Machen wir alles.
Am nächsten Tag ist eingeplant, dass unser Herr Mölbert gegen 5 Uhr morgens losfährt, um spätestens 8 Uhr die Verstorbene aus dem Heim zu holen. Doch daraus wird nichts. Ich liege noch im Tiefschlaf, es ist kaum 3 Uhr, da geht mein ganz geheimes, ganz privates Telefon, das Telefon, von dem jeder meiner Mitarbeiter weiß, dass, wenn er da wegen was Unwichtigem anruft, sofort die standrechtliche Erschießung droht.
Es ist unser Mann, der Telefondienst hat. »Chef, wir müssen sofort ins Siegerland fahren, das Altersheim hat angerufen. Die haben gesagt, wenn wir nicht sofort die Tote da abholen, rufen die die Polizei.«
Ich lasse mir die Nummer vom Heim geben und rufe da an. Eine Schwester Ignatia meldet sich, vom Namen her also offensichtlich eine Nonne. Wir sollen uns doch bitte beeilen, die Angehörigen dieser verstorbenen Frau seien wohl religiöse Eiferer. Man habe die Verstorbene dort im Heim gewaschen und frisiert, und nun säßen etwa zehn Leute um die Tote herum und würden schon seit Stunden lauthals religiöse Erbauungslieder singen. »Die anderen alten Leute hier im Heim wollen doch auch irgendwann mal schlafen!«
Kaum zwanzig Minuten später hat Herr Mölbert, dem das gar nicht passte und den ich erst mit 50 Euro extra versöhnen muss, den Sarg eingeladen und fährt los. Etwa zwei Stunden, vielleicht zweieinhalb wird er brauchen. Während er unterwegs ist, ruft das Heim noch zweimal an, wann denn der Mann endlich käme, das sei nicht auszuhalten, und die Sänger ließen sich nichts sagen. Kurz vor sieben ruft mich Mölbert, der wieder auf der Rückfahrt ist, an und meldet, die Oma liege jetzt endlich im Sarg. Das sei noch ein Kampf gewesen, weil die Angehörigen so abgedreht gewesen seien, die hätten singend den Sarg begleitet und die ganze Nachbarschaft rebellisch gemacht.
Etwa um 10 Uhr ist der Wagen bei uns auf dem Hof, der Sarg wird ausgeladen und in unsere Räume gebracht. Mölbert nimmt den Deckel ab und sagt mir, ich solle mir DAS mal anschauen. Offenbar haben die Angehörigen die Verstorbene gewaschen, gebürstet und ihr die Haare noch gefärbt. Zumindest ist die ganze Stirn mit Haarfarbe verschmiert, auch aus den Haaren ist die Farbe nicht richtig ausgewaschen, dunkelrot.
»Bringt das in Ordnung!«, sage ich, und die Männer in der Werkstatt nehmen sich der Ärmsten an. Auf dem Sektionstisch wird sie nochmals gewaschen, die Haare ausgespült, und nur unter Mühe gelingt es, die Farbe wieder auszuwaschen, die man – wie wir jetzt sehen – auch in den Nacken und in die Ohren geschmiert hat. Nach einer knappen Stunde sieht die Gute ganz annehmbar aus.
Vorne im Büro wartet das Pferdegebiss und bringt mir das Brautkleid. Das habe er ganz günstig »secondhand« bekommen – und so sieht es auch aus. Es muss irgendwie jahrelang bei einer Raucherfamilie im Schrank gehangen haben, jedenfalls ist es auf einer Seite vollkommen gelb verfärbt. Den Schleier habe er über Nacht aus einer Gardine selbst genäht, und die Schärpe habe er schon in Arbeit, die bringe er am Nachmittag. Jetzt müsse er aber los, weil er noch Handschuhe und Schuhe besorgen müsse. »Moment«, sage ich. »die Verstorbene kommt ja jetzt anschließend auf den Friedhof.« Ja, das mache nichts, er habe schon mit dem Friedhofswärter gesprochen, und man habe ihm gesagt, er könne selbstverständlich der Toten noch Handschuhe und Schuhe anziehen, wenn sie aufgebahrt ist, außerdem bräuchten wir die Verstorbene nicht zu schminken, das mache er ebenfalls selbst.
Meine Güte!
Unsere Männer ziehen der Frau das Brautkleid an, es muss aus den Siebzigern sein, denn es ist eins in Mini-Ausführung, also ganz kurz. Untenrum sieht das nicht schön aus, wirklich nicht, aber da liegt ja die Decke drüber. Der selbstgefertigte Schleier besteht aus einem zwei Meter langen Stück Gardinenstoff, der an einem Ende grob zusammengerafft ist und mit einem blauen Bindfaden zusammengeschnürt wurde. Herr Mölbert und Herr Huber bringen es fertig, dass das gar nicht mal schlecht aussieht.
