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Dieser Gedanke brachte ihn wiederum auf ein ganz anderes Thema: journalistische Dummheit. Rodney konnte nicht begreifen, wie dieser Idiot es zum zweiten Mal geschafft hatte, eine Geschichte zu übersehen, die direkt vor seiner Nase lag. Nach fünf weiteren Tagen in Cumbria hatte er nichts weiter zu bieten als zusätzliche Ausschmückungen seines Rührstücks über Nicholas Fairclough — über seine Vergangenheit im Drogensumpf, seine wundersame Rettung und seine Zukunft als Heiliger. Abgesehen davon enthielt die Story überhaupt nichts, was den typischen Source-Leser interessierte. Nichts und wieder nichts.

Benjamin hatte ihm zerknirscht erklärt, es gebe einfach nichts, was er seinem Text noch hinzufügen könne, und Rodney wusste, dass er diesen Hornochsen hätte auf der Stelle rauswerfen sollen. Hochkant. Er wusste selbst nicht, warum er es nicht getan hatte, und anfangs hatte er schon befürchtet, er würde allmählich weichherzig. Doch dann hatte einer seiner Spione angerufen und ihm einen wahrhaft pikanten Tipp gegeben, und jetzt dachte Rodney, dass er Benjamin vielleicht gar nicht zu feuern brauchte.

Was der Spion ihm erzählt hatte, war eine Offenbarung gewesen, und da Rodney Aronson Offenbarungen beinahe genauso liebte wie alles, was Kakao enthielt, zitierte er den rothaarigen Hünen in sein Zimmer und genehmigte sich einen Kitkat-Riegel, den er mit einem Espresso aus seiner persönlichen Maschine hinunterspülte. Die Espressomaschine war ein Geschenk von Butterball Betsy, einer verheirateten Fau, die sehr fantasievoll war, wenn es darum ging, ihm eine Freude zu bereiten. Dass die meisten Freuden kulinarischer Natur waren, tat nichts zur Sache.

Rodney hatte den Kitkat-Riegel aufgegessen und war gerade dabei, sich eine zweite Tasse Espresso zu machen, als er hörte, wie Zed ins Zimmer getrampelt kam. Nicht zu fassen, dass der Mann immer noch mit dieser Mütze rumlief, dachte Rodney und seufzte. Wahrscheinlich hatte dieser Trottel schon das zweite Mal mit seinem Kepi auf dem Kopf ganz Cumbria unsicher gemacht und jeden potentiellen Informanten abgeschreckt, dachte Rodney. Er schüttelte resigniert den Kopf. Mit welchem Blödsinn er sich als Chefredakteur der Source herumschlagen musste, das ging einfach auf keine Kuhhaut. Rodney beschloss, kein Wort mehr über die Kopfbedeckung zu verlieren. Er hatte Zed Benjamin einmal auf das Problem aufmerksam gemacht, und wenn der Typ nicht auf ihn hören wollte, dann sollte er doch mit seinen spinnerten Marotten untergehen. Entweder er lernte aus seinen Fehlern oder nicht, und Rodney konnte sich sowieso schon denken, was wahrscheinlicher war. Ende der Geschichte.

«Machen Sie die Tür zu«, sagte er zu Benjamin.»Setzen Sie sich. Einen Moment noch. «Er bewunderte den Schaum auf seinem Espresso und schaltete die Maschine aus. Dann ging er mit der Tasse an seinen Schreibtisch und setzte sich.»Der Tod ist sexy«, sagte er.»Ich hatte angenommen, dass Sie da selbst drauf kommen würden, aber anscheinend war das zu viel verlangt. So leid es mit tut, Zedekiah, aber offenbar sind Sie für diesen Job nicht geeignet.«

Zed schaute ihn an. Er betrachtete die Wand. Er blickte zu Boden. Schließlich sagte er:»Der Tod ist sexy. «Er sagte es so langsam, dass Rodney sich fragte, ob sein Verstand sich in einem ähnlichen Zustand befand wie seine Fußbekleidung, denn der Mann trug nicht etwa anständige Schuhe, sondern seltsame Sandalen mit Sohlen aus alten Autoreifen und dazu gestreifte, offenbar aus bunten Wollresten handgestrickte Socken.

