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«Ja«, sagte Manette.»Und ich rufe Gracie an.«

ST. JOHN’S WOOD — LONDON

Zed Benjamin saß im Auto und betrachtete den Weg, den er zurücklegen musste, um ins Haus seiner Mutter zu gelangen. Er wusste, was ihn da drinnen erwartete, und er war nicht wild darauf. Seine Mutter würde nicht lange brauchen, um spitzzukriegen, dass er seinen Job verloren hatte, und dann würde sie ihm ordentlich die Hölle heißmachen. Außerdem musste er Yaffa gegenübertreten, und die Vorstellung, was sie für ein Gesicht machen würde, wenn sie erfuhr, dass er seine Jahrhundertstory in den Sand gesetzt hatte, war einfach nur deprimierend.

Zu allem Überfluss fühlte er sich hundeelend. Er war am Morgen in einem schäbigen Hotel an einer Raststätte aufgewacht. Am Tag zuvor hatte er gleich nach dem Telefonat mit Rodney Aronson seine Sachen in Windermere abgeholt und sich auf den Heimweg gemacht. Dann war er so lange in Richtung London gefahren, bis ihm fast die Augen zugefallen waren. Das Zimmer, in dem er übernachtet hatte, hatte ihn an diese japanischen Schlafboxen erinnert, über die er einmal gelesen hatte. Er fühlte sich, als hätte er versucht, in einem Sarg zu schlafen.

Am Morgen war er so ausgeruht gewesen, wie man sein konnte, wenn man um drei Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen wurde, weil sich auf dem Hotelkorridor ein paar Typen dermaßen prügelten, dass die Polizei gerufen werden musste. Um halb fünf war er wieder eingeschlafen, aber gegen fünf waren die Leute zur Frühschicht in den verschiedenen Läden und Imbissbuden der Raststätte eingetroffen, hatten ihre Autotüren zugeschlagen und einander lauthals begrüßt, und um halb sechs hatte Zed seine Schlafversuche endgültig aufgegeben und sich in die Miniaturdusche gezwängt.

Wie ein Roboter hatte er sich rasiert, die Zähne geputzt, sich angezogen. Hunger hatte er keinen gehabt, aber er hatte wenigstens einen Kaffee trinken wollen, und als er gerade in der Cafeteria war, wurden die Tageszeitungen geliefert.

Aus lauter Gewohnheit hatte Zed sich die Source geschnappt und mit an seinen Tisch genommen. Die Zeitung brachte eine Fortsetzung von Corsicos weltbewegender Rührstory über das Mischlingskind aus dem dritten Glied der Königsfamilie. Die Story war richtig groß aufgemacht, diesmal mit der Schlagzeile Er gesteht ihr seine Liebe, und begleitet von den entsprechenden Fotos. Das besagte Mitglied der königlichen Familie hatte anscheinend die Absicht, die Mutter des Kindes zu ehelichen, da die Enthüllungsstory dazu geführt hatte, dass sie ihren Job als drittklassige Bollywood-Schauspielerin verloren hatte. Lesen Sie auf Seite drei, wer die Mutter des Kindes ist … Zed befolgte die Anweisung. Und stieß auf ein Foto von einer vollbusigen Schönheit und ihrem königlichen Verehrer, der das Kind auf dem Schoß hielt. Der Mann grinste in die Kamera, als wollte er seinen Geschlechtsgenossen im ganzen Land zeigen:»Seht mal, was ich mir geangelt hab, ihr Wichser!«Und es stimmte sogar. Der Idiot hatte immerhin einen Titel. Ob er auch noch einen dem Titel angemessenen Verstand besaß, war eine andere Frage.

Zed warf die Zeitung auf den Tisch. Was für ein Schwachsinn, dachte er. Aber er wusste, dass bei der Source die Korken knallten. Man würde Mitchell Corsicos unfehlbaren Riecher für eine heiße Story feiern, seine Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und einen Spross der königlichen Familie — wie unbedeutend der auch sein mochte — dahingehend zu manipulieren, dass er genau das tat, was die Source ihm vorgab. Er, Zedekiah Benjamin, verkannter Dichter, sollte eigentlich froh sein, dass er den Scheißjob bei dem Käseblatt los war.

Er stieg aus dem Auto. Er konnte das Unausweichliche nicht länger aufschieben, dachte er, doch er konnte es immerhin als positive Wendung in seinem Leben darstellen, falls ihm die richtigen Worte einfielen.

Kurz bevor er die Haustür erreichte, kam Yaffa aus dem Haus. Sie rückte gerade ihren Rucksack zurecht, woraus er schloss, dass sie auf dem Weg zur Uni war. Sie hatte ihn nicht gesehen, und er wollte sich gerade hinter ein paar Sträuchern verdrücken, als sie ihn entdeckte.

