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Das ist immer eine elende Plackerei, denn das Grabschaufeln gehört normalerweise nicht mehr zu den Arbeiten eines modernen Bestatters. Aber es ist auch klar, dass die allesamt schon sehr betagten Klosterfrauen das nicht selbst machen können. Diese Arbeit müssen wir abends machen, das ist wichtig, denn die Verstorbene muss, so will es die Regel, bis zum Anbruch des nächsten Tages unter der Erde sein. Während wir schaufeln, versorgen die Schwestern im Kloster die Verstorbene und wickeln sie in weiße Tücher. In ihrer Kapelle nehmen sie dann von ihr Abschied. Später können wir die eingewickelte Tote mit einem klapprigen Handwagen abholen und auf den Friedhof bringen.

Ganz wichtig ist das weitere Vorgehen, und ich habe schon mehrmals versucht herauszufinden, warum man das so haben will, aber die Schwestern sind sehr geschickt darin, einfach nur milde zu lächeln, »Vergelt’s Gott« zu sagen und sich ansonsten in freundliches Schweigen zu hüllen. Jedenfalls stellen wir das Unterteil des Sarges in das Grab, lassen die eingewickelte Verstorbene an zwei Stricken hinunter und legen dann den Deckel auf. Anschließend schaufeln wir das Grab zu. Das alles machen wir ganz alleine, von den Schwestern ist da nie jemand zu sehen. Überhaupt macht der ganze Friedhof, im Gegensatz zur übrigen Klosteranlage, nicht den Eindruck, als würde er besonders gepflegt.

Nun gut, ich stehe also im Wald, Flensen ist im Nebel verschwunden, und ich merke, wie mir die Kälte den Rücken hochkriecht.

Hoffentlich kommt der bald wieder, wir haben noch viel zu tun. Erst mal den Wagen flottkriegen, dann den Weg zum Kloster finden, und so ein Grab ist auch nicht in zehn Minuten geschaufelt.

Ich rufe: »Flensen! «, bekomme aber keine Antwort. Es ist so, als würde mein Rufen von einem dicken Kissen erstickt, so dicht ist der Nebel.

Da steh ich also bei Nacht im Nebel und rufe »Flensen«. Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl. Kalt ist es, dunkel ist es, der Nebel umwabert mich, und das einzige Licht sind die zwei Lichtfinger vom Volvo, die nach erschreckend kurzer Strecke vom Nebel verschluckt werden.

Es knackt hinter mir, und ich zucke zusammen. Vielleicht habe ich doch zu viel »LOST« geguckt, und kurzfristig denke ich darüber nach, ob es auch bei uns »die Anderen« geben mag oder irgendwelche schrecklichen Kreaturen, die einen in den Wald ziehen.

Morgen früh bei Tageslicht würden sie dann meine Leiche finden, blutüberströmt, mit Stricken in den Baumwipfeln aufgehängt …

Wieder knackt es, und ich zucke zusammen. Doch dann erkenne ich die Gestalt von Flensen, der aus dem Nebel herbeigestapft kommt, spärlich von den Rücklichtern angestrahlt.

»Ein Ast, Sie hatten recht, nur ein dicker Ast«, sagt er, macht hinten die Klappe vom Auto auf und wirft mir eine der beiden Schaufeln zu. Männer müssen in solchen Situationen nicht viel reden, und so scharren wir mehr als wir schaufeln den lehmigen Waldboden um die eingesunkenen Räder weg.

»Wenn wir da noch die Fußmatten drunterlegen und ich feste schiebe, kommen wir vielleicht raus«, meint Flensen.

Ich schaue mir Flensen an, und in Anbetracht seiner schmächtigen Figur sage ich: »Nee, ich schiebe, und Sie fahren.«

Er nickt, und ich weiß in diesem Moment, dass er später in der Firma stolz erzählen wird, dass der Chef die Karre in den Dreck gefahren hat und er sie dann wieder rausfahren musste. Aber das ist mir jetzt gerade egal, Hauptsache, wir kriegen die Karre wieder flott.

Flensen legt den Rückwärtsgang ein, gibt Gas, ich drücke vorne an der Haube, doch der schwere Wagen bewegt sich kaum, der Boden ist viel zu glatt und matschig, und Winterreifen haben wir noch nicht montiert. Das glatte Profil der normalen Reifen rutscht nur so durch.

»Mehr links drücken, rechts packt er, glaub ich!«, ruft mir Flensen zu, und ich drücke auf der linken Seite. Flensen gibt ordentlich Gas, und endlich greift auch das linke Vorderrad, mit einem Satz befreit sich der Wagen, nicht ohne mich von oben bis unten mit Lehm zu bespritzen.

