Die Büffelkuh lag auf dem Bauch, wie immer, wenn es heiß war. Sie starrte mit ihren großen, brütenden Augen auf die dunklen Lehmwände, und ihre Kinnbacken zermahlten etwas Unsichtbares, wobei an den Rändern ihres Mauls weiße Speichelblasen hervortraten.
Kafrawi ließ sich neben der Kuh auf den Boden fallen. Er starrte mit demselben brütenden Blick vor sich hin, dann versuchte er, die Augen zu schließen und zu schlafen. Aber sie blieben weit geöffnet und starrten unentwegt auf die dunkle Wand. Die Kuh sah ihn an. Ein feuchter Film von noch ungeformten Tränen bedeckte ihre großen Augen. Sie reckte den Hals vor und kam so nahe, daß sich ihre Köpfe berührten. Dann begann sie, seinen Hals abzulecken, wie eine Mutter, die ihr Kind liebkost. Sie schien ihm etwas sagen oder ihn fragen zu wollen, was denn nicht in Ordnung war. Er lehnte sich an sie und rieb seine feuchten Augen an ihrem Kopf, dann brachte er seine ausgetrockneten Lippen an ihr Ohr und flüsterte: »O Aziza, Nefissa ist nicht mehr da. Sie ist fortgegangen.«
Und Kafrawi begann der Kuh zu erzählen, was vorgefallen war. Sie schien ihm zu antworten, und irgendwie verstand auch er, was sie sagte. Denn seit er das erste Mal die Augen aufgeschlagen und die Welt um sich wahrgenommen hatte, war die Kuh immer in seiner Nähe gewesen, auf dem Feld oder im Haus. Bevor er laufen lernte und die ersten Worte aussprach, sah sie ihn bereits mit großen, ruhigen Augen an, wenn er allein in einer dunklen Ecke saß und bitterlich weinte, wie nur Kinder weinen können.
Als er auf dem Bauch kriechen konnte, kroch er als erstes zu ihr. Er fühlte, wie sie mit ihrem weichen Maul über sein Gesicht fuhr. Sie wußte immer, wann seine Lippen rissig und sein Mund ausgetrocknet waren. Sie kam langsam auf ihn zu, und wenn er die Augen öffnete, sah er den geschwollenen Euter mit den schwarzen Zitzen über sich hängen. Der Geruch von Milch drang in seine Nase, und er streckte seinen Hals vor und nahm sie zwischen die Lippen, und gleich darauf fühlte er die warme Milch in seinen Mund fließen.
Sobald er ein paar Worte sagen konnte, rief er ihren Namen. Er nannte sie Aziza, und wenn sie ihn rufen hörte, drehte sie sich nach ihm um und schien ihm mit ihren Augen zu antworten: »Ja, Kafrawi.« Jeden Tag lernte er ein Wort hinzu, und ihr Blick drückte jedesmal etwas anderes aus. Nach und nach lernten sie die Sprache des anderen. Eines Tages klagte sie darüber, daß sein Vater sie mit dem Stock schlug, wenn sie ins Joch gespannt im Kreis ging und das Wasserrad bewegte. Da spürte er einen solchen Haß auf seinen Vater, daß er nicht mit ihm essen wollte. Der Vater versuchte, ihn mit dem Stock zu zwingen, aber er weigerte sich hartnäckig und ging ohne Abendessen schlafen.
Als seine Tochter Nefissa klein war, wunderte sie sich, wenn er mit dem Büffel redete. »Ein Büffel kann sprechen und verstehen wie wir«, hatte er ihr oft gesagt. Nefissa konnte noch nicht sprechen, aber auch sie verstand, war ihr der Vater sagte, und sie bestätigte es ihm mit einem verständigen Blick ihrer großen schwarzen Augen. Sie nickte mit dem Kopf und lachte, und manchmal streckte sie ihre kleine Hand aus und spielte mit seinem Bart. Er nahm ihre zarten Finger in den Mund und tat, als wollte er hineinbeißen. Jedesmal prustete sie vor Lachen und zog ihre Hand schnell zurück. Und als er eines Tages tatsächlich in ihren Finger biß, als wollte er ihn aufessen, stieß sie einen Schmerzensschrei aus und wich ängstlich vor ihm zurück. Seit der Zeit hatte sie manchmal Angst vor ihm, vor allem, wenn sich sein Gesicht aus irgendeinem Grund verfinsterte und er abweisend wurde wie die Büffelkuh, deren Blick sie ebenfalls in Schrecken versetzen konnte. Sie spielte oft mit ihr, und wenn sie sie am Schwanz faßte, ging plötzlich eine Veränderung mit ihr vor wie bei ihrem Vater. Ihr Blick war nicht mehr gutmütig, sondern finster und zornig und schrecklich, und sie schlug plötzlich mit einem Huf aus oder stieß sie mit dem Kopf zu Boden. Einmal hatte sie sie sogar tief ins Bein gebissen.
