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Er machte das Boot los und hielt es ganz nah am Anleger fest. Drei Steinstufen ins Wasser, aber sie waren von Algen bewachsen und tückisch glatt, denn sie waren seit Jahren nicht gereinigt worden. Ian hätte die Stufen leicht schrubben können, doch das Problem fiel ihm immer nur auf, wenn er sein Boot benutzte, was er nur tat, wenn er Bewegung nötig hatte, und dann hatte er es immer ziemlich eilig.

Diesmal war es nicht anders. Die Festmachleine in der einen Hand, die andere Hand am Dollbord, stieg er vorsichtig ein, wobei er sorgfältig darauf achtete, sein Gewicht gleichmäßig zu verteilen, um das Boot nicht zum Kentern zu bringen. Er setzte sich. Rollte das Tau auf und legte es in den Bug. Dann schob er die Füße in die Schuhe am Stemmbrett und drückte sich von der Mauer ab. Da er mit dem Gesicht zum See saß, war es leicht, sich aus dem Bootshaus auf den See hinauszuschieben.

Der Regen, der eingesetzt hatte, als er nach Ireleth Hall gefahren war, fiel jetzt heftiger, und wenn er es nicht so nötig gehabt hätte, sich zu verausgaben, wäre er umgekehrt. Aber so machte der Regen ihm nichts aus. Außerdem hatte er nicht vor, lange draußen zu bleiben. Nur einmal volle Kraft voraus bis Windermere und wieder zurück zum Bootshaus.

Er legte die langen Riemen in die Dollen und justierte die Position der Riemenschäfte. Probeweise bewegte er die Beine, um sich zu vergewissern, dass der Rollsitz glatt in seinem Schlitten lief. Dann war er startklar. In weniger als zehn Sekunden hatte er sich bereits ein gutes Stück vom Bootshaus entfernt und war unterwegs zur Seemitte.

Von dort aus konnte er das Gutshaus Ireleth Hall mit seinem Turm, seinen Giebeln und den vielen Kaminen ausmachen. In den Erkerfenstern des Salons brannte Licht, ebenso im ersten Stock, wo sich das Schlafzimmer befand. An der Südseite des Gebäudes erhoben sich die riesigen geometrischen Umrisse des Formschnittgartens dunkel über der Mauer, die den Garten einschloss, und knapp hundert Meter jenseits davon brannte Licht in sämtlichen Fenstern eines weiteren Turms. Es war der Zwilling des ältesten Teils von Ireleth Hall, ein nutzloser Zierbau im Stil der Wehrtürme von Cumbria und Wohnsitz einer der nichtsnutzigsten Frauen, denen Ian je begegnet war.

Er wandte sich ab vom Anblick des Herrenhauses, des Turms und des Formschnittgartens, dem Landsitz seines Onkels, den er zwar mochte, aber nicht verstand.»Ich akzeptiere dich, wie du bist, und deswegen musst du mich akzeptieren, wie ich bin«, hatte Bernard Fairclough zu ihm gesagt,»denn das Leben besteht aus Kompromissen.«

Aber Ian fand das ziemlich fraglich, ebenso wie er sich fragte, was es mit den Verbindlichkeiten auf sich hatte, die gezahlt werden mussten, und mit den Personen, die diese Zahlungen erhielten. Das ging ihm an dem Abend durch den Kopf. Ein Thema mehr, das ihn auf dem Wasser hielt.

Der See war kein einsamer Ort. Wegen seiner Größe — das größte stehende Gewässer in Cumbria — hatten sich an seinen Ufern eine ganze Reihe kleiner Städte und Dörfer angesiedelt, und in dem unerschlossenen Gelände dazwischen standen hier und da einzelne Häuser mit Schieferfront, Landhäuser, die schon vor Jahren zu teuren Hotels umgebaut worden waren, oder Privathäuser, die auf gutbetuchte Eigentümer schließen ließen, die sich mehr als einen Wohnsitz leisten konnten. Denn wenn der Winter einsetzte, wurde das Seengebiet hier oben ziemlich unwirtlich für Leute, die nicht an Wind und Schnee gewöhnt waren.

Daher fühlte Ian sich nicht allein auf dem See. Zwar war er der Einzige, der im Moment mit einem Ruderboot draußen war, doch am Ufer lagen noch die Boote der Ruderclubs und die Kajaks, Kanus und Skulls der Eigentümer von Wassergrundstücken, die die Boote noch nicht für den Winter aus dem Wasser genommen hatten, und das war ein tröstlicher Gedanke.

Er wusste nicht, wie lange er schon ruderte. Lange konnte er noch nicht unterwegs sein, dachte er, denn er war noch nicht weit gekommen. Er war noch nicht am Hotel Beech Hill vorbei, von wo aus er die Belle Isle gesehen hätte. In der Regel hatte er an dem Punkt die Hälfte seiner Trainingsstrecke hinter sich. Aber offenbar hatte ihn die Auseinandersetzung mit Kaveh mehr mitgenommen, als ihm bewusst geworden war, denn seine Muskeln begannen zu ermüden, was ihm verriet, dass er besser umkehren sollte.

