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Die Kriminalbeamten erlauben mir außerdem, mich um Olugulades angemieteten Kleinlaster samt seinem Inhalt zu kümmern. Wie nett! Obwohl der Junge erst seit einem Tag bei uns ist, muss ich sagen, Daniel ist ein ganz merkwürdiges Kind. Sehr eloquent, sehr gebildet, aber ein kleiner Besserwisser und Klugscheißer. Meine Kinder streiten sich mit ihm, es ist der Streit von durchsozialisierten Geschwisterkindern mit einem Erst- und Einziggeborenen. Ich glaube, dem kann es nur guttun, wenn er ein bisschen bei uns bleibt. Ob er das aber kann, wird sich zeigen. Mir und meiner Frau macht das nichts aus – unser Haus ist groß genug, und einen Mund mehr zu stopfen kann keine große Kunst sein.

Vom Jugendamt ist doch keiner mehr gekommen – wie denn auch, es ist ja Freitag. Am Montag, da will man jetzt »mal vorbeischauen«. Allerdings hat sich die örtliche Afrikagruppe zu Wort gemeldet. Diese Leute sind kirchlich organisiert, sammeln seit Jahren sehr löblich für Afrika und haben schon einiges gestiftet und gespendet.

So ein kleines, armes Negerkind käme denen jetzt wohl gerade recht, das säße bestimmt schön leidend in der ersten Reihe und würde die Spendenbereitschaft bei der sonntäglichen Kollekte sicher in die Höhe treiben. Eine Frau Birnbaumer-Nüsselschweif jedenfalls hat ganz aufgeregt angerufen und will das Kind jetzt vor uns retten. »Frau Rüsselschwein«, sage ich zu ihr, »der Junge ist bestens bei uns aufgehoben, und ich denke, dass er gerade genug durchmacht, da sollten wir ihn jetzt nicht noch herumreichen wie einen Wanderpokal.«

Ich weiß nicht genau, ob es am Wort »Rüsselschwein« liegt oder am Rest von dem, was ich gesagt habe – jedenfalls schnaubt sie nur kurz und legt auf.

Der Kleinlaster ist jetzt wieder beim Vermieter. Die Papiere lagen im Handschuhfach. Ich habe noch nie einen Laster gesehen, der so chaotisch und ohne Sinn und Verstand beladen worden ist. Zerbrechliches einfach in Eimer gepackt, Schweres auf Leichtes gelegt, nichts richtig befestigt, das meiste in Einkaufstüten und ein randvoller Kühlschrank, aus dem es schon abartig roch und aus dem Tauwasser lief, quer obenauf.

Jetzt steht der Hausrat, der ein bisschen aussieht wie vom Sperrmüll, in einer unserer Garagen. Wir haben nichts, aber auch gar nichts gefunden, was Daniel in irgendeiner Weise zum Spielen oder Anziehen dienen könnte. Da merkt man, dass die Mutter beim Umziehen nicht hat helfen können – das war afrikanische Männerarbeit.

Am Abend sitze ich vor dem Kamin und trinke einen Cognac, was ich sonst nie tue, aber heute muss es sein. Das Schicksal von unserem Pflegekind nimmt mich ziemlich mit. Seinen Vater habe ich nicht gekannt, er ist halt gestorben, das tun viele. Aber was wird aus dem Jungen? Was wird aus seiner Mutter? Wenn da alles klargeht, entbindet die in absehbarer Zeit und steht dann mit zwei Kindern in einem fremden Land vollkommen alleine da. Schrecklich, was ist das für eine Perspektive?

Ein paar Minuten zuvor waren meine Frau und ich noch einmal bei Daniel, bei uns wird früh zu Bett gegangen (wenn man ein Kind ist). Er ist katholisch und hat uns gefragt, ob wir mit ihm für seinen Papa beten. Das haben wir natürlich gemacht. Dann druckste er so herum und wollte uns noch etwas fragen. »Hast du noch was auf dem Herzen?«, hat meine Frau ihn gefragt, und seine Augen leuchteten: »Ja, ich hätte so gerne einen Fußball, einen eigenen Fußball.«

Unter unserer Treppe steht eine große gelbe Plastikbox, in der unsere Kinder bestimmt ein Dutzend Fußbälle deponiert haben, aber trotzdem fahre ich morgen mit dem Jungen los, um ihm einen Fußball zu kaufen – vielleicht taut ihn das etwas auf. Im Moment scheint ihm der Schock noch so in den Knochen zu sitzen, dass man nichts Vernünftiges aus ihm herausbekommen kann.

