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Zed hob nachdenklich den Kopf. Er schaute aus dem Fenster. Es war stockdunkel draußen, er sah also nichts als sein eigenes Spiegelbild: ein rothaariger Hüne, auf dessen Stirn sich Sorgenfalten bildeten, weil seine Mutter versuchte, ihn mit der erstbesten willigen Frau zu verkuppeln, die sie auftreiben konnte, und weil sein Chef seine geschliffene Prosa in den Papierkorb werfen wollte und weil er selbst etwas schreiben wollte, was wenigstens ein bisschen Niveau hatte. Also gut, was stand in seinen Aufzeichnungen? Was? Was?

Zed packte eins seiner vier Sandwiches aus und verschlang es, während er seine handschriftlichen Notizen durchging. Er suchte nach einem Anhaltspunkt, an dem er seine Story festmachen konnte, oder wenigstens nach einem Hinweis, dass es sich lohnte, in die eine oder andere Richtung tiefer zu graben, um das Prickeln zu produzieren, das Rodney Aronson verlangte. Diese Sache mit den Vettern, die wie Brüder aufgewachsen waren, war eine Möglichkeit. Unweigerlich musste er an das Alte Testament denken und an Kain und Abel, an die Frage» Bin ich der Hüter meines Bruders?«, an Altäre, auf denen die Früchte der Arbeit geopfert wurden, an das Bestreben, demjenigen zu gefallen, der in der Geschichte die Rolle Gottes einnahm, wahrscheinlich Bernard Fairclough, Baron von Ireleth. Und wenn man die Geschichte wirklich mit der Bibel vergleichen wollte, dann könnte der Baron Isaak sein, im Konflikt mit Esau und Jakob und deren Streit um das Recht des Erstgeborenen — obwohl Zed nie geglaubt hatte, dass irgendjemand das Fell eines toten Lamms für einen behaarten Männerarm halten konnte. Jedenfalls sollte er seine Aufzeichnungen noch einmal durchforsten, um zu sehen, ob er irgendwelche Informationen darüber besaß, wer was erben würde, falls Lord Fairclough etwas Unvorhergesehenes zustieß, oder wer die Leitung von Fairclough Industries übernehmen würde, falls den guten Lord ein vorzeitiger Tod ereilte.

Das wäre tatsächlich eine Story. Bernard Fairclough auf geheimnisvolle Weise … was? Verstorben oder verschwunden zum Beispiel. Er stürzt eine Treppe hinunter, ist querschnittsgelähmt, erleidet einen Schlaganfall, wie auch immer. Nachforschungen ergeben, dass er sich wenige Tage vor seinem frühzeitigen Tod mit seinem Anwalt getroffen hat und … ja, was? Er hat ein neues Testament aufgesetzt, seine Absichten in Bezug auf das Familienunternehmen klargestellt, er hat eine Lebensversicherung abgeschlossen, alle seine Papiere in Ordnung gebracht in Bezug auf — ja, auf was? Darauf, dass jemand etwas erbte, darauf, dass jemand enterbt würde, auf eine Enthüllung … Der Sohn ist in Wirklichkeit nicht sein Sohn. Der Neffe ist nicht sein Neffe. Es gibt eine zweite Familie auf den Hebriden. Irgendwo versteckt, im Keller, auf dem Söller, im Bootshaus, gibt es einen wahnsinnigen, missgestalteten älteren Bruder. Das wäre Zündstoff. Das wäre der Knaller. Das wäre sexy.

Das Problem war, wenn Zed ganz ehrlich war, dass das Einzige, was man an seiner Geschichte von Nicholas Faircloughs neuntem Leben wirklich als sexy bezeichnen konnte, dessen Frau war, und die war nicht nur sexy, die war affenscharf. In seinem Gespräch mit Rodney Aronson hatte er das nicht besonders herausgestrichen, weil Rodneys Reaktion darauf absehbar gewesen war, nämlich eine Aufforderung, ihm Bilder von ihren Titten zu verschaffen. Zed hatte sich bisher in Bezug auf das Thema sehr zurückgehalten, weil die Ehefrau wünschte, im Hintergrund zu bleiben, aber jetzt fragte er sich, ob er die Dame vielleicht doch ein bisschen genauer unter die Lupe nehmen sollte. Er öffnete den Ordner mit seinen Aufzeichnungen. Wenn Eva auch nur entfernt wie Alatea Fairclough ausgesehen hatte, dann, so hatte Zedekiah nach dem einzigen Interview mit ihr gedacht, war es kein Wunder, dass Adam den Apfel gepflückt hatte. Die einzige Frage war, warum er nicht sämtliche verdammten Äpfel samt Baum gegessen hatte. Also … War die Frau die Story? Machte sie die Story sexy? Prickelnd? Sie war weiß Gott umwerfend. Man brauchte nur ein Foto von ihr zu bringen, und jeder gesunde Mann würde wissen, warum Nicholas Fairclough geheilt worden war. Sonst hatte sie leider nichts weiter zu der ganzen Sache zu sagen als:»Was Nick getan hat, hat er selbst getan. Ich bin seine Frau, aber in seiner wirklichen Geschichte spiele ich keine Rolle.«