Kafrawi rieb seine Stirn am prallen Euter der Kuh, öffnete seine aufgesprungenen Lippen und nahm eine schwarze Zitze in den Mund. Er spürte, wie die warme Milch in seinen Magen floß. Seine Lider wurden schwer und senkten sich über seine Augen. Er spürte den Milchstrom in seinem Unterleib, in seinen Schenkeln, wo etwas anschwoll und sich aufrichtete, ein fremdes Glied, das nicht zu seinem Körper gehörte. Er versuchte, es mit der Hand niederzudrücken, aber es wollte nicht nachgeben. Er sah, wie es aus seinem Körper herausbrach, gegen seinen Willen, es war ein Teil von ihm, den er nicht mehr beherrschte. Es sog den weiblichen Geruch in sich auf, glitt über die angenehme Nässe in das warme Innere und verlor sich in unendlicher Stille, in Ewigkeit, im Tod. Nach einer Weile wollte es wieder nach draußen schlüpfen, wo es freier atmen konnte, aber die Öffnung zog sich zusammen, als wollten starke Finger es erwürgen. Es kämpfte um sein Leben, zuckte wild wie ein gefangenes Tier, bäumte sich auf und fiel in sich zusammen, wie müde Lider über müden Augen, die sich tiefem Schlaf überlassen.
Er schlug die Augen auf, als er wenig später einen schrecklichen Schrei hörte. Es war keine menschliche Stimme, sie gehörte weder einem Mann noch einer Frau. Es war auch nicht der Schrei eines geschlagenen Tieres. Es war ein wunderliches, furchterregendes Kreischen.
Er hatte es schon einmal gehört, vor sehr langer Zeit. Damals war er auf dem Bauch gekrochen, seine Mutter hockte neben ihm auf der staubigen Erde und siebte weißes Mehl, dabei sah sie ihn an. Ihr Blick streichelte sein Gesicht wie eine weiche Hand. Plötzlich hörte er den Schrei. Dieses fürchterliche Kreischen, das die Luft zerriß, kam nicht von seiner Mutter, aber er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Der feine, weiße Mehlstaub lag überall verstreut, auf ihren Händen, ihrem Gesicht und ihrem Haar, und er war blutrot verfärbt. Ihre weit aufgerissenen Augen sahen ihn nach wie vor fest an, aber sie hatten einen fremden Ausdruck. Es waren nicht die Augen seiner Mutter. Sie war sicher durch die offene Tür hinausgegangen und würde jeden Moment zurückkommen. Als er zur Tür sah, entdeckte er zwei schmale, schlitzähnliche Augen, die er noch nie gesehen hatte. Der Blick jagte ihm einen Schrecken ein. Er schloß die Augen und schlummerte ein. Aber es war kein tiefer Schlaf, denn er spürte, wie er von zwei Armen hochgehoben und davongetragen wurde. Er traute sich nicht, die Augen aufzumachen aus Angst, dem schrecklichen Blick aus den schlitzähnlichen Augen zu begegnen, und so ließ er sich davontragen. Sein Gesicht lag an einer harten, bretterähnlichen Brust, die einen sonderbaren Geruch verströmte. Seine nackten Beine baumelten im Rhythmus der ausholenden, langsamen Schritte des Unbekannten hin und her, das ihn vom Boden aufgehoben hatte und weit davontrug.
Wieder zerriß das Kreischen die Stille. Er sprang auf und lief ohne zu überlegen zu der Stelle, von wo der Schrei gekommen war, mitten im Feld, wo sich die Maisstengel leicht bewegten. Aber jetzt war alles wieder still und ruhig wie vorher, und die Stille lastete schwer auf der Erde. Die rotglühenden Sonnenstrahlen erstickten den leisesten Lufthauch.
Als er sich der Stelle näherte, öffnete sich das Maisfeld plötzlich vor ihm, und er sah zwei schmale, schlitzähnliche Augen aufblitzen und wieder verschwinden. Es war, als hätte die Erde sich gespalten, um die Augen herauszulassen und sie sofort wieder in ihre Tiefen zurückzuholen, bevor er verstand, was er gesehen hatte.
Er glaubte zu träumen. Er sah, wie seine nackten Füße mit der dunklen, rissigen Haut an den Fersen langsam auf die Stelle mitten im Feld zugingen. Eine uralte, dumpfe, verdrängte Angst ließ ihn erzittern. Er wollte seine Füße am Gehen hindern, und einen Augenblick lang glaubte er, sie wären stehengeblieben. Dann aber merkte er, daß sie mit regelmäßigen Schritten weitergingen, weder langsam noch schnell, mit einer ruhigen, beinahe instinktiven Entschlossenheit, das vor ihnen liegende Unbekannte zu entdecken.