«Zed«, stammelte sie.»Was für eine … Also, das ist ja … Was für eine Überraschung. Du hast mir ja gar nicht gesagt, dass du heute schon nach London zurückkommen würdest.«

«Wenn ich dir erst mal erzähle, warum ich wieder da bin, wirst du weniger erfreut sein.«

«Was ist denn?«, fragte sie besorgt. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm.»Was ist passiert, Zed?«

«Ich bin gefeuert.«

Sie schaute ihn mit offenem Mund an. Wie weich ihre Lippen waren, dachte Zed.»Du hast deinen Job verloren? Aber es lief doch alles so gut! Was ist denn mit deiner Story? Und mit den Leuten in Cumbria? Mit all den Geheimnissen? Was hatten sie denn zu verbergen?«

«Es ging nur darum, wie man ein Kind in die Welt setzt, wenn man selber keins bekommen kann«, sagte er.»Das war alles.«

Sie runzelte die Stirn.»Und Scotland Yard? Es kann doch nicht sein, dass die wegen so was ermittelt haben.«

«Das ist das Schlimmste, Yaffa«, sagte er.»Wenn da oben wirklich jemand von Scotland Yard war, dann hab ich ihn jedenfalls nicht zu Gesicht bekommen.«

«Aber wer war denn dann diese Frau?«

«Sie war gar nicht von Scotland Yard. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wer sie war, und jetzt, wo ich meinen Job los bin, spielt es auch keine Rolle mehr, oder?«Er trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.»Aber unsere kleine Scharade am Telefon hat mir Spaß gemacht.«

Sie lächelte.»Mir auch.«

Nervös spielte er an seinem Laptop herum. Plötzlich schien er nicht zu wissen, wo er seine Hände und Füße lassen sollte.»Tja. Hm«, sagte er.»Wann wollen wir denn unsere Trennung inszenieren? Wenn’s nach mir geht, so bald wie möglich. Wenn wir das nämlich nicht in den nächsten Tagen angehen, bestellt meine Mutter den Rabbi und backt eine Challa.«

Yaffa lachte.»Und wäre das denn gar so schrecklich, Zedekiah Benjamin?«, fragte sie in einem neckischen Ton.

«Was? Das mit dem Rabbi oder das mit der Challa?«

«Beides.«

Die Haustür ging auf. Eine ältere Frau kam mit einem kleinen Pudel an der Leine heraus. Zed trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Sie schaute erst ihn, dann Yaffa, dann wieder ihn an. Sie grinste. Zed schüttelte den Kopf. Jüdische Mütter. Die waren doch alle gleich, dachte er resigniert. Dann sagte er zu Yaffa:»Das würde Micah aber gar nicht gefallen, oder?«

«Ach, Micah. «Yaffa schaute der alten Frau mit dem Pudel nach. Der Pudel hob das Bein und pinkelte an einen Strauch.»Ich fürchte, es gibt gar keinen Micah.«

Er schaute sie verdattert an.»Wie bitte? Verdammt! Ihr habt euch getrennt?«

«Zed«, sagte Yaffa.»Es hat nie einen Micah gegeben.«

Zed brauchte einen Augenblick, um das zu verdauen. Endlich fiel ihm der Groschen.»Soll das heißen …«

Sie ließ ihn nicht ausreden.»Ja, genau das soll das heißen.«

Er lächelte.»Du bist ja eine ganz Raffinierte.«

«Ja«, sagte sie.»So bin ich einfach. Und ja.«

«Ja, was?«

«Ja, ich will deine Frau werden. Wenn du mich noch haben willst, obwohl ich dich mit Hilfe deiner eigenen Mutter reingelegt habe.«

«Aber warum willst du mich denn jetzt noch?«, fragte er.»Ich habe keinen Job, ich habe kein Geld, ich wohne bei meiner Mutter und …«

«Das sind die Geheimnisse der Liebe«, sagte sie.

BRYANBARROW — CUMBRIA

Kaum hielt das Auto vor dem Tor, kam Gracie aus dem Haus gelaufen. Sie flog Tim um den Hals und ließ ihn gar nicht mehr los und redete so atemlos auf ihn ein, dass er Mühe hatte zu verstehen, was sie sagte. Und alles andere war ihm auch noch nicht so ganz klar. Manette hatte in der Margaret Fox School angerufen, um Bescheid zu sagen, dass Tim jetzt bei ihr wohnte. Sie hatte gebeten, ihn noch einen Tag vom Unterricht zu beurlauben, und versprochen, ihn am nächsten Morgen persönlich zur Schule zu bringen. Dann hatte sie einen grünen Seidenrock, einen grauen Kaschmirpullover und ein graues Jackett angezogen, sich ein buntes Halstuch umgebunden und verkündet, sie müssten zu einer Hochzeit und Tim sei Freddies Trauzeuge — falls er nichts dagegen habe.