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»Was ist das, Scheich Hamzawi?« rief der Polizeichef mit lauter Stimme.

»Ein Engel vom Himmel«, flüsterte der Scheich.

»Und könnte es nicht der Teufel oder der Sohn des Teufels sein?« fragte der Polizeichef.

Scheich Hamzawi, der die Situation noch nicht ganz erfaßt hatte, antwortete: »Es ist ein Geschenk Allahs.«

Er hatte den Satz noch nicht ausgesprochen, als Fatheya bereits den Kopf durch die Tür gesteckt hatte: »Sag nicht, was du sagen willst, Scheich Zahran«, rief sie zornig. »Es ist ein Geschenk, ein Segen Allahs. Nur was sündig ist, soll verdammt sein.«

Sie streckte die Arme aus und entriß Scheich Hamzawi das Kind. Er hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt und schien nicht zu begreifen, was vor sich ging. Sie drückte das Kind fest an sich und schloß die Tür. Blut strömte in ihre Brüste, sie prickelten, als würden winzige Ameisen in ihr Fleisch eindringen. Sie holte eine Brust hervor und drückte an der Warze, und weiße Milchtropfen spritzten heraus. Sie hüllte das Kind vorsichtig in ihr Tuch, dann steckte sie die Warze in seinen gierigen Mund.

V

Scheich Hamzawis Stimme hallte durch die Luft, als sich der kaum wahrnehmbare Morgenschimmer über dem Himmel ausbreitete. Sie schwebte über den niedrigen Lehmhütten, bohrte sich durch die dunklen Wände, fiel hinab in die engen, gewundenen Gassen und drang an das Ohr des Polizeichefs, der jetzt zu Hause war. Er hatte seine Uniform nicht ausgezogen, wie er es sonst tat, wenn er von der langen Nachtpatrouille zurückkam. Auch befahl er seiner Frau nicht, ihm das Essen zu bringen. Er zog nicht einmal seine Lederstiefel aus, die er sonst immer in eine Zimmerecke schleuderte, als wollte er seine Füße von schweren Fesseln befreien.

Er lehnte sich auf der Matte zurück, seine Augen waren geöffnet und starrten ins Leere, seine Stiefel waren fest verschnürt. Er zwirbelte seinen langen, dichten Bart, wie es seine Gewohnheit war, wenn er eine Leiche in einem Feld oder am Flußufer fand und noch nicht wußte, wer der Mörder war, oder wenn hinter seinem Rücken ein Verbrechen begangen worden war, ohne daß er von Anfang an gewußt hatte, wie der Plan dazu entstanden war.

Als Scheich Hamzawis Stimme durch das Dorf an seine Ohren drang, drehte er den Kopf zur Seite und sah seine Frau an. Er wollte ihr gerade erzählen, daß in der Nacht etwas Wichtiges in Kafr El Teen vorgefallen war, aber seine Frau war schneller: »Kafrawis Tochter Nefissa ist weggelaufen«, sagte sie schnell, fast atemlos, und ihre Handbewegung war so heftig wie die Bewegung, mit der ihr Mann sonst seine schweren Stiefel von sich schleuderte. Die Nachricht hatte ihr eine Nachbarin am Abend zuvor zugeflüstert. Sie hatte sich während der langen Stunden der Nacht in ihrem Bett hin und her geworfen. Die Nachricht bedrückte sie und bereitete ihr gleichzeitig heimliche Freude, und so wollte sie auch ihrem Mann die erregende Nachricht von Nefissas Flucht mitteilen, bevor er sie von jemand anderem erfuhr.

Nefissas Name hallte sonderbar in Scheich Zahrans Ohren wider. Vor seinen Augen tauchte ein kleines rosiges Gesicht mit noch feuchten Tränenspuren auf. Als sich die Augen plötzlich geöffnet hatten, waren es Nefissas große schwarze Augen. Seine Finger ließen von seinem Bart ab, und er rang nach Luft wie ein Ertrinkender, dessen Kopf über dem Wasser auftaucht. Laut rief er: »Nefissa?«

»Ja, Nefissa«, sagte sie.

Fatheya kauerte an der Wand und drückte das Baby fest an sich. Sie hatte seinen Kopf in ihr schwarzes Tuch gehüllt, und es saugte an ihrer Brust. Wenn sie nicht an der Wand gelauscht hätte, hätte sie wahrscheinlich nicht gehört, wie der Name Nefissa in ihr vibrierte. Sie atmete erleichtert auf wie eine Ertrinkende, die unverhofft an die Wasseroberfläche gelangt.

