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Jetzt war es Scheich Zahran, der sich unschuldig stellte. »Worauf willst du eigentlich hinaus, Haj Ismail?«

Der Dorfbarbier sagte mit einem Augurenlächeln: »Wer es auch war, morgen früh kommt der Offizier mit den Polizeihunden.«

»Glaubst du, daß Hunde mehr wissen als Menschen?« fragte der Polizeichef ironisch. »Jeder weiß, daß Kafrawi Elwau wegen Nefissa umgebracht hat. Viele haben ihn mit Blut an den Händen neben der Leiche gesehen. Er steckt tief in diesem Verbrechen.«

Der Dorfbarbier lachte wieder auf. »Du bist wirklich der Sohn des Teufels, Scheich Zahran.«

»Ich bin der gehorsame Diener dessen, der uns seine Befehle gibt.« Er gähnte gelangweilt. »In Wahrheit sind wir alle seine gehorsamen Diener.«

»Wir alle dienen Gott.«

»Es steht fest, daß wir alle Diener sind. Egal, wie hoch wir steigen oder wie tief wir fallen, die Wahrheit ist, daß wir alle Sklaven sind und jemandem dienen.«

»Gottes Sklaven sind wir nur, wenn es Zeit zum Beten ist. Aber die Sklaven des Bürgermeisters sind wir die ganze Zeit.«

Scheich Zahrans Augen leuchteten, als er dem Barbier ins Ohr flüsterte: »Weißt du, daß er nachts wegen Zeinab kein Auge zumacht? Ich habe getan, was ich konnte, um sie umzustimmen, aber sie weigert sich nach wie vor.«

»Kafrawi leistet ihr dabei sicher Beistand. Glaubst du, daß er Verdacht geschöpft hat?« fragte der Dorfbarbier.

Der Polizeichef wies diese Möglichkeit schnell von sich. »Nein, ganz sicher nicht. Um Verdacht zu schöpfen, braucht man ein denkfähiges Hirn. Aber diese Bauern haben kein Hirn, im besten Fall haben sie das Hirn eines Büffels. Seit Nefissa fort ist, hat Kafrawi außer Zeinab niemand, der ihm im Haus und auf dem Feld hilft, das ist das Problem. Wie oft habe ich ihm gesagt, daß der Bürgermeister ihm ganze zehn Pfund für ihre Arbeit geben wird, daß sie in seinem Haus essen und trinken und es so bequem haben wird, wie sie es sich nie erträumen würde. Sie braucht nur sein Haus zu putzen und kann heimgehen, wenn sie mit der Tagesarbeit fertig ist. Aber er will nicht auf mich hören. Sein Kopf ist härter als Granit.«

»Seine Tochter Zeinab ist genauso dickschädelig wie er. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, sie zu überzeugen, und ihr alles bis ins Kleinste erklärt, aber sie ist störrisch wie ein Maulesel«, sagte Haj Ismail. »Ich kann keine Vorzüge an ihr erkennen. Jedes andere Mädchen in Kafr El Teen ist wohlerzogener und hübscher als sie.«

Scheich Zahran senkte die Stimme. »Er hat einen sonderbaren Geschmack, was Frauen angeht, und wenn ihm eine gefällt, kann er sie nicht vergessen. Du weißt, daß auch er recht eigensinnig ist. Hat er einmal ein Auge auf eine Frau geworfen, muß er sie unter allen Umständen haben.«

Haj Ismail gähnte herzhaft. »Warum auch nicht? Menschen wie er, die zur Elite gehören, kennen das Wort unmöglich nicht.«

»Sie wandeln wie Götter über der Erde.«

»Nein, Scheich Zahran, Götter sind sie sicherlich, aber laufen tun sie nicht, sie fahren in Autos. Laufen ist etwas für Leute wie uns.«

»Und nicht nur das Laufen! Du scheinst zu vergessen, daß wir auch auf der Erde schlafen.«

Der Polizeichef rollte sich unter seinem Umhang zusammen und schloß die Augen. Haj Ismail warf schnell einen letzten Blick auf die Leiche am Ufer, dann rollte auch er sich unter seinem Umhang zusammen. Leise sagte er: »So ein Jammer! Elwau war zu jung zum Sterben!«

Der Polizeichef hatte ihn gehört und seufzte: »Unser Leben liegt in Gottes Hand, Haj Ismail!«

»Wahrhaftig, da hast du recht. Allah allein entscheidet darüber, wann wir diese Erde verlassen müssen.«

Und so schliefen sie mit der Überzeugung ein, daß das Leben der Einwohner von Kafr El Teen von einem Gott gelenkt wurde, der in ihren Gedanken allgegenwärtig war, mit dem sie so manchen Abend verbrachten und plauderten, entweder vor dem Geschäft des Dorfbarbiers oder auf der Terrasse seines Hauses über dem Nil. Sie wußten, wie sehr er sich nach Zeinab verzehrte und daß dieses Verlangen nur durch den Tod gelöscht werden konnte und er sie früher oder später in seine Gewalt bekommen würde. Denn wie alle Götter war er überzeugt, daß ihm nichts unmöglich war.