Einen Moment lang blieb er reglos sitzen. Von der A 592, die am Ostufer des Sees entlang verlief, drangen Verkehrsgeräusche herüber. Aber außer dem Regen, der auf das Wasser prasselte, war nichts zu hören. Die Vögel schliefen schon, und alle, die einen Funken Verstand besaßen, waren in ihren Häusern.

Ian holte tief Luft. Ein Schauder überlief ihn. Wenn er tot wäre, würde das den einen oder anderen freuen, sagte er sich bitter. Oder es lag am Wetter, dass er fröstelte, was wahrscheinlicher war. Selbst bei dem Regen roch er den Rauch aus einem Kamin in der Nähe, und er sah das wärmende Holzfeuer vor sich, stellte sich vor, dass er vor dem offenen Kamin in einem Sessel saß, neben sich Kaveh in einem ähnlichen Sessel, beide ein Glas Wein in der Hand bei einer zwanglosen Plauderei nach einem langen Tag, genauso wie Millionen von Paaren in Millionen von Häusern rund um den Globus.

Das, sagte er sich, war es, wovon er träumte. Das und der Friede, den es einem gab. Es war doch nicht zu viel verlangt: einfach nur ein ganz normales Leben.

So vergingen einige Minuten: kaum Geräusche, Ian entspannt, das Boot im Einklang mit den Bewegungen des Sees. Wenn es nicht geregnet hätte, wäre er vielleicht sogar eingeschlafen. Aber er war schon ziemlich durchnässt, und nach einer Weile entschloss er sich, zum Bootshaus zurückzurudern.

Er schätzte, dass er etwas über eine Stunde auf dem Wasser gewesen war, und als er sich dem Ufer näherte, war es stockdunkel. Die Bäume am Ufer waren nur noch als geometrische Formen zu erkennen: spitze Koniferen wie Menhire, Birken wie zarte Striche vor dem Nachthimmel, dazwischen Ahornbäume, deren Laub im Regen zitterte. Ein Pfad führte zum Bootshaus, vom Wasser aus betrachtet eine verspielte Konstruktion, denn selbst in der Dunkelheit und in dem Wetter hob es sich wie ein Märchenschlösschen vom Ufer ab.

Ian fiel auf, dass die Außenlampe durchgebrannt war. Normalerweise schaltete sie sich bei Einbruch der Dunkelheit ein und beleuchtete wenigstens den Außenbereich des Bootshauses. Aber wo ein gelber Lichtschein — zumindest bei besserem Wetter — Motten angelockt hätte, war es jetzt dunkel. Ian nahm sich vor, sich auch um die Lampe zu kümmern, wenn er sich die veralgten Stufen vornahm.

Er steuerte das Bootshaus an und glitt hinein. Die Dunkelheit im Innern war undurchdringlich. Außer seinem Skullboot lagen hier noch drei weitere Boote. Ein ziemlich abgenutztes Angelruderboot, ein Schnellboot und ein Kanu unbestimmten Alters und noch unbestimmterer Seetauglichkeit, alle willkürlich am Anleger vertäut. Er musste sich zwischen diesen drei Booten hindurcharbeiten, um bis ans hintere Ende zu gelangen, und es gelang ihm ganz gut, sich im Dunkeln vorzutasten, obwohl er einmal mit der Hand zwischen das Ruderboot und sein Skullboot geriet und laut fluchte, als seine Finger zwischen dem Fiberglas und dem Holz eingequetscht wurden.

Er quetschte sich die Hand noch einmal zwischen Boot und Mauer, und diesmal spürte er, dass er blutete.»Verflucht«, murmelte er und drückte seine Knöchel kurz gegen seine Rippen. Es tat höllisch weh, und er nahm sich vor, etwas besser aufzupassen.

In seinem Auto lag eine Taschenlampe, und er hatte noch genug Sinn für Humor, um sich dafür zu gratulieren, dass er sie dort gelassen hatte, wo sie ihm überhaupt nichts nützte. Etwas vorsichtiger streckte er die Hand nach der Mauer aus und tastete nach dem Metallring, an dem er sein Boot vertäuen konnte. Wenigstens konnte er den Knoten mit verbundenen Augen machen. Anschließend zog er die Füße aus den Stemmbrettschuhen. Dann verlagerte er sein Gewicht und griff nach der Steinmauer, um sich aus dem Boot zu hieven.

Es passierte, als er mit einem Fuß auf einen einzelnen Stein am Rand trat und mit dem anderen Fuß noch im Boot stand. Der Stein, der offenbar schon locker saß, löste sich ganz, Ian verlor das Gleichgewicht, und sein Boot, das nur am Bug befestigt war, schoss nach hinten. Ian stürzte in das eiskalte Wasser.