»Sie brauchen keine Angst zu haben, wir machen hier nicht ›Ein Käfig voller Narren‹, aber ich will, dass es absolut perfekt wird«, sagt Röschen, entscheidet sich für einen grünen Sarg und wählt ein Doppelgrab, damit sie später mal zusammenliegen können.
Der grüne Sarg ist fast mein Lieblingssarg. Von der Form her ist er nur ein kleines bisschen größer als ein ganz schlichter Sarg, hat aber sechs schwere chromfarbene Griffe. Er ist in einer Technik lackiert, die man auch von Autos kennt: bicolor. Das Grün ist dunkel, und je nach Blickwinkel kippt die Farbe in ein ganz dunkles Blau um, wie bei einem Wackelbild. Das sieht sehr edel aus und ist mal ganz was anderes als das ewige holzfarbene Allerlei.
Ich muss ehrlich sagen, dass mich Röschen beeindruckt hat. Ich habe schon viele Homosexuelle gesehen, die sich sehr tuntig gegeben haben, aber der war so was von authentisch und dabei würdevoll, dass man das nicht mal komisch finden konnte. Morgen früh erfahre ich mehr darüber, wie sich Röschen eine »absolut schrille Beerdigung« vorstellt.
Am Nachmittag dann trifft Kalli bei uns ein, und eigentlich will ich mich entspannt zurücklehnen und abwarten, wie sich dieser Fall morgen weiterentwickelt. Doch die Sache hat eine unangenehme Wendung bekommen: Vor wenigen Minuten hat sich der Vater des Verstorbenen gemeldet. Er habe erfahren, dass sein Sohn gestorben sei, und trotz seiner 83 Jahre wolle er die Sache nun in die Hand nehmen.
»Da war aber schon jemand da und hat so weit schon alles geregelt«, sage ich vorsichtig.
»Jaja, da kann ja jeder kommen! Es ist ja wohl selbstverständlich, dass ich mich selbst darum kümmere. Sie müssen wissen, mein Sohn ist krank gewesen.«
»Das weiß ich. Man sagte mir, er habe Diabetes gehabt …«
»Ach was, daran ist er bloß gestorben. Der hatte diese andere Krankheit … Sie wissen schon.«
Ich stelle mich dumm und sage: »Nein, ich weiß ich nicht.«
»Der hatte diese, diese … na eben diese Männerkrankheit, meine Güte.«
Soll ich dem alten Mann, der offensichtlich mit der Homosexualität seines Sohnes nicht zurechtkommt und auch nichts darüber weiß, jetzt sagen, dass er ein bornierter Blödmann ist? Das kann ich nicht. Wenn ich richtig verstanden habe, dann waren Röschen und Kalli »verpartnert«, sind also vor einem Standesbeamten eine der Ehe ähnliche und gesetzlich vollständig gültige Bindung eingegangen. Damit verbunden ist, dass Röschen nunmehr – so weit mein Kenntnisstand – auch der Bestattungspflichtige und -berechtigte ist.
Genau das muss ich dem alten Herrn nun klarmachen: »Bitte verstehen Sie, dass der Lebenspartner Ihres Sohnes bei mir war und uns bereits einen Auftrag erteilt hat. Wenn Sie möchten, kann ich mit Herrn Rose sprechen, ob Sie nicht morgen bei der Besprechung dabei sein können und wir …«
»Seien Sie ruhig! Sie glauben doch wohl nicht allen Ernstes, dass ich mit diesem Sexverbrecher an einem Tisch sitzen werde! Dieser Mann hat meinen Sohn doch erst krank gemacht! Der hat ihm doch eingeredet, so zu sein. Ich habe schon das Beerdigungsinstitut Soundso beauftragt, die werden meinen Sohn bei Ihnen abholen, und dann regele ich alles Weitere.«
Damit legt er auf und lässt mich ziemlich überrascht zurück.
Als Nächstes rufe ich beim Kollegen Soundso an. Der ist nicht besonders kooperativ und sagt auch bloß sinngemäß »Auftrag ist Auftrag«. Ich erkläre ihm, dass ich aufgrund der Rechtslage die besseren Karten habe, und hörbar zähneknirschend willigt er ein, erst mal abzuwarten, bis die Lage sich geklärt hat.
Jetzt muss ich wohl noch ein bisschen in dieser Sache telefonieren.
Am nächsten Tag
Herr Rose ist da, und ich bin mal wieder baff. Heute erscheint er in einem dunklen Anzug, und man könnte auch »Herr Senator« zu ihm sagen. Nicht jedoch abgelegt hat er sein exaltiertes Bewegen und Sprechen, gepaart mit großer Trauer und jetzt auch Entrüstung über das Verhalten seines Schwiegervaters.
