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So diskutieren wir fast eine halbe Stunde über Gräber, Grablaufzeiten, Ruhefristen, und unten im Keller liegt ein junger Mann in der Kühlung, der von einer Brücke gesprungen ist. Über ihn verlieren die Eisners kaum ein Wort, sagen nur das Notwendigste. Offenbar hilft es ihnen momentan, sich mit dem anderen Drumherum zu beschäftigen, dann müssen sie nicht an diesen Fall denken.

Es führt aber kein Weg daran vorbei, auch für Jens müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden.

Ich lege unser Formular wieder zuoberst auf meinen Stapel und fordere die beiden nochmals auf: »So, jetzt müssen wir aber entscheiden, ob Jens eingeäschert wird oder nicht.«

Herr Eisner ergreift das Wort: »Sie haben da vorhin so was gesagt, dass man auch eine Urnentrauerfeier machen kann. Wie war das noch mal ganz genau? Ich glaube, das wäre genau das Richtige für uns. Dann käme doch eine Feuerbestattung in Frage.«

»Nun, bei einer normalen Beerdigung steht ja der Sarg in der Trauerhalle, alle Trauergäste nehmen dort an der Trauerfeier teil, und anschließend begleiten sie den Sarg zum Grab, wo dann die Beerdigung stattfindet. Ein gemeinsamer Gang, ein Weg. Bei einer Feuerbestattung sieht das in den meisten Fällen anders aus. Da steht auch der Sarg in der Halle, es gibt ebenfalls eine Trauerfeier, aber dann ist alles ziemlich abgeschnitten. Die Trauerfeier endet, der Sarg bleibt stehen und wird später ins Krematorium gebracht. Eine oder zwei Wochen später ist dann erst die Beisetzung der Urne. Man muss wieder auf den Friedhof, geht zum Grab, hat also zwei schwere Gänge auf den Friedhof. Besser finde ich persönlich die Urnentrauerfeier. Wir würden Jens, wenn Sie sich dann für eine Feuerbestattung entscheiden würden, schon sehr bald ins Krematorium bringen und dafür sorgen, dass die Urne recht zügig zur Verfügung steht. In etwa acht bis zehn Tagen könnte dann auf dem Friedhof eine Trauerfeier stattfinden. Vorne steht dann statt des Sarges die Urne, alle Trauergäste nehmen an der Trauerfeier teil und begleiten dann die Urne zum Grab und nehmen an der Beisetzung teil. Das hat mehrere Vorteile: Zum einen braucht man für die Einäscherung keinen besonderen Sarg nehmen, das einfachste Modell genügt, denn den Sarg sieht ja niemand. Zum anderen hat man nur einen schweren Gang auf den Friedhof, weil alles zusammen passiert, diese einsame Urnenbeisetzung entfällt.«

»So machen wir das!«, sagt Frau Eisner, blickt ihren Mann an und sagt: »Dieter, ich will da vorne keinen Sarg stehen haben, ich könnte den Gedanken nicht ertragen, dass da Jens drinliegt. Bei einer Urne ist das irgendwie was anderes.«

Er nickt, und ich mache das Kreuz bei »Feuer«.

»Ich muss dann jetzt auch keinen Sarg raussuchen, oder?«, will Frau Eisner wissen, und ich schüttele den Kopf: »Nein, müssen Sie nicht. Vielleicht die Urne …«

»Jens liebte alles was silbern ist, haben sie so was?«, fragt Jens’ Vater, und ich schlage im Katalog die Seite mit der glänzenden Messingurne auf. Die beiden schauen sich an, nicken sich zu, und Herr Eisner sagt: »Exakt, genau die ist es.«

Ich finde die Messingurne auch sehr schön, aber leider wollen die wenigsten Kunden sie kaufen. Wegen ihrer glänzenden Oberfläche sagen die Leute im Ausstellungsraum immer, sie sähe aus wie ein Sportpokal. Und bevor die Eisners hinterher dann enttäuscht sind, gehe ich nach nebenan und hole die Urne, um sie ihnen zu zeigen.

Da steht sie nun auf dem Sideboard, die Eisners betrachten sie und sind beide der Meinung, dass es genau die richtige Urne für ihren Sohn ist. Herr Eisner sagt: »Dass da ein ganzer Mensch reinpasst …«

Seine Frau weint und fügt hinzu: »… ein ganzes Leben.«

»Wir haben keine Ahnung, warum Jens das gemacht hat«, sagt er, und das ist alles, was er über Jens sagen will. Er wischt die Gedanken an ihn mit einem Ruck, der durch seinen Körper geht, einfach fort und fragt: »Was ist denn jetzt an Formalitäten zu erledigen?«

Ich erkläre ihnen alles, wir besprechen den Termin, das mit dem Pfarrer und den Blumenschmuck. Eine Anzeige wollen die Eisners auf gar keinen Fall in der Zeitung haben, da würde bestimmt ab morgen genug in der Zeitung stehen, und sie wollen keinen Wirbel. »Die paar Leute, die das was angeht, die ruf ich selber an«, bestimmt Herr Eisner.

