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Trotzdem konnte Barbara sich nicht so recht damit abfinden, dass die beiden ein Verhältnis hatten. Das Wissen darum stand jedes Mal unausgesprochen im Raum, wenn sie mit Lynley zu tun hatte. Sie fand das unerträglich. Nicht die Affäre selbst, sondern die Tatsache, dass er nicht mir ihr darüber redete. Nicht dass sie das von ihm erwartet hätte. Nicht dass sie das wirklich wollte. Nicht dass sie gewusst hätte, was sie sagen sollte, falls er tatsächlich eine Bemerkung darüber machte. Aber sie waren Partner, sie und Lynley, oder zumindest waren sie Partner gewesen, und Partner sollten doch — ja was eigentlich? fragte sie sich. Doch das war eine Frage, die sie sich lieber nicht beantwortete.

Sie öffnete die Fahrertür. Es regnete nicht so stark, dass es sich gelohnt hätte, einen Schirm zu benutzen. Sie schlug ihren Kragen hoch, nahm die Tüte mit ihren neuen Errungenschaften vom Beifahrersitz und eilte nach Hause.

Wie immer warf sie einen Blick zu den Fenstern der Parterrewohnung in dem edwardianischen Haus, hinter dem sie wohnte. Es wurde schon dunkel, und es brannte Licht. Sie sah ihre Nachbarin an der Terrassentür vorbeigehen.

Also gut, dachte sie, sie war bereit, es sich einzugestehen. Sie wollte, dass jemand es bemerkte. Sie hatte stundenlang im Zahnarztstuhl ausgeharrt, und ihre einzige Belohnung war ein knappes Nicken von Isabelle Ardery gewesen, begleitet von der Bemerkung:»Als Nächstes kümmern Sie sich um Ihre Frisur, Sergeant. «Anstatt also dem Weg hinters Haus zu folgen, wo unter einer riesigen Robinie der Bungalow stand, in dem sie wohnte, klopfte Barbara an die Tür der Erdgeschosswohnung. Die Anerkennung einer Neunjährigen war besser als nichts.

Hadiyyah öffnete, obwohl ihre Mutter sie schalt:»Liebes, das sollst du doch nicht tun! Man kann nie wissen, wer draußen steht!«

«Ich bin’s nur!«, rief Barbara.

«Barbara, Barbara!«, jauchzte Hadiyyah.»Mummy, es ist Barbara! Sollen wir ihr zeigen, was wir gemacht haben?«

«Natürlich, Liebes. Bitte sie herein.«

Es roch nach frischer Farbe in der Wohnung, und Barbara sah sofort, was Mutter und Tochter vollbracht hatten. Das Wohnzimmer war frisch gestrichen. Angelina Upman war dabei, der Wohnung ihren Stempel aufzudrücken. Auf dem Sofa lagen neue Kissen, und es gab zwei Vasen mit frischen Schnittblumen: einen kurzen, künstlerisch arrangierten Strauß auf dem Sofatisch und einen großen bunten auf dem Kaminsims.

«Ist das nicht hübsch?«Hadiyyah schaute ihre Mutter so bewundernd an, dass es Barbara die Kehle zuschnürte.»Mummy kennt sich mit so was aus, und es ist gar nicht schwer, stimmt’s, Mummy?«

Angelina drückte ihrer Tochter einen Kuss auf den Kopf, dann hob sie zärtlich mit einem Finger ihr Kinn an und sagte:»Du, mein Schatz, bist meine größte Bewunderin, und dafür danke ich dir. Aber ich möchte eine objektivere Meinung hören. «Sie lächelte Barbara an.»Was meinen Sie, Barbara? Ist unsere Arbeit von Erfolg gekrönt?«

«Es soll eine Überraschung sein«, sagte Hadiyyah.»Dad weiß gar nichts davon.«

Sie hatten die ehemals schmutzig weißen Wände hellgrün gestrichen. Es war eine Farbe, die sehr gut zu Angelina passte, was ihr natürlich bewusst war. Gute Wahl, dachte Barbara. Das frühlingshafte Grün ließ die Frau noch attraktiver wirken, als sie es ohnehin schon war: blond, blauäugig, feenhaft.

«Schöne Farbe«, sagte Barbara zu Hadiyyah.»Hast du geholfen, sie auszusuchen?«

«Na ja …«Hadiyyah trat von einem Fuß auf den anderen. Sie schaute zu ihrer Mutter hoch und biss sich auf die Lippe.