«Ich habe Ihnen gesagt, die Story ist nicht sexy genug. Sie sind ein zweites Mal nach Cumbria gefahren, um dafür zu sorgen, dass sie sexy wird. Dass Ihnen das nicht gelungen ist, kann ich mehr oder weniger verstehen. Aber ich kann nicht verstehen, wie Sie das Ereignis verpennen konnten, das Ihre Story hätte retten können. Sie hätten wie ein geölter Blitz zurückkommen und rufen müssen Heureka! oder Jupiduh! oder Jesus, Maria und Josef, ich bin gerettet! Na ja, Letzteres wohl eher nicht, aber die Sache ist die: Man hat Ihnen die Rettung Ihrer Geschichte auf einem silbernen Tablett serviert — und damit auch gleich die Rechtfertigung für die horrenden Spesen, die Sie gemacht haben —, und Sie kriegen noch nicht mal mit, wenn etwas passiert. Dass ich das alles selbst rausfinden musste, gibt mir schwer zu denken, Zed.«

«Sie wollte immer noch nicht mit mir reden, Rodney. Ich meine, sie hat geredet, aber sie hat mir nichts gesagt. Sie findet, sie ist nicht wichtig. Sie ist seine Frau. Sie haben sich kennengelernt, haben sich verliebt, haben geheiratet, sind nach England gekommen, und mehr gibt’s zu ihr nicht zu sagen. Mehr war einfach nicht …«

«Ich weiß, dass Sie nicht blöd sind«, fiel Rodney ihm ins Wort,»aber allmählich habe ich den Eindruck, dass Sie taub sind. Der Tod ist sexy, habe ich gesagt. Das haben Sie doch gehört, oder?«

«Äh, ja, hab ich. Und sie ist sehr sexy. Die Ehefrau. Da müsste man schon blind sein …«

«Vergessen Sie die Frau, verdammt. Die ist doch nicht tot, oder?«

«Tot? Äh, nein. Ich meine, ich dachte, das wäre eine Metapher gewesen, Rodney.«

Rodney leerte seine Tasse, um dem jungen Mann nicht den Hals umzudrehen, was er am liebsten getan hätte. Dann sagte er:»Glauben Sie mir, wenn ich anfange, in Scheißmetaphern zu reden, dann werden Sie das merken. Ist Ihnen bekannt, dass der Vetter Ihres Helden das Zeitliche gesegnet hat? Und zwar erst kürzlich? Dass er vor einem Bootshaus ins Wasser gefallen und ertrunken ist? Und dass das Bootshaus dem Vater Ihres Helden gehört?«

«Ertrunken? Während ich da oben war? Unmöglich«, entgegnete Zed.»Sie mögen mich ja für blind halten, Rodney …«

«Da will ich Ihnen nicht widersprechen.«

«… aber das wäre mir mit Sicherheit nicht entgangen. Wann ist er denn gestorben? Und von welchem Vetter ist hier die Rede?«

«Gibt es denn mehr als einen?«

Zed rutschte auf seinem Stuhl herum.»Na ja, nicht dass ich wüsste. Ian Cresswell ist ertrunken?«

«So ist es.«

«War es Mord?«

«Ein Unfall, laut Untersuchungsbericht. Aber darum geht es nicht, denn dieser Todesfall ist hübsch verdächtig, und der Verdacht ist unser täglich Brot. Das war übrigens eine Metapher, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Und wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist — noch eine Metapher, ich habe gerade einen Höhenflug —, und sehen, was ans Licht kommt, wenn wir auf den Busch klopfen.«

«Das ist ein schiefes Bild«, murmelte Zed.

«Was?«

«Schon gut. Sie wollen also, dass ich das tue? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll ich andeuten, dass Grund zu der Annahme besteht, dass da jemand nachgeholfen hat. Und dass es sich bei diesem Jemand um Nicholas Fairclough handelt. Ich sehe schon, wie das zusammenpasst: Der ehemalige Junkie wird rückfällig und bringt aus irgendeinem rätselhaften Grund seinen Vetter um die Ecke, und, man höre und staune, liebe Leser, er kommt damit auch noch ungeschoren davon. «Zed schlug sich mit den Händen auf die Schenkel, als wollte er aufstehen und Rodneys Befehl sofort ausführen. Doch stattdessen sagte er:»Die beiden sind aufgewachsen wie Brüder, Rodney. Das steht in meinem ursprünglichen Artikel. Und sie haben sich nicht gehasst. Aber wenn Sie das wünschen, kann ich es natürlich so darstellen wie eine Kain-und-Abel-Geschichte.«

«Reden Sie nicht in diesem Ton mit mir«, sagte Rodney.

«In welchem Ton?«

«Sie wissen verdammt genau, was ich meine. Ich sollte Ihnen eigentlich einen Arschtritt verpassen, aber ich werde Ihnen stattdessen einen Gefallen tun. Ich werde drei kleine Worte aussprechen, die Sie hoffentlich aufhorchen lassen. Hören Sie zu, Zed? Ich möchte nicht, dass Ihnen das entgeht. Jetzt geht’s los: New Scotland Yard.«