Und so antwortete Zed äußerst vorsichtig auf Rodneys Frage nach dem Titel seiner Story.»Das ist eine Anspielung auf Katzen.«
«Auf Katzen.«
«Äh … die sollen doch neun Leben haben.«
«Okay, gebongt. Aber wir schreiben nicht über Katzen, oder?«
«Nein. Natürlich nicht …«Zed wusste nicht so recht, worauf der Chefredakteur hinauswollte, und fuhr einfach fort mit seiner Erklärung.»Es geht darum, dass der Typ achtmal einen Entzug gemacht hat, verstehen Sie, und zwar in drei Ländern, und nichts hat ihm geholfen, wirklich gar nichts. Okay, er war vielleicht sechs, acht Monate clean, einmal sogar ein ganzes Jahr, aber er ist immer wieder rückfällig geworden. Dann fährt er nach Utah, wo er eine ganz außergewöhnliche Frau kennenlernt, und auf einmal ist er ein neuer Mensch.«
«Simsalabim, die wunderbare Wandlung, und das war’s? Gerettet durch die Liebe?«Die Frage klang freundlich, und Zed schöpfte Mut.
«Ganz genau. Das ist einfach unglaublich. Er ist völlig geheilt. Okay, bei seiner Heimkehr wird kein gemästetes Kalb geschlachtet …«
«Kalb geschlachtet?«
Zed ruderte hastig zurück. Eine Anspielung auf die Bibel, ganz schlechte Taktik.»Dumme Bemerkung, sorry. Er kommt also zurück und gründet ein Projekt, um denen zu helfen, denen nicht mehr zu helfen ist. «War das zu dick aufgetragen?» Und nicht etwa für Jugendliche, die ihr Leben noch vor sich haben. Nein, für Asoziale. Seine Schützlinge sind alte Penner, gesellschaftlicher Abfall …«
Rodney sah ihn an.
«Ausgestoßene, die ihre verfaulten Zähne ausspucken, während sie ihr Essen aus Mülltonnen klauben. Er findet, dass sie es verdient haben, gerettet zu werden. Und das funktioniert tatsächlich. Die werden geheilt. Ein Leben lang ein Herumtreiber, ein Leben im Suff und im Drogenrausch, und auf einmal sind die clean. Zusammen bauen sie diese alten Wehrtürme wieder auf. «Zed holte tief Luft. Wartete auf Rodneys Reaktion.
Sie kam ruhig, aber mit einem Unterton, der auf mangelnde Begeisterung schließen ließ.»Keiner von diesen Typen ist clean, Zed. Wenn der Turm fertig ist, sind die schneller wieder auf der Straße, als wir kucken können.«
«Das glaube ich nicht.«
«Warum nicht?«
«Weil es sich um einen Wehrturm handelt. Und das ist der Hammer an der Geschichte. Es ist eine Metapher für alles andere. «Zed wusste, dass ihn allein dieser Begriff auf gefährliches Terrain brachte, also redete er atemlos weiter.»Überlegen Sie doch mal, wozu diese Türme früher gedient haben, dann verstehen Sie, was ich meine. Sie wurden zum Schutz gegen marodierende Banden errichtet — gegen diese Räuberbanden, die aus Schottland über die Grenze kamen —, und in unserem Fall stehen die Marodeure für Drogen, okay? Meth, Koks, Hasch, Heroin, was auch immer. Der Wehrturm steht für Rettung und Heilung, und wenn man sich dann überlegt, welche Bedeutung das hat oder haben könnte für einen, der seit zehn, fünfzehn Jahren ein Herumtreiber ist, dann …«
Rodney legte den Kopf auf seinen Schreibtisch. Er wedelte mit der Hand.
