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«Familiäre Anliegen welcher Art?«

Die beiden Männer schwiegen. Lynley schaute erst Hillier, dann Fairclough an.»Ich kann Ihnen keine Gewissheit in einer Sache verschaffen, über die ich im Dunkeln gelassen werde, Lord Fairclough.«

«Bitte, nennen Sie mich Bernard«, sagte Fairclough, obwohl Hilliers warnender Blick an seine Adresse andeutete, dass derlei Vertraulichkeiten nur das Übliche zur Folge haben würden.»In der Familie nennen mich alle Bernie, aber Bernard ist in Ordnung. «Fairclough nahm seine Kaffeetasse. Hillier hatte ihm gerade nachgeschenkt, aber es schien, als brauchte Fairclough die Tasse eher zur Beschäftigung seiner Hände als zum Trinken. Er drehte sie hin und her, betrachtete sie eingehend und sagte dann:»Ich möchte Gewissheit darüber haben, dass mein Sohn Nicholas nichts mit dem Tod meines Neffen zu tun hat.«

Lynley ließ die Information erst einmal sacken und fragte sich, was sie über den Vater, den Sohn und den Neffen aussagte. Er fragte:»Haben Sie Grund zu der Annahme, Ihr Sohn könnte etwas damit zu tun haben?«

«Nein.«

«Also?«

Wieder der hilfesuchende Blick zu Hillier, der sofort reagierte:»Nicholas hatte eine … na ja, sagen wir, eine schwierige Kindheit und Jugend. Er scheint das alles überwunden zu haben, aber Bernard fürchtet dennoch, der Junge …«

«Er ist inzwischen erwachsen«, fiel Fairclough ihm ins Wort.»Er ist zweiunddreißig. Verheiratet. Wenn ich ihn sehe, habe ich den Eindruck, dass sich alles geändert hat. Er scheint sich geändert zu haben. Trotzdem: Er hat Drogen genommen, alle möglichen Drogen, vor allem Methamphetamine, und zwar jahrelang, seit er ungefähr dreizehn war. Er kann von Glück reden, dass er überhaupt noch lebt, und er schwört, dass ihm das klar ist. Aber das hat er jedes Mal gesagt.«

Während Lynley sich das alles anhörte, dämmerte ihm allmählich, warum man ausgerechnet ihn um Hilfe bat. Er hatte mit Hillier nie über seinen Bruder gesprochen, doch Hillier hatte Spione in jeder Abteilung der Metropolitan Police, und warum sollte sich unter all den Informationen, die er sammelte, nicht ein Bericht über Peter Lynleys Kampf gegen die Drogensucht befunden haben?

«Dann hat er eine Argentinierin kennengelernt«, fuhr Bernard fort.»Eine echte Schönheit. Er hat sich unsterblich in sie verliebt, aber sie wollte nichts mit ihm zu tun haben, solange er an den Drogen hing. Also hat er eine Entziehungskur gemacht. Zumindest sieht es so aus.«

Für Lynley erhöhte das die Wahrscheinlichkeit, dass Nicholas nichts mit dem Tod seines Vetters zu tun hatte, aber er wartete auf mehr Informationen, die Fairclough nur häppchenweise preisgab. Offenbar war der Tote bei den Faircloughs aufgewachsen. Er hatte die Rolle des großen Bruders innegehabt und war mit so großen Schritten vorangegangen, dass der jüngere Nicholas keine Chance gehabt hatte, ihm zu folgen. Ian Cresswell hatte das Elite-Internat St. Bees in Cumbria besucht und danach die Universität. Nach Abschluss des Studiums war er nicht nur als Finanzchef bei Fairclough Industries eingestellt worden, sondern hatte auch die persönlichen Finanzgeschäfte von Bernard Fairclough verwaltet. Und dabei schien es um beträchtliche Summen gegangen zu sein.

«Bisher ist noch keine Entscheidung darüber gefällt worden, wer einmal die Leitung der Firma übernimmt, wenn ich nicht mehr da bin«, sagte Fairclough.»Aber Ian stand natürlich ganz oben auf der Liste.«

«Wusste Nicholas davon?«

«Jeder wusste das.«

«Heißt das, dass Nicholas von Ians Tod profitiert?«

«Wie gesagt, es war — und ist — noch keine Entscheidung getroffen worden.«

Wenn also jeder gewusst hatte, dass Ian die Firma übernehmen sollte, dann hatte auch so gut wie jeder — ein Mordmotiv, dachte Lynley. Falls es Mord gewesen war. Aber wenn der Gerichtsmediziner einen Unfall als Todesursache festgestellt hatte, dann hätte Fairclough eigentlich erleichtert sein müssen, was offenbar nicht der Fall war. Fairclough wollte also, dass sein Sohn am Tod seines Vetters schuld war. Es war pervers, doch in all den Jahren bei der Met hatte Lynley Perversion in allen möglichen Schattierungen erlebt.