Das Schnarchen der beiden Männer stieg vom Ufer, wo sie Schutz gesucht hatten, in die Dunkelheit hinauf, zog durch die stille Nacht und drang an die Ohren von Metwalli, der sich im Maisfeld versteckt hatte. Er trat aus dem Feld hervor und ging mit vorsichtigen Schritten auf die Leiche zu, wobei er das linke Bein stärker nachzog als das rechte. Die Einwohner von Kafr El Teen erkannten ihn sofort an seinem eigentümlichen Gang, der sie an einen hinkenden Hund denken ließ. Seit er als Kind eine Knochenkrankheit gehabt hatte, war ein Bein kürzer als das andere.

Er tauchte oben am Ufer auf. Das Mondlicht beschien seinen Kopf, der im Verhältnis zu seinem Körper außergewöhnlich groß war. Seine kleinen Augen lagen zusammengesunken in seinem aufgedunsenen Gesicht. Unter seiner dünnen Nase standen wulstige Lippen hervor. Seine Unterlippe hing auf das Kinn herab, so daß seine fleischige Mundhöhle zu sehen war, aus der unaufhörlich Speichel auf seinen langen Bart troff.

Sobald die Kinder des Dorfes ihn erblickten, rannten sie hinter ihm her, und sie riefen im Chor: »Da geht der Idiot!« Manchmal warf eines von ihnen sogar einen Stein nach ihm oder zog ihn an seiner galabeya. Er ging weiter, ohne sie zu beachten, während ihm der Speichel aus dem Mund tropfte und er wie ein streunender Hund vorwärtshinkte. Wenn er durch die Straßen ging, starrte er die Häuser und die Passanten mit einem stumpfen, leeren Blick aus feuchten Augen an. Am Ende des Tages setzte er sich in der Nähe des Friedhofs ans Ufer, wo er sich am Kopf und am ganzen Körper kratzte und die Läuse zwischen den Fingerspitzen knackte.

Kam eine Frau aus dem Dorf an ihm vorbei, warf sie ihm ein halbes Brot oder einen Maiskolben oder eine Maulbeere in den Schoß. Manche berührten ihn auch und sagten: »Gib mir deinen Segen, Scheich Metwalli.« Dann vergaß er einen Augenblick das Kratzen und Läuseknacken und streckte die Hände nach ihr aus, berührte ihre Schulter oder ihre Hand oder ihr Bein und stammelte dazu ein paar unverständliche Worte, während der weiße Speichel in seinem schwarzen Bart hängenblieb.

Man erzählte sich, daß eine gelähmte Frau ihn berührt hatte und geheilt worden war, und daß er einem Blinden das Augenlicht zurückgegeben hatte. Er war von Gott auserwählt worden, und er verstand etwas von Krankheiten und konnte die Geheimnisse der Zukunft ergründen. Allah hatte ihm diese Kräfte verliehen, weil er die schwächsten seiner Geschöpfe für seine heiligen Zwecke auserwählte. Deshalb nannten sie ihn Scheich Metwalli.

Der Dorfbarbier Haj Ismail nannte ihn den »Besessenen«, der Polizeichef Scheich Zahran bezeichnete ihn als den »Verlausten«, und die Kinder hatten ihn »Metwalli, der Idiot« getauft. Er war der Sohn von Scheich Osman, der auf dem Friedhof für die Seelen der Verstorbenen Verse aus dem Koran rezitiert hatte. Aber Scheich Osman war tot und hatte ihm nichts außer seinem abgetragenen Kaftan, seinem Turban, einem leeren Brotkorb und einem abgegriffenen Koran mit einem halbzerrissenen Umschlagdeckel hinterlassen.

Jetzt humpelte er lange nicht so stark, wie wenn er beobachtet wurde. Sein Blick war so ruhig, wie es noch niemand bei ihm gesehen hatte. Ab und zu sah er sich vorsichtig um. Seine Unterlippe hing nicht mehr herab, und der Speichel floß ihm nicht mehr aus dem Mund. Niemand aus dem Dorf hätte ihn in diesem Augenblick erkannt.

Er näherte sich der Leiche, die mit einem Umhang bedeckt am Ufer lag. Nicht weit entfernt von ihr ließ er sich fallen und begann, auf dem Bauch vorwärts zu kriechen. Als er bei den Füßen angekommen war, hob er den Umhang hoch, steckte seinen Kopf darunter und zog sich langsam an den Beinen und Schenkeln hoch.