War das eine Anspielung gewesen, fragte sich Zed. Welche wirkliche Geschichte? Gab es noch mehr aufzudecken? Vielleicht musste er diesen Faden weiterverfolgen: wahre Liebe. Hatte Nicholas Fairclough sie tatsächlich gefunden? Und wenn ja, gab es jemanden, der ihn darum beneidete? Eine seiner Schwestern vielleicht? Denn eine war unverheiratet, und die andere war geschieden. Und wie fühlten die beiden sich überhaupt, jetzt, wo der verlorene Sohn heimgekehrt war?

Er ging weiter seine Notizen durch. Las, bis ihm die Augen brannten. Aß noch ein Sandwich. Er machte sich auf die Suche nach einem Speisewagen — ziemlich absurd in Anbetracht seiner mageren Einkünfte —, weil er dringend einen Kaffee brauchte. Anschließend saß er wieder auf seinem Platz, völlig erschöpft, fast bereit aufzugeben. Dann plötzlich war er wieder hellwach: Was wenn etwas mit dem Haus der Familie nicht stimmte? Wenn es darin spukte, und wenn das zu der Drogensucht geführt hatte? … Dann kam er wieder auf die verdammte Ehefrau zurück, die südamerikanische Sirene, und allmählich sagte er sich, er täte besser daran, nach Hause zu fahren und die ganze vermaledeite Story zu vergessen, nur dass daheim seine Mutter auf ihn wartete und Yaffa Shaw und eine nie endende Prozession von Frauen, die er heiraten und schwängern sollte.

Nein. Irgendwo war eine Geschichte, eine Geschichte, wie sein Chefredakteur sie haben wollte. Wenn er noch tiefer graben musste, um etwas Pikantes zu finden, dann würde er eben die Schaufel schwingen und graben, bis er in China ankam. Alles andere war inakzeptabel. Aufgeben kam nicht in Frage.

18. Oktober

BRYANBARROW — CUMBRIA

Ian Cresswell war gerade dabei, den Tisch für zwei zu decken, als sein Lebensgefährte nach Hause kam. Er selbst hatte früh Feierabend gemacht, einen romantischen Abend im Sinn. Er hatte Lammbraten gekauft, der gerade unter einer duftenden Kräuterkruste im Ofen schmorte, und er hatte frisches Gemüse und Salat zubereitet. Im Kaminzimmer hatte er eine Weinflasche entkorkt, Gläser poliert und zwei Sessel und den Spieltisch aus Eichenholz aus der Zimmerecke vor den offenen Kamin geschoben. Obwohl es in dem uralten Herrenhaus eigentlich immer ein bisschen kühl war, war es noch nicht kalt genug für ein Kohlefeuer, und so hatte er eine Reihe Kerzen auf dem schmiedeeisernen Feuerrost befestigt und zwei weitere auf den Tisch gestellt. Als er gerade dabei war, die Kerzen anzuzünden, hörte er, wie die Küchentür geöffnet wurde, dann das Geräusch von Kavs Schlüsselbund, der in dem angeschlagenen Kammertopf auf der Fensterbank landete. Einen Augenblick später das Geräusch von Kavs Schritten auf den Küchenfliesen, und als die Tür des alten Backofens quietschte, lächelte Ian vor sich hin: Heute Abend war Kav mit Kochen an der Reihe, nicht er, und Kav hatte soeben die erste Überraschung entdeckt.

«Ian?«Schritte in der Küche, dann auf den Steinfliesen in der Eingangshalle. Ian hatte die Tür zum Kaminzimmer angelehnt gelassen.»Hier!«, rief er und wartete.

Kav erschien in der Tür. Sein Blick wanderte von Ian zum Tisch mit den Kerzen, zu den Kerzen im Kamin und wieder zu Ian zurück. Dann wanderte sein Blick über Ians Körper und verweilte genau da, wo Ian es wünschte. Aber nach einem Moment der Spannung, der früher einmal dazu geführt hätte, dass sie gleich darauf im Schlafzimmer gelandet wären, sagte Kav:»Ich musste heute mit anpacken, wir hatten zu wenig Leute. Ich bin verschwitzt. Ich geh mich kurz duschen und umziehen«, und verschwand ohne ein weiteres Wort. Das reichte, um Ian zu sagen, dass sein Lover genau wusste, was die Szene, die er vor sich gesehen hatte, bedeutete. Und es reichte, um Ian zu sagen, welche Richtung ihr Gespräch an dem Abend wie üblich nehmen würde. Eine solche unausgesprochene Botschaft von Kaveh hätte ihm früher den Wind aus den Segeln genommen, aber diesmal nicht. Nachdem sie drei Jahre heimlich und ein Jahr offen zusammengelebt hatten, wusste er, was ihm das für ihn bestimmte Leben wert war.