«Wer genau ist jeder?«, fragte Lynley.»Ich vermute, es gibt noch andere außer Nicholas, die ein persönliches Interesse an Fairclough Industries haben.«

Mit seiner Vermutung lag er richtig: Es gab zwei ältere Schwestern und einen ehemaligen Schwiegersohn, aber einzig wegen seines Sohnes war Fairclough beunruhigt. Über die anderen brauche Lynley sich keine Gedanken zu machen, die seien alle keine Mörder. Zu einem Mord wären die nicht fähig, Nicholas dagegen durchaus. Außerdem, bei seiner Vergangenheit … Man wolle sich nur vergewissern, dass er mit der Sache nichts zu tun hatte. Man wolle lediglich Klarheit schaffen.

«Ich möchte, dass Sie das übernehmen«, sagte Hillier zu Lynley.»Dazu werden Sie sich nach Cumbria begeben müssen, und die ganze Sache muss mit äußerster Diskretion behandelt werden.«

Polizeiliche Ermittlungen und äußerste Diskretion, dachte Lynley. Er fragte sich, wie er das bewerkstelligen sollte.

Hillier klärte ihn auf.»Niemand wird erfahren, dass Sie nach Cumbria gefahren sind. Und die Polizei vor Ort wird nicht informiert. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass sich die IPCC für die Angelegenheit interessiert. Wir wollen niemandem auf die Füße treten, aber auch nichts unversucht lassen. Sie wissen doch, wie man so was macht.«

Er wusste es nicht. Und es gab noch etwas, weswegen er Bedenken hatte.»Superintendent Ardery wird wissen wollen …«

«Superintendent Ardery können Sie getrost mir überlassen. Und auch alle anderen.«

«Ich soll das also ganz allein durchziehen?«

«Niemand von Scotland Yard darf davon erfahren«, sagte Hillier.

Lynley verstand die Welt nicht mehr, denn falls sich herausstellen sollte, dass Nicholas ein Mörder war, sollte er anscheinend überhaupt nichts unternehmen. Er sollte Nicholas seinem Vater überlassen oder vielleicht auch dem lieben Gott. Mit dieser Art von Ermittlung wollte Lynley nichts zu tun haben. Aber es handelte sich nicht um einen Gefallen, um den Hillier ihn bat, sondern um eine dienstliche Anweisung.

FLEET STREET — LONDON

Rodney Aronson hatte sich mit fairen und unfairen Methoden bis zu seiner derzeitigen Position bei der Source hochgearbeitet, und eine der unfairen Methoden bestand im Heranzüchten einer beeindruckenden Schar von Spitzeln und Informanten. Er befand sich genau da, wo er hingewollt hatte, nämlich in einem imposanten, wenn auch etwas chaotischen Büro, von dem aus er uneingeschränkte Macht ausüben konnte. Was jedoch nicht hieß, dass es nichts mehr gab, worüber er sich beklagen könnte. Er hasste Arroganz, er hasste Heuchelei, er hasste Dummheit. Und ganz besonders und vor allen Dingen hasste er Inkompetenz.

Um an einer Story dranzubleiben, brauchte man kein Genie zu sein. Auch nicht, um sie ein bisschen aufzupeppen. Um an einer Story dranzubleiben, brauchte man drei Dinge: einen guten Riecher, gute Schuhsohlen und Hartnäckigkeit. Um eine Story aufzupeppen, musste man bereit sein, seinen Mitmenschen zuzusetzen, bis sie winselten, und sie notfalls zu zerquetschen. Und wenn Letzteres voraussetzte, dass der Reporter sich ein bisschen aufs Glatteis begab, wo war das Problem? Es ging um die Story, die dabei herauskam, und wenn die groß und sensationell genug war, schnellten die Verkaufszahlen in die Höhe. Hohe Verkaufszahlen bedeuteten hohe Werbeeinnahmen, die wiederum hohe Gewinne bedeuteten, was den scheintoten Peter Ogilvie, den Verleger der Source, in Verzückung versetzte. Und Ogilvie musste unter allen Umständen bei Laune gehalten werden. Wenn das einem Kollegen den Ruf oder den Kopf kostete, spielte das keine Rolle.

Zugegeben, bei der Geschichte über Nicholas Faircloughs wundersame Heilung von der Drogensucht waren einem die Füße eingeschlafen. Sie war so sterbenslangweilig, dass man sie anstelle von Betäubungsmitteln in OPs hätte einsetzen können. Aber jetzt sah die Sache auf einmal ganz anders aus. Anscheinend würde Rodney die Kosten für Zed Benjamins erste Fahrt nach Cumbria gar nicht rechtfertigen müssen, egal wie viel Geld der da aus dem Fenster geworfen hatte.