Zed wusste nicht, wie er reagieren sollte. Es sah aus, als wäre er entlassen, doch er würde nicht einfach so den Schwanz einziehen … Gott, schon wieder eine Metapher, dachte er.»Genau das«, fuhr er eindringlich fort,»gibt der Story den Pfiff. Genau deswegen ist es die perfekte Story für die Sonntagsbeilage. Ich sehe es schon vor mir: Vier komplette Seiten mit Fotos: der Turm, die Typen, die ihn wiederaufbauen, das Vorher und Nachher und so weiter.«
«Mir schlafen die Füße ein«, sagte Rodney noch einmal.»Was übrigens auch eine Metapher ist. Sexy ist diese Story jedenfalls ganz und gar nicht.«
«Sexy«, wiederholte Zed.»Na ja, die Ehefrau ist tatsächlich eine schillernde Figur, aber sie wollte nicht, dass es um sie geht oder um die Beziehung. Sie sagt, er ist schließlich derjenige …«
Rodney hob eine Hand.»Ich rede nicht von sexy wie bei Sex, Sie Idiot. Ich rede von sexy wie spannend. «Er schnippte mit den Fingern.»Das Prickeln, die Ungeduld, das, was den Leser neugierig macht, die Vorfreude, die Erregung, das, was den Leser geil macht, ohne dass er weiß, wieso. Hab ich mich klar genug ausgedrückt? Ihre Geschichte hat nichts davon.«
«Aber darum geht es doch auch gar nicht. Sie soll erbaulich sein, den Lesern Hoffnung geben.«
«Wir verkaufen keine Erbauung, und wir verkaufen erst recht keine Hoffnung. Wir verkaufen Zeitungen. Und glauben Sie mir, mit diesem Geschwafel werden wir unsere Verkaufszahlen nicht steigern. Unser Markenzeichen ist eine ganz bestimmte Art des investigativen Journalismus. In Ihrem Vorstellungsgespräch haben Sie behauptet, das sei Ihnen bekannt. Und deswegen sind Sie doch nach Cumbria gefahren, oder? Tun Sie gefälligst Ihren Job, verdammt noch mal!«
«Das habe ich getan!«
«Blödsinn. Das ist ein rührseliger Scheißdreck! Irgendjemand da oben hat Sie total eingewickelt …«
«Ganz und gar nicht!«
«… und Sie haben prompt einen Rückzieher gemacht.«
«Nein.«
«Das hier …«Wieder wedelte er mit den Seiten.»… soll also der große Wurf sein? So wollen Sie eine Story aufreißen?«
«Äh, na ja … nicht direkt. Aber, ich meine, als ich den Typen kennengelernt habe, da …«
«… haben Sie die Flatter gekriegt, und schon war’s vorbei mit dem Recherchieren.«
Diese Schlussfolgerung fand Zed ziemlich unfair.»Wollen Sie damit sagen, dass eine Geschichte von einem versauten Leben, von gequälten Eltern, die alles versucht haben, um ihren drogenabhängigen Sohn zu retten, der sich am Ende selbst aus dem Schlamassel zieht … Eine Geschichte über einen Typen, der beinahe an seinem goldenen Löffel erstickt wäre … Wollen Sie behaupten, dass das kein investigativer Journalismus ist? Dass das nicht sexy ist? Nicht so sexy, wie Sie es gerne hätten?«
«Der Sohn von irgendeinem adligen Affen ist also drogensüchtig. «Er gähnte theatralisch.»Wahnsinn. Wenn Sie wollen, nenne ich Ihnen aus dem Stand die Namen von zehn weiteren Blindgängern, für die dasselbe gilt.«
Zed spürte, wie ihn der Kampfgeist verließ. All die vertane Zeit, all die vergeudete Energie, all die Interviews, die er geführt hatte — alles umsonst. Das war nicht recht. Zed überlegte, welche Möglichkeiten ihm blieben. Schließlich sagte er:»Okay, akzeptiert. Aber ich könnte es ja noch mal versuchen. Noch mal da rauffahren und ein bisschen tiefer graben.«
«Und wonach, verdammt noch mal?«
Das genau war die Frage. Zed dachte an all die Leute, mit denen er geredet hatte: den Exjunkie, seine Frau, seine Mutter, seine Schwestern, seinen Vater, an die armen Schlucker, die er retten wollte. Gab es irgendwo irgendjemanden, der etwas Verbotenes tat; etwas, was er, Zed, übersehen hatte? Den gab es garantiert, und zwar aus dem simplen Grund, dass es immer so jemanden gab.»Ich weiß nicht«, sagte Zed.»Aber wenn ich ein bisschen rumschnüffle … Jeder hat irgendein Geheimnis. Jeder sagt über irgendwas die Unwahrheit. Und nach allem, was wir bereits in die Geschichte investiert haben, kann es nicht schaden, wenn ich’s noch mal versuche.«
Rodney schob sich mit seinem Stuhl vom Schreibtisch zurück und schien sich Zeds Angebot durch den Kopf gehen zu lassen. Er wählte eine Nummer auf seinem Telefon, blaffte seine Sekretärin an:»Wallace? Sind Sie da?«, und als sie antwortete:»Bringen Sie mir noch eine Tafel Schokolade. Diesmal mit Haselnüssen. «Dann sagte er zu Zed:»Also gut, aber Sie machen das auf eigene Rechnung. Wenn nicht, vergessen Sie’s.«
Zed blinzelte. Das war natürlich etwas ganz anderes. Er stand bei der Source auf der untersten Stufe der Leiter, und entsprechend sah sein Gehalt aus. Er überschlug die Kosten für ein Zugticket, einen Mietwagen, ein Hotelzimmer — vielleicht konnte er in einem heruntergekommenen Bed & Breakfast absteigen oder in einer Pension in einer Seitenstraße in … ja, wo? Jedenfalls in keinem Ort an einem der Seen. Das wäre zu teuer, selbst jetzt, außerhalb der Saison. Also müsste er … Und würde überhaupt seine Arbeitszeit bezahlt werden, solange er sich in Cumbria aufhielt? Wahrscheinlich nicht.»Kann ich mir das noch mal überlegen?«, fragte er.»Sie werden die Story doch nicht gleich in die Tonne treten, oder? Ich muss erst mal Kassensturz machen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«