Mein Formular ist noch halb leer, und ich frage die einzelnen Positionen ab.

Schließlich komme ich an die Stelle, an der ich eintrage, welchen Beruf der Verstorbene hatte, und das ist die entscheidende Stelle.

»Warum müssen Sie das denn wissen?«, fragt Dieter Eisner und klingt aufgebracht.

»Also, wir wollen auf keinen Fall, dass da von der Arbeit jemand kommt«, sagt seine Frau, und ich merke, dass es da etwas gibt, was die beiden sehr aufregt.

Ich versuche sie zu beruhigen und erkläre ihnen, dass ich diese Angabe für das Standesamt benötige und sie sich keine Gedanken zu machen brauchen.

»Jens war gerade dabei, sich auf die Verwaltungsprüfung vorzubereiten. Er wäre Verwaltungsfachangestellter bei der Stadtverwaltung geworden. Aber bitte, von der Arbeit soll einer kommen.« Herr Eisner macht eine abwehrende Handbewegung und pocht mit dem Finger dann auf den Tisch.

»Warum soll denn da keiner kommen?«

Frau Eisner sagt nur: »Weil er sich da nicht wohl gefühlt hat.«

Mehr nicht. Das ist alles.

Ich will sie auch nicht quälen oder ausfragen, stattdessen erkläre ich ihnen, wie es weitergeht, dass sie jetzt zum Friedhof gehen sollten, um ein passendes Grab herauszusuchen. Ein paar Sachen sind noch zu besprechen, das machen wir, und dann lasse ich mir noch die Unterlagen unterschreiben, und wir vereinbaren, dass die Eisners am nächsten Tag wiederkommen, um mir ein Foto von Jens zu bringen, das wir vergrößern und bei der Trauerfeier vor der Urne aufstellen können.

Herr Eisner zückt die Brieftasche und will alles gleich bezahlen, ich winke ab und weise ihn darauf hin, dass wir die Endsumme erst wissen, wenn das Grab ausgesucht wurde. Er besteht aber darauf, wenigstens schon mal tausend Euro dazulassen, und ich schreibe ihm eine Quittung. Dann gehen sie.

Zehn Tage später. Inzwischen hat die Beisetzung von Jens stattgefunden.

Am Tag der Urnentrauerfeier stand die Messingurne vorne in der Trauerhalle des Friedhofs auf einer blumengeschmückten Säule.

Im Laufe des Morgens waren noch etliche Blumenspenden eingetroffen, deutlich mehr, als das Ehepaar Eisner erwartet hatte. So deutete sich für uns schon an, dass da mehr Leute kommen würden als ursprünglich angenommen.

Etwa zehn Leute standen etwas abseits in einer Gruppe und hatten einen Kranz dabei. Die Kranzschleife wies sie als Arbeitskollegen von der Stadtverwaltung aus. Das waren also die Leute, die Herr Eisner auf keinen Fall bei der Trauerfeier dabeihaben wollte.

Wir hatten keine entsprechenden Instruktionen, und deshalb bestand für uns keine Veranlassung, die Leute wegzuschicken. Ich blickte ein paarmal zu Herrn Eisner hinüber und bemerkte, dass er die Leute angeschaut und wahrgenommen hatte. Wenn er nichts unternahm, warum sollten wir uns einmischen?

Mich haben schon häufiger Leute gefragt, wie es sich denn der Bestatter anmaßen könne, über die Teilnahme an der Trauerfeier zu entscheiden.

Macht er ja gar nicht. Jeder Bestatter ist froh, wenn die Feierlichkeiten reibungslos und ohne größere Störung ablaufen. Schon deshalb wird es ihm immer fernliegen, in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur Trauerfeier große Streitereien und Diskussionen auszulösen. Aber manchmal gibt es eben so Fälle, da möchte man bestimmte Leute nicht dabeihaben, weil von ihrer Teilnahme eben die Störung der Feierlichkeiten zu erwarten wäre.

In unserer eigenen Feierhalle habe ich sowieso das Hausrecht. In den Trauerhallen auf den Friedhöfen ist es so, dass wir notfalls stellvertretend für den Auftraggeber das Hausrecht wahrnehmen und erforderlichenfalls auch mit Polizeigewalt durchsetzen.

Anders als viele glauben, sind Trauerhallen keine öffentlichen Gebäude, sondern Zweckgebäude, die den Betroffenen gegen Bezahlung für einen bestimmten Zweck zur Verfügung gestellt werden. Und Trauerfeiern sind schon gar nicht öffentlich, als dass jeder das Recht hätte oder einen Anspruch darauf, da einfach teilzunehmen.