Er antwortet mit Gegenfragen, ausweichend oder schweigt einfach, wenn man ihn etwas fragt. Ansonsten bewegt er sich sehr grazil, hoch aufgereckt, zeigt eine unbeschreibliche Würde und strahlt einen Stolz aus, so etwas habe ich bei einem Kind noch nicht gesehen. Nun soll er aber erst mal eine Nacht schlafen, morgen ist auch noch ein Tag.

Inzwischen habe ich mit unserem Rechtsberater gesprochen. Wie ich sieht er keine Chance, dass wir die Bestattung des Herrn Olugulade durchführen können, zumindest nicht ohne einen Auftrag von der Ehefrau.

Ja – und die wird sicherlich ganz andere Sorgen haben, denn ich glaube, dass sie keinen blassen Schimmer von ihrer Situation hat. Sie wird vielleicht auf einen Anruf ihres Mannes warten, aber der wird nicht kommen. Das Mobiltelefon des seligen Herrn Olugulade hat die Kripo, ein Prepaid-Gerät mit 14 Cent Guthaben und drei eingespeicherten Nummern.

Samstagvormittag haben wir, wie versprochen, dem kleinen Daniel einen Fußball gekauft. Meine Frau hat ihm auch Unterwäsche und ein paar Shirts geholt, ansonsten passen ihm die Sachen, die wir noch von unserem Größeren haben. Ich bleibe dabei, er ist ein Klugscheißer und altkluger Besserwisser. Ich kann es nicht richtig beschreiben, aber er benimmt sich wie der Prinz von Zamunda.

Egal, er hat einen Kükenbonus – und natürlich berücksichtigen wir die besondere Situation, in der er jetzt steckt. Allerdings halte ich nichts davon, dass wir ihn jetzt über Gebühr schonen oder bevorzugen.

Am selben Vormittag taucht Frau Birnbaumer-Nüsselschweif hier auf und bringt zwei große Müllsäcke voller Altkleider. In ihrer Begleitung befindet sich Herr Dr. Raps, der in der Afrikagruppe einen besonderen Status genießt, weil er, wie ich erfahre, als Einziger schon mal in Afrika war. Insbesondere möchte sich Frau Birnbaumer-Nüsselschweif durch persönliche Inaugenscheinnahme davon überzeugen, dass Daniel, den sie vehement »das hinterbliebene Kind« nennt, bei uns auch wirklich gut untergebracht ist. Dabei wird sie nicht müde, zu beteuern, dass es dem hinterbliebenen Kind in ihrer Obhut gewiss viel besserginge. Ich lehne es aber ab, jetzt über einen Umzug Daniels zu verhandeln. Am Montag will jemand vom Jugendamt kommen, und dann wird sich alles weisen.

Sie werde dann die nigerianische Botschaft anrufen und sich erkundigen, wie alles weitergeht. Das halte ich jedoch für keine gute Idee, da ich keine Ahnung habe, welchen Status die Olugulades hier genießen – und man sollte in einer solchen Situation keine schlafenden Hunde wecken.

Dr. Raps tut so, als sei ich der Quertreiber, und redet beruhigend auf die Birnbaumer ein, als ob er einem vernunftbegabten Menschen das Verhalten eines Irren begreiflich machen müsste. Die beiden sehen in mir einen Konkurrenten, der ihnen quasi eine Trophäe streitig macht, von der sie glauben, dass sie ihnen zusteht.

Merkwürdige Leute; ich komplimentiere sie hinaus.

Wenig später inspizieren meine Frau und ich die Klamotten, die das Rüsselschwein gebracht hat. Darunter ein fadenscheiniger Janker in Größe 52, ein Filzhut, der bestimmt Luis Trenker gehört hat, und etliche Hosen, die sogar mir zu lang wären. Zwei Hemden könnten Daniel passen, den Rest kann sie zurückhaben.