«Selbstverständlich«, log Angelina.»Ich habe ihr die endgültige Entscheidung überlassen. Sie würde eine gute Innenarchitektin abgeben, aber da wird ihr Vater noch ein Wörtchen mitzureden haben. Er möchte, dass du mal etwas Naturwissenschaftliches studierst, meine Kleine.«

«Bäh«, machte Hadiyyah.»Ich will Tänzerin werden, so, jetzt wisst ihr’s.«

Das war Barbara neu, doch es wunderte sie nicht. Sie wusste, dass Angelina angeblich versucht hatte, sich während der vierzehn Monate, die sie aus dem Leben ihrer Tochter verschwunden war, als Profitänzerin zu etablieren. Dass sie nicht allein verschwunden war, hatte man Hadiyyah nicht erzählt.

Angelina lachte.»Tänzerin? Das bleibt aber am besten unter uns. «Zu Barbara sagte sie:»Möchten Sie eine Tasse Tee mit uns trinken, Barbara? Hadiyyah, setz schon mal Wasser auf. Nach der vielen Arbeit müssen wir uns ein bisschen ausruhen.«

«Danke, ich kann nicht bleiben«, sagte Barbara.»Ich bin nur kurz vorbeigekommen, um …«

Barbara wurde bewusst, dass die beiden es auch nicht bemerkt hatten. Endlose Stunden in dem verdammten Zahnarztstuhl und niemandem fiel etwas auf … und das bedeutete … Sie riss sich zusammen. Gott, was war bloß mit ihr los?

Ihr fiel die Tüte ein, die sie in der Hand hielt.»Ich hab mir auf der High Street ein paar Sachen gekauft und wollte mal sehen, ob sie Hadiyyah gefallen, damit ich sie morgen anziehen kann.«

«Au ja!«, rief Hadiyyah.»Zeig mal her! Mummy, Barbara macht sich neuerdings richtig schick. Sie hat sich neue Sachen gekauft und alles. Zuerst wollte sie zu Marks & Spencer gehen, aber das hab ich ihr ausgeredet. Na ja, einen Rock haben wir da gekauft, nicht wahr, Barbara. Das war dann auch alles, weil ich ihr nämlich gesagt hab, dass da nur alte Frauen einkaufen …«

«Das stimmt nicht ganz, mein Schatz«, sagte Angelina.

«Also, du sagst doch immer …«

«Ich rede viel dummes Zeug, das du gar nicht beachten solltest. Zeigen Sie mal her, Barbara. Oder ziehen Sie die Sachen doch mal kurz über.«

«Ja, ja, zieh sie an!«, sagte Hadiyyah.»Du musst sie anziehen. Du kannst in mein Zimmer gehen …«

«Da herrscht das totale Chaos«, sagte Angelina.»Gehen Sie lieber in unser Schlafzimmer, Barbara. Ich mache inzwischen Tee.«

Und so fand Barbara sich in dem Zimmer wieder, das sie freiwillig nie aufgesucht hätte: im Schlafzimmer von Angelina Upman und Hadiyyahs Vater Taymullah Azhar. Sie machte die Tür zu und atmete tief durch. Sie schloss die Augen. Sie würde das überstehen. Sie brauchte nur die Bluse aus der Tüte zu nehmen, die auszuziehen, die sie anhatte … Sie brauchte ihren Blick nur auf das zu richten, was sich direkt vor ihrer Nase befand.

Was ihr natürlich nicht gelang, auch wenn sie über die Gründe dafür lieber nicht nachdachte. Und sie sah genau das, was zu erwarten war: Spuren von einem Mann und einer Frau, die ein Paar waren und ein gemeinsames Kind hatten. Nicht dass sie versuchten, ein weiteres zu zeugen, dagegen sprach der Streifen Antibabypillen, der auf Angelinas Nachttisch neben einem Radiowecker lag. Aber was die Anwesenheit der Pillen bedeutete, war klar.

Na und? fragte sich Barbara entnervt. Was zum Teufel hatte sie denn erwartet, und was ging sie das alles überhaupt an? Taymullah Azhar und Angelina Upman schliefen miteinander. Oder besser, sie schliefen wieder miteinander, nachdem Angelina plötzlich in Azhars Leben zurückgekehrt war. Dass sie ihn wegen eines anderen verlassen hatte, war offenbar vergeben und vergessen. Und jetzt waren sie alle glücklich und zufrieden. Was sie eigentlich auch sein sollte, dachte Barbara.

Sie knöpfte die Bluse zu und versuchte, ein paar Knitterfalten glattzustreichen. Dann nahm sie das Halstuch aus der Tüte, das sie passend zu der Bluse gekauft hatte, und band es sich ungeschickt um den Hals. Sie trat vor den Spiegel an der Zimmertür und betrachtete sich darin. Es sah grässlich aus. Sie hätte sich doch für die Torte entscheiden sollen, dachte sie. Das wäre billiger und unendlich viel befriedigender gewesen.