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»Hoffentlich können wir was sehen, wir haben keine Lampe dabei«, sage ich zu ihr, und sie hält mir wortlos ihren Handscheinwerfer hin, den ich dankbar nehme. Ich könnte mich selbst in den A* beißen, dass ich nicht vorher kontrolliert habe, ob Lampen im Wagen liegen, es kommt ja mehrmals in der Woche vor, dass wir nachts rausmüssen.

Jensen und ich holen die zwei Schaufeln und die Hacke aus dem Laderaum und gehen durch eine kleine, efeuumrankte Pforte auf den Friedhof des Klosters. Viele Gräber gibt es hier, ich schätze etwa achtzig oder neunzig. Alle neueren haben ein steinernes Kreuz, die älteren auch welche aus Schmiedeeisen. Gepflegt sind die Gräber schon, aber der gesamte Friedhof macht den Eindruck, als würde nur das Notwendigste gemacht, irgendwelchen Grabschmuck sieht man gar nicht, die Gräber sind sämtlich mit grobem Kies abgedeckt.

Weiter hinten sehe ich tatsächlich die angesprochene Markierung. So ungewöhnlich die Idee ist, so wirkungsvoll ist sie, mit einer Handvoll Mehl haben die Nonnen grob ein Rechteck auf den Boden gestreut, und so wissen wir, wo wir anfangen müssen.

»Das wird aber eine Schinderei«, mault Flensen. »Ich glaube, ich hole mir die Gummistiefel.«

»Meinetwegen«, brumme ich und probiere mit der Hacke, wie hart der Boden ist. Ich selbst vertraue lieber auf meine Arbeitsschuhe. Flensen stellt die Lampe auf ein benachbartes Kreuz und stapft zurück.

Der Boden ist nicht hart, nur pappig und klebrig. Das macht die Schaufelei schwer und mühsam, aber man muss Gott sei Dank nicht viel hacken.

Ich habe ja schon mal geschrieben, dass moderne Bestatter nichts mehr mit dem Grabbau zu tun haben. Normalerweise wenigstens. In manchen Regionen ist es aber auch heute noch so, dass ein Bestatter einen ganzen Friedhof bewirtschaftet und auch die Arbeit des Totengräbers mitmacht. Bei uns ist das aber nicht so, und deshalb war ich damals vor fast zwanzig Jahren sehr erstaunt, als mein Schwiegervater – damals noch mein Chef – mit mir zu diesem Kloster fuhr und ich von ihm lernte, wie man so etwas, nur mit Hacke und Schaufel, macht.

Das ging mir so durch den Kopf, als ich gemeinsam mit Flensen das Grab für Schwester Klara schaufelte. Was das bedeutet, das kann nur einer beurteilen, der so was schon mal gemacht hat. Kein Wunder, dass die Serienmörder im Fernsehen ihre Opfer immer nur so tief verbuddeln, dass jeder dahergelaufene Dackel schon am nächsten Morgen einen Fuß oder eine Hand der Leiche hervorscharren kann. Entweder ist nämlich der Boden oben ganz weich und wird dann steinig oder hart, oder man schafft sich erst quasi durch blanken Granit, und dann kommt leichter Sandboden. Egal wie, Plackerei hoch drei ist angesagt.

Zu zweit braucht man wenigstens zweieinhalb Stunden, und das bei Tageslicht. Jetzt aber ist es Nacht, saukalt, und man schwitzt sich trotzdem einen Affen. Die Hände tun mir weh, und ich merke an allen möglichen Stellen, dass ich Blasen bekomme. Meine Bürohände sind solche Arbeit nicht gewohnt, und ich bin froh, dass es Flensen nicht viel bessergeht, dann stehe ich nicht so als Chef-Weichei da, und außerdem bin ich froh, dass er dabei ist, denn der kleine Mann ist eine echte Hilfe, der schafft was weg.

Mir ist so was von heiß, die ungewohnte Arbeit treibt mir den Schweiß aus den Poren, aber immer, wenn ich mal eine Pause mache, ist es mir schlagartig eiskalt. Ich werde mir eine Erkältung holen, das ist sicher!

Trotzdem kommen wir besser voran, als ich gedacht habe. Immer wieder prüft Flensen mit einer Holzlatte, die wir mitgebracht haben, ob die Wände gerade werden, und ist zufrieden: »Der Boden steht gut, wir brauchen nicht auszuschalen, ich hätte jetzt keinen Bock, noch Bretter zu schleppen. « Recht hat er, es ist auch so Arbeit genug, und wieder muss ich an mein warmes Zuhause denken und wie schön es jetzt vor einem knisternden Kaminfeuer wäre.

Ich klettere noch mal in das Grab, um Flensen dabei zu helfen einen größeren Stein rauszuheben, als ich dumpfe Schritte höre. An der Tatsache, dass ich mit meinen 1 Meter 88 Körpergröße noch so gerade eben aus dem Grab herausgucken kann, merke ich, dass wir noch nicht wirklich 1 Meter 80 tief gegraben haben. Der Nebel hat etwas nachgelassen, aber auch der Handscheinwerfer zeigt langsam Schwäche, sein ehemals gleißend weißes Licht ist eher gelb geworden, wahrscheinlich geben die Akkus bald den Geist auf.