Viele Jahre habe der alte Mann sich nicht um seinen Sohn gekümmert, und Röschen empfindet es als Zumutung und Unverschämtheit, dass der sich jetzt einmischen will. Ich beruhige ihn und sage ihm, dass ich überhaupt keinen Grund sehe, dieses Mal anders zu verfahren als bei allen anderen Fällen, in denen sich Eltern in die vom Ehepartner des Verstorbenen beauftragte Bestattung einmischen. Das kommt ja häufiger vor, als man glaubt. Normalerweise arbeiten wir, wenn die Beteiligten da mitmachen, auf einen Kompromiss hin. Schließlich ist es für uns und die Familie einfacher, wenn hinterher jeder sagen kann, dass es gut und richtig war.
Der Vater des Verstorbenen hat heute Morgen schon sehr früh beim Kollegen Soundso angerufen und sich erkundigt, ob sein Sohn schon da sei und ob er den Sarg bestellen könne. Kollege Soundso scheint zwar den Auftrag gerne haben zu wollen, aber auch keine Lust darauf zu haben, den Alten bedienen zu müssen. Soundso rief mich nämlich an und meinte ziemlich unhöflich, ich solle jetzt mal die Kuh vom Eis holen oder den Toten hergeben.
Röschen lässt keinen Zweifel daran, dass er die Sache durchziehen will. Sogar das Geld für die Bestattungsrechnung hat er schon mitgebracht. »Wenn das alles schon bezahlt ist, gibt’s kein Vertun mehr!«
Geplant ist Folgendes: Morgen schon will Röschen von Kalli Abschied nehmen. Dazu möchte Röschen eine Stunde mit Kalli alleine in einem Aufbahrungsraum sein und ihm seine Lieblingsmusik vorspielen.
Das ist kein Problem, da gibt es einen CD-Spieler. Ob man denn den Verstorbenen anfassen dürfe? Natürlich darf man das, die sind nur kalt, aber nicht giftig. Wie das denn mit dem Schmuck sei? Er wolle Kalli noch eine Armbanduhr, eine Kette und einen Ring anlegen, ob er das auch dürfe? Ich nicke, das ist kein Problem.
Ich merke, wie Röschen herumdruckst, und ahne schon, was er fragen will. Um ihm die Sache zu erleichtern, sage ich wie beiläufig: »Sie können den Verstorbenen anfassen, ihn streicheln, und manche wollen ja auch noch einen Kuss geben. Nur für den Fall, dass Sie das möchten, sollten Sie wissen, dass das kein Problem ist.«
Röschen schließt die Augen, holt tief Luft und seufzt. Dann nickt er langsam und sagt: »Gut, dass Sie das sagen … nur ein Abschiedskuss, mehr nicht …«
Röschens Vorstellungen gefallen mir. Wir müssen nichts anderes tun, als ihn machen zu lassen, und werden einen zufriedenen Kunden haben.
Die Trauerfeier soll am Donnerstag sein. Es kommt ein evangelischer Pfarrer, den ich gut kenne und der homosexuellen Paaren immer schon das Gefühl vermittelt hat, nicht ausgeschlossen zu sein. Der wird sich auch um die Musikauswahl kümmern. Es kommt nur ein einziger Musikwunsch von Röschen zum Einsatz: Ganz am Ende wird »Er gehört zu mir« von Marianne Rosenberg gespielt.
»Sie dürfen sich aber nicht wundern, wenn es etwas schrill wird«, sagt Röschen und guckt mich mit entschuldigendem Blick an.
Ich zucke nur mit den Achseln und meine: »Was stellen Sie sich denn vor?«
»Nee, wir kommen nicht im Fummel, keine Bange. Aber wir wollen Schampus trinken, und der Sarg soll in der Mitte stehen, damit wir alle im Kreis um Kalli herumsitzen können. Ich gehe heute noch ins Fotogeschäft und lasse mir ein paar Dias auf Papier ausdrucken, die würde ich gerne herumzeigen.«
»Wir haben eine Leinwand in der Trauerhalle«, sage ich, »Sie können also auch die Dias direkt zeigen.«
»Das wär ja oberprima«, jubelt Röschen und zappelt mit Armen und Beinen. Er will die wichtigsten Stationen des gemeinsamen Lebens abspielen und mit den gemeinsamen Freunden das Leben von Kalli feiern.
»Wir sind alle traurig, und ich bin fix und fertig, aber jetzt noch eine Trauerfeier, bei der alle nur traurig gucken – das könnte ich nicht verkraften. Man soll sich doch lieber an das Schöne erinnern, das man gemeinsam erlebt hat, oder?«
Marianne Rosenberg, Champagner und draußen ein kaltes Buffet – das ist doch alles kein Problem. Ich hatte es mir anders vorgestellt, irgendwie »tuntiger«, aber ich verstehe ja auch nichts davon. Es ist aber auch nicht meine Aufgabe, zu beurteilen, ob das, was die Trauergäste sich wünschen, schön ist. Ich kann nur mithelfen, dass es so wird, dass sie es schön finden. Aber so, wie Röschen das vorhat, so finde ich es auch schön.