben, das ist von den letzten 18 Monaten. Der war den ganzen Tag unterwegs und hat gesammelt. Das Zeug hat er dann irgendwo in der Stadt in Büschen und Unterführungen versteckt und abends im Schutz der Dunkelheit in seine Wohnung geschafft.«

Kontakt habe sie kaum noch zu ihrem Bruder gehabt. Der hatte kein Telefon, meldete sich auch nie, und ihr war es irgendwann so peinlich, dass sie sich bewusst nicht mehr gekümmert hat. »Dem war auch nicht zu helfen.«

Das Schlimme allerdings ist, dass Frau Klemperer kein Scheidungsurteil von ihrem Bruder hat. Das benötigen wir aber zur Beurkundung des Sterbefalls beim Standesamt. »Das muss irgendwo in dem ganzen Zeug sein, das er gesammelt hat. Du meine Güte, was kommt da denn jetzt auf mich zu?«, jammert Frau Klemperer.

Ich beruhige sie und gebe ihr die Telefonnummer eines Bekannten, der eine Spezialfirma für Haushaltsauflösungen und Entrümpelungen hat. Der ist sehr zuverlässig, und normalerweise kommt das die Auftraggeber auch recht günstig, weil verwertbare Gegenstände angerechnet werden. In diesem Fall dürfte das anders aussehen, denn Verwertbares wird es nicht geben.

»Das macht nichts«, sagt Frau Klemperer. »Geld habe ich genug, Hauptsache, ich muss da nicht selbst alles nach Dokumenten durchsuchen.«

Noch am gleichen Tag bringen wir den Mann zum Krematorium, besorgen eine vorläufige Genehmigung, und für uns ist damit alles erledigt. Es gibt keine Anzeige in der Zeitung, keine Trauerfeier, nichts.

Was bleibt, ist ein Haufen Müll. Die Entrümpelungsfirma hat vier Tage benötigt, um alles zu entsorgen, Dokumente wurden nicht gefunden. Danach kamen die Entweser, vernichteten alles Ungeziefer, sprühten Gift in die letzten Ritzen und entfernten alles aus der Wohnung bis auf den blanken Putz. Der Geruch soll angeblich geblieben sein. So wenig bleibt manchmal von einem ganzen Menschenleben …

Der Weihnachtsmann ist tot

Ich schrieb ja bereits, dass Gevatter Tod keine Dienstzeiten kennt und auch an Festtagen wie Weihnachten keine Pause macht. Manchmal sucht er sich aber auch die ungünstigsten Zeitpunkte aus, die man sich vorstellen kann.

Es ist ein Samstag, kurz vor Weihnachten, die Zeit der Weihnachtsfeiern. An diesem Samstag haben wir aus dem »Sauren Hahn« den Weihnachtsmann abgeholt. Er ist halbnackt vom Tisch gefallen, tot.

Die Belegschaft eines innerstädtischen Friseursalons, alles Frauen, hatte sich dort zu ihrer alljährlichen Weihnachtsfeier eingefunden. Zu vorgerückter Stunde, man hatte das Essen schon nahezu endverdaut und dem reichlich angebotenen Alkohol kräftig zugesprochen, kam die große Stunde des Weihnachtsmannes.

Der kam in rot-weißem Mantel, schwarzer Hose, schwarzen Stiefeln und mit prallgefülltem Sack in den Saal und rief wohl ein paarmaclass="underline" »Hohoho!«

Dann holte er aus dem Sack einen tragbaren CD-Spieler, schaltete ihn ein und hüpfte zu den Klängen von »It’s raining men« auf einen der Tische, um sich zuerst den falschen Rauschebart vom Gesicht und dann die Klamotten vom Leib zu reißen.

Mittlerweile wissen wir, dass der Mann einunddreißig Jahre alt war, Maik mit »ai« hieß, aus Greitz stammte und vermutlich nicht »Hohoho« sondern »Höhöhö« gerufen hat. Er soll gerade dabei gewesen sein, seinen Hosengürtel zu öffnen, um die kreischenden Damen mit der Striptease-Nummer, für die er gebucht war, zu erfreuen, da hat er die Augen verdreht und sich wortlos aus dem Leben verabschiedet.

An dieser Tatsache vermochte auch der eilends herbeigerufene Notarzt nichts mehr zu ändern, weshalb die Ordnungsmacht dann uns mit dem Abtransport und der vorübergehenden Gewährung einer adäquaten Bettstatt betraute.

Die oberste der haareschneidenden Tanten meinte ausgerechnet mich fragen zu müssen, ob ich mich da auskenne und wie das denn so sei. Nun ja, mich fragen ja oft irgendwelche Angehörigen auch zu ungünstigen Zeiten so allerlei Dinge. Manchmal stemmen wir gerade einen zwei Zentner schweren Toten durch ein enges Treppenhaus, und dann fragt mich irgendein Neffe, ob ich schon wisse, wann die Beerdigung stattfinde oder wo man denn einen besonders preiswerten Kranz kaufen könne.