Ich blicke suchend in die Dunkelheit, und dann sehe ich, dass eine Nonne näher kommt. »Hallo, sind Sie schon fertig?«

»Jaja«, rufe ich, »nur noch ein paar Minuten.«

»Dann ist ja gut, Schwester Klara ist jetzt auch so weit.«

»Warten Sie«, sage ich, »ich komme mal raus«, und klettere die kleine schmale Leiter hoch, die wir mitgebracht hatten.

Ich klopfe mir den Schmutz von den Hosenbeinen, reibe meine Hände am Hosenboden sauber und reiche der Nonne meine Hand. Sie ergreift diese aber nicht, schaut mich voller Entsetzen an und sagt: »Meine Güte, wie sehen Sie denn aus? Sie sind ja total verschmutzt. Also, Sie kommen nachher erst mal rein, damit Sie sich waschen können. Und wenn Sie wollen, können Sie später noch Suppe essen, das wärmt.«

Die Nonne geht, und ich weiß jetzt nicht, ob sie erwartet, dass ich ihr folge, dann bleibt sie stehen und schaut mich erwartungsvoll an. Ich folge ihr also. »Kommen Sie, kommen Sie«, sagt die Nonne und rauscht für ihr Alter erstaunlich schnell davon. Ich schätze die Frau auf wenigstens siebzig Jahre und habe dennoch Mühe, ihr zu folgen. An einer Tür wartet sie auf mich, lässt mich zuerst eintreten, rauscht dann wieder an mir vorbei und biegt unvermittelt in einen Gang nach links ab. »Hier geht es in die Kapelle, da ruht Schwester Klara«, sagt sie, und ehe ich noch etwas sagen oder fragen kann, ist sie verschwunden.

Ich öffne die grob behauene Holztür und stehe in einer schönen gotischen Kapelle, vorne vor dem Altar liegt die Verstorbene, in weiße Tücher gewickelt auf einem Brett, das auf zwei Holzböcken ruht. Links und rechts stehen schmiedeeiserne Leuchter mit halb heruntergebrannten Kerzen.

An der Wand auf der gegenüberliegenden Seite lehnt schon der kleine Holzkarren für den Abtransport. Ich trete näher heran und will mir das weiße Bündel genauer anschauen, da legt sich eine eiskalte Hand auf meine Schulter, und mir zischt in Sekundenschnelle eine Gänsehaut über den ganzen Körper, ich glaube, ich habe sogar auf der Zunge Gänsehaut gehabt.

Ich fahre herum, und hinter mir steht Flensen und sagt: »Isse das? Fahr’n wir die jetzt raus?«

»So haben wir das immer gemacht«, sage ich, »wir nehmen sie jetzt mit, dann tun wir den Sarg ins Grab und lassen sie dann hinein. Deckel drauf und zuschaufeln.«

»Ach du heilige Scheiße, stimmt ja, zuschaufeln müssen wir ja auch noch!«, ruft Flensen, und ich werfe ihm einen strengen Blick zu. In einer Kapelle zu fluchen bringt bestimmt Unglück.

Und mein Bedarf an Unglücken ist für heute gedeckt, schließlich haben wir noch vor gut zwei Stunden im Waldboden festgesteckt.

Schwester Klara ist leicht, ich hätte sie alleine auf den Holzkarren heben können, aber zu zweit geht das doch besser. Während Flensen und ich die Karre mit der eingewickelten Leiche zum kleineren der beiden Klosterfriedhöfe schieben, denke ich über den Bestattungsritus dieses Ordens nach. Offenbar gibt man nicht viel auf die Totenfürsorge. Soviel ich weiß, wachen die anderen Schwestern eine Weile bei der Toten, danach ist der Leichnam nur noch leblose Hülle, und sie messen ihm keine besondere Bedeutung mehr bei. Der Friedhof und die Tatsache, dass keine der Schwestern bei der Grablegung dabei ist, sprechen dafür. Ob da noch ein Priester eine Aussegnung gemacht hat? Ich weiß es nicht.

Jedenfalls sind die Papiere da, Sterbeurkunde, klösterlicher Bestattungschein, alles perfekt.

Die Schwestern legen mir die Papiere immer zur Leiche, ich brauche sie aber nicht. Ich stelle mir vor, wie eine der Schwestern mit den Papieren, die der Dorfarzt dagelassen hat, zum Rathaus radelt und die Sterbeurkunde holt. Offenbar bekommen die auch regelmäßig schon aus Traditionsgründen eine Sondergenehmigung, die Bestattung so schnell vornehmen zu dürfen. Nicht alle Nonnen kommen ja auf den Klosterfriedhof. Die meisten werden wohl in ihrer Heimatgemeinde bestattet, ich muss irgendwann mal genau fragen. Jedenfalls hatte man mir schon einmal erzählt, dass in dieses Kloster vornehmlich die ganz alten Schwestern kommen, die lange irgendwo Dienst getan haben.