Ich habe zwar Lehm zwischen den Zähnen und im Gesicht, aber ich bin glücklich, dass wir weiterfahren können. Flensen bleibt am Steuer, ich werfe die Schaufel wieder hinten auf die Decke neben dem weißen Sarg für Schwester Klara, schließe die Klappe, und wenig später sitze ich wieder vorne neben Flensen, und wir fahren langsam rückwärts durch den nebligen Wald.

An ein Wenden des langen Wagens ist gar nicht zu denken, und ich bewundere meinen Angestellten, wie er nur mit den beiden Außenspiegeln trotz der schlechten Sicht klarkommt.

Ich bin sicher kein schlechter Fahrer, aber die Jungs vom Fahrdienst haben das besser drauf.

Es kommt mir vor, als wären wir fast eine halbe Stunde langsam rückwärts gefahren, da hält Flensen an, deutet vor uns in den Nebeclass="underline" »Da, da hängt das blaue Schild.« Doch sosehr ich mich bemühe, ich kann in der Nebelsuppe nichts erkennen.

»Chef, Sie hätten Ihre Brille aufsetzen sollen!« Jetzt fängt der auch noch an! Reicht es nicht, dass meine Frau immer auf meiner angeblichen Kurzsichtigkeit herumreitet?

Er dreht das Steuerrad und biegt in den Seitenweg ein, und im letzten Moment sehe ich tatsächlich auch so etwas wie ein blaues Schild. Ich fluche insgeheim, weil ausgerechnet im Volvo keine Taschenlampe mehr liegt. Gekauft habe ich von den sündhaft teuren Handscheinwerfern erst zwei, und die wandern jetzt ständig von einem Auto zum anderen, was zur Folge hat, dass sie immer in den Wagen liegen, die im Keller stehen.

Aus dem Dunkel taucht ein weiterer Wegweiser auf, und jetzt können wir sicher sein, wirklich auf dem richtigen Weg zu sein. Die Fahrt, die bei Tag nur ein paar Minuten dauert, kommt mir vor, als wären wir Stunden unterwegs, alles sieht bei Dunkelheit und Nebel fremd und unbekannt aus. Vor allem kann man die Geräusche der Nacht noch weniger orten als sonst. Es fehlt einem jegliches Gefühl dafür, woher die Geräusche kommen.

Unvermittelt teilen sich Nebelschwaden, und direkt vor uns ragt das alte Gemäuer des Klosters auf. Es hat aber nicht diese friedliche Atmosphäre, die es tagsüber ausstrahlt, sondern irgendwie wirkt es heute beunruhigend auf mich.

Flensen schaut mich fragend an, ich sage: »Hupen Sie, das sollte reichen.« Er hupt, und selbst die Hupe des Wagens klingt quäkend und dumpf.

Nein, das Tor öffnet sich nicht knarrend, und es steht auch keine bucklige alte Nonne mit einer windschiefen Laterne da, die uns hereinwinkt, wir sind ja nicht in der »Rocky Horror Show«, sondern es öffnet sich fast lautlos, und wir werden kurz von einer hellen Lampe geblendet, dann weist der Lichtkegel den Weg. Langsam fahren wir über den knirschenden Kies in die Einfahrt, und als ich den Lichtfinger entlangschaue, sehe ich eine sehr junge Nonne, blass, mit großen Augen und, sofern man das über eine Klosterfrau sagen darf und trotz der Ordenstracht sehen kann, hübsch.

Sie winkt mit einem Handscheinwerfer, aber hier im Klosterhof ist es bei weitem nicht so neblig wie draußen auf den Waldwegen, wo der Nebel von den Feldern in den Wald ziehen kann. Den Rest des Weges kenne ich, etwa zweimal im Jahr müssen wir dorthin.

Ich zeige Flensen, wo er hinfahren muss, und wir steigen neben dem Wirtschaftshaus aus. Dort hat früher ein Gärtner mit seiner Frau gewohnt, und soviel ich weiß, hat der auch ganz früher die Gräber ausgehoben. Aber der ist schon lange nicht mehr da, und heute wohnen die etwa dreißig Nonnen sehr abgeschieden. Mich wundert es umso mehr, dass eine junge Frau in diesen Konvent eingetreten ist.

Die hat inzwischen das Tor geschlossen, ist zu uns gekommen und fragt: »Sie wissen, was zu tun ist?« Ich nicke, und sie lächelt zufrieden und sagt: »Auf dem Friedhof haben wir die Stelle mit etwas Mehl abgestreut, etwas anderes haben wir nicht.«