»Nefissa?«

Der Name Nefissa hallte durch die dunklen Räume, bohrte sich durch die Lehmwände, schwang sich über die niedrigen, schiefen Dächer, auf denen Fladen aus Dung und getrocknete Baumwollstengel lagen, immer höher in die Lüfte, höher als das Minarett und der Halbmond an seiner Spitze. Und es dauerte nicht lange, bis er an die hohe Backsteinmauer und an das Eisentor vor dem Haus des Bürgermeisters kam, in dessen Ohren der Name Nefissa so stark nachhallte wie der Aufruf zum Gebet, den Scheich Hamzawi fünfmal am Tag vom höchsten Punkt des Dorfes, das wie ein Schwamm am Nilufer lag, an die Einwohner von Kafr El Teen richtete.

Neben dem Bürgermeister saß sein jüngster Sohn Tariq. Er besuchte seit kurzem ein College und verbrachte seine Ferien im Dorf. Als er hörte, was Nefissa widerfahren war, leuchteten die Augen des knapp Neunzehnjährigen auf, wie immer, wenn er sich den Körper einer Frau vorstellte und sich mit Bildern und Wörtern behalf, wenn ihm die Handlung selbst verboten war. »In der vergangenen Woche haben wir im College ein Neugeborenes in der Toilette gefunden«, sagte er mit belegter Stimme. »Und vor zwei Wochen haben wir ein Pärchen überrascht, wie es sich in einem leeren Vorlesungsraum küßte. Und jetzt bringt hier in Kafr El Teen ein Mädchen ein Kind zur Welt, setzt es vor dem Haus des Predigers aus und läuft davon. Heutzutage haben die Mädchen keinen Anstand mehr, Vater.«

»Ja, mein Sohn, du hast recht«, antwortete der Bürgermeister. »Die Mädchen und die Frauen sind unmoralisch geworden.« Dabei warf er einen verstohlenen Blick auf die nackten Schenkel seiner Frau, die sich unter ihrem enganliegenden Kleid abzeichneten. Sie schlug die Beine übereinander und konnte ihre Empörung kaum unterdrücken: »Warum sagt ihr nicht, daß die Männer unmoralisch sind?«

Der Bürgermeister lachte. »Das ist doch nichts Neues. Männer sind seit jeher unmoralisch. Aber jetzt werfen die Frauen ihre Tugend über Bord, und das führt zu einer richtigen Katastrophe.«

»Warum zu einer Katastrophe? Warum nicht zu Gleichheit und Gerechtigkeit?«

Ihr Sohn schüttelte seine langen Locken und sah seine Mutter mißbilligend an.

»Nein, Mutter, ich teile deine Ansicht über die Gleichheit nicht. Frauen sind anders als Männer. Ihr wertvollster Besitz ist ihre Tugend.«

Die Frau des Bürgermeisters stieß ein Lachen aus, das sich wie das leicht verächtliche und ordinäre Lachen einer Bordellchefin anhörte. Sie runzelte die Stirn und sagte: »Tatsächlich, Professor Tariq? Du gibst dich also wie ein Scheich und sprichst von Tugend? Und was war mit deiner Tugend in der vergangenen Woche, als du zehn Pfund aus meiner Handtasche gestohlen hast, um eine bestimmte Frau aufzusuchen? Was war mit deiner Tugend im letzten Jahr, als du unserem Dienstmädchen Gewalt angetan hast und ich gezwungen war, sie zu entlassen, um einen Skandal zu vermeiden? Und wo bleibt deine Tugend, wenn du über die Mädchen in unserem Haushalt herfällst? Du hast es so weit getrieben, daß ich ab jetzt nur noch männliche Dienstboten einstellen werde. Sag mir doch bitte, wo deine Tugend ist, wenn du ununterbrochen den Mädchen nachstellst, über's Telefon, am Fenster oder vom Balkon aus, und weißt du nicht, daß sich unsere Nachbarn in Maadi mehrfach bei mir über dich beschwert haben?«

Ihre Worte waren an ihren Sohn gerichtet, aber es war der Bürgermeister, den sie mit kaum verhohlenem Haß anblickte. Dem starren Gesicht seines Vaters entnahm der Junge, daß jetzt der übliche Streit zwischen den Eltern ausbrechen würde, deshalb kam er schnell wieder auf das Thema Nefissa zu sprechen.

»Vater, glaubst du, daß Scheich Hamzawi das Kind adoptieren wird?«

»Er scheint die Absicht zu haben«, antwortete der Bürgermeister. »Er ist ein guter Mann und kinderlos. Seine Frau wünscht sich seit Jahren ein Kind.«

»Dann ist das Problem ja aus der Welt geschafft«, sagte der Sohn mit aller Entschiedenheit.

»Es ist keineswegs aus der Welt geschafft. Die Bauern geben solange keine Ruhe, bis sie sich an dem Schuldigen gerächt haben, egal wer es ist«, widersprach ihm seine Mutter.