Nun denn, bringen wir sie auf den Friedhof.
Der Termin steht, Blumen hat man keine gewollt, die Trauerfeier macht das Pferdegebiss selbst, und somit ist für uns nichts mehr zu tun. Trotzdem terminiere ich es so, dass eine Mitarbeiterin am Tag der Trauerfeier zum Friedhof fährt, um alles zu überwachen. Jetzt ist es Dienstag, die Beerdigung soll am Freitag sein.
Am Mittwoch ruft mich einer von den Friedhofswärtern an. So gehe es nicht! Nein, das sei jetzt zu viel! Man habe ja nichts dagegen, dass die Angehörigen in die Aufbahrungszelle kommen, um die Verstorbene auch mehrfach zu besuchen, aber das hier sei mit der Würde einer Toten nicht vereinbar.
Ich fahre da hin, habe ein paar Zwanziger in der Jackentasche, damit kriegt man von den Friedhofsmännern alles. Der Dicke, der immer nach Schweiß riecht, nimmt wortlos den Schlüssel vom Haken und schließt mir die Kapelle auf, neben der Kapelle sind die Aufbahrungszellen. Gleich in der ersten liegt die »Braut«, und er sagt: »Da liegt unser Faschingsschneewittchen!«
Ich schaue ihn vorwurfsvoll an, wie kann er so respektlos sein! Als die Tür aufschwingt, bekomme ich einen Schreck. So was habe ich auch noch nicht gesehen und »Faschingsschneewittchen« ist noch geschmeichelt.
Das Pferdegebiss hat seiner Mutter einen grünen Stoffschal quer über die Brust gelegt, in den er sehr ungelenk mit Goldfaden eingestickt hat: »Ich komme, ich komme.« Da steht zwar noch hinten dran »Herr Jesus, in Dein Reich«, aber das sieht man nicht, weil dieser Teil des Schals seitlich verschwindet. Mit Lippenstift hat er der armen Toten den Mund angemalt, aber mehr so um die Lippen herum als auf den Lippen selbst.
Es sieht grotesk aus. An den Händen hat die Verstorbene lange weiße Seidenhandschuhe, allerdings hat man an diesen Handschuhen die Fingerspitzen abgeschnitten. Die Fingernägel sind grellrot lackiert und ebenfalls mehr so außen herum als direkt auf den Nägeln. In den Händen hält die Tote einen Blumenstrauß aus Plastik – solche Plastikblumen, wie man sie früher auf dem Rummel an der Schießbude bekommen hat, grauenvoll. Das Fußende der Decke hat man umgeschlagen, und unten schauen die nackten dünnen Beine der Verstorbenen heraus, an den Füßen trägt sie viel zu große rote Stöckelschuhe.
Ich muss mich festhalten und tief durchatmen, so etwas habe ich wirklich noch nicht gesehen. »Ist das denn erlaubt?«, fragt mich der schwitzende Dicke, und ich nicke stumm. Was soll man denn machen?
»Der ist aber noch nicht fertig, der will heute noch ein paarmal kommen, und vielleicht bringt der die Sänger wieder mit, die singen hier immer, das geht doch nicht.«
»Okay«, sage ich, »lassen Sie die heute noch machen und sagen Sie denen, dass der Sarg heute Abend zugemacht werden muss, erfinden Sie irgendwas, sagen Sie, das sei wegen dem Seuchenschutz oder so.«
Ich drücke ihm einen Zwanziger in die Hand, und er nickt. Erleichterung macht sich auf seinem Gesicht breit.
Abgesehen davon, dass der Mann mit dem Pferdegebiss seine Mutter in sehr eigenwilliger Weise zurechtgemacht hat, ist erst mal nichts weiter passiert.
Der Freitag kommt, meine Mitarbeiterin ist am Friedhof und gibt mir via Handy Zwischenberichte. Jetzt sei der Sarg noch einmal geöffnet worden, und die etwa dreißig Anwesenden gingen der Reihe nach in die Aufbahrungszelle. Alle fänden es wunderschön und so natürlich, wie die Tote da liege. Als der Deckel wieder geschlossen wird, weil der Sarg in die Kapelle geschoben wird, sage ich zu meiner Mitarbeiterin, sie solle noch ein paar Minuten der Trauerfeier beiwohnen und könne dann wieder ins Büro kommen. Ab dann kann ja nichts mehr schiefgehen. Zur festgesetzten Zeit, also nach knapp 20 Minuten, werden die Friedhofsmänner den Sargwagen zum Grab schieben, und dann ist es schnell vorbei.