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Als er wieder zu sich kam und wieder hören und sehen konnte, blickte er sich erstaunt um. Er befand sich in einem großen Raum voller Menschen, die ihn anstarrten. Vor ihm saßen drei Männer hinter einem hohen Tisch.

Einer der Männer gestikulierte aufgeregt mit den Händen und warf ihm drohende Blicke zu. Er sah sich wieder nach allen Seiten um und versuchte zu verstehen, was geschah. Plötzlich bohrte sich spitz wie ein Nagel ein Finger in seine Schulter, und eine dünne, scharfe Stimme drang an sein Ohr: »Hast du nicht gehört? Warum antwortest du nicht?«

Kafrawi öffnete den Mund und sagte: »Redet jemand mit mir?«

Wieder zerriß die dünne, scharfe Stimme die Luft: »Ja, schläfst du denn? Wach auf und beantworte die Fragen Seiner Exzellenz!«

Kafrawi wußte nicht, wer Seine Exzellenz sein sollte, ebensowenig konnte er sich erklären, wo er war. Bestimmt war er nicht mehr in Kafr El Teen, vielleicht in einem anderen Dorf, vielleicht sogar in einer anderen Welt? Er wunderte sich, wie er hierher gekommen war.

Plötzlich hörte er, wie jemand mit wütender Stimme sagte: »Wie heißt du?«

»Kafrawi«, antwortete er.

Da war wieder die wütende Stimme: »Dein Alter?«

Er zögerte einen Moment, dann antwortete er: »Vierzig oder fünfzig.«

Er hörte die Anwesenden lachen und wußte nicht, warum.

Und wieder sagte die wütende Stimme: »Du bist des Mordes an Elwau angeklagt und solltest lieber ein Geständnis ablegen, statt wie eine Katze um den heißen Brei herumzureden.«

»Was für ein Geständnis?« fragte er.

»Daß du Elwau getötet hast.«

»Ich habe ihn nicht getötet. Elwau war ein guter Mann.«

Die Stimme fuhr fort: »Wußtest du nicht, daß es Elwau war, der deine Tochter Nefissa vergewaltigt hat?«

»Das habe ich gehört.«

»Und wolltest du ihn nicht töten, nachdem du das gehört hast?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Der Gedanke ist mir nicht gekommen.«

»Ist das normal für einen Mann, dessen Ehre beschmutzt worden ist?«

»Das weiß ich nicht«, antwortete Kafrawi.

Die Stimme klang immer wütender. »Ist das natürlich?«

»Was bedeutet ›natürlich‹?«

Wieder hörte er Lachen und sah sich erstaunt um. Warum lachten die Leute immerzu? Vielleicht hatte es gar nichts mit ihm zu tun?

Die Stimme fragte weiter. »Warum bist du an jenem Freitag auf dem Feld geblieben, statt wie alle Männer des Dorfes zum Gebet in die Moschee zu gehen?«

»Ich gehe nicht mehr zum Gebet, seit Nefissa fort ist.«

»Warum?«

»Nefissa ist immer bei dem Büffel geblieben, wenn ich beten ging.«

»Hast du nicht gewußt, daß Elwau anders als alle Männer des Dorfes am Freitag nie in die Moschee ging?«

»Ja.«

»Hast du es gewußt oder nicht?«

»Ja, ich wußte es. Jeder wußte, daß Elwau nicht in die Moschee ging.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht, warum. Die Leute sagen, weil der Großvater seiner Mutter ein Kopte war, aber nur Allah kennt den Grund.«

Hinterlistig fragte die Stimme: »Hast du Elwau nicht leiden können?«

»Nein.«

»War es nicht deine Überzeugung, daß ein Mann wie er das Ritualgebet verrichten muß, wie es Allahs Wille ist?«

»Elwau war ein guter Mann«, antwortete Kafrawi.

»Weißt du nicht, daß Beten vor Sünde schützt?«

»Ja, das hat uns Scheich Hamzawi immer gesagt.«

»Und Elwau hat deine Tochter vergewaltigt und eine schwere Sünde begangen!«

»Das ist behauptet worden.«

»Du bestehst also darauf, daß du ihn nach allem, was geschehen ist, nicht töten wolltest?«

»Nein, ich wollte ihn nicht töten.«

»Und warum wolltest du ihn nicht töten.«

»Elwau war ein guter Mann«, wiederholte Kafrawi.

Und die Stimme fragte hartnäckig weiter: »Und deine Ehre? Liegt dir nichts an deiner Ehre und an der Ehre deiner Familie?«

Kafrawi schwieg einen Moment, dann antwortete er: »Doch.«

Mit kaum verhohlener Genugtuung sagte die Stimme: »Und deshalb hast du Elwau getötet.«

»Aber ich habe ihn nicht getötet.«

Wieder klang die Stimme sehr wütend: »Und warum hat man dich bei der Leiche gefunden?«

Kafrawi schwieg, er versuchte sich zu erinnern, aber sein Gedächtnis ließ ihn im Stich. Er antwortete nicht.

Die wütende Stimme fragte: »Und warum bist du weggelaufen, warum wolltest du fliehen?«

»Ich hatte Angst vor dem Hund.«

»Weißt du, warum der Hund von allen Männern des Dorfes gerade dich ausgesucht hat?«

»Nein. Der Hund weiß das.«

Er hörte Lachen und drehte sich erstaunt um. Warum lachten die Leute schon wieder?

Jetzt war die Stimme außer sich vor Wut. »Versuche nicht, mich hinters Licht zu führen! Du solltest lieber ein Geständnis ablegen. Weißt du, was dich erwartet?«

»Nein«, sagte er.

Wieder dröhnte das Lachen in seinen Ohren. In seinen Augen lag Verwirrung. Gleich darauf spürte er, wie sich die stählerne Hand um seinen Arm legte und ihn durch einen langen, dunklen Korridor führte. Er schloß die Augen und murmelte: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah.«

IX

Zakeya saß am staubigen Eingang ihrer Hütte, mit Zeinab an ihrer Seite. Beide hüllten sich in Schweigen und blickten zornig und herausfordernd auf die Straße. Vor ihnen ragte das hohe Tor mit den Eisenstäben auf. Es schien den Zutritt zu verwehren und das Ufer und das vorbeiziehende Wasser auszusperren. Von Zeit zu Zeit öffnete es sich vor dem Bürgermeister, der groß und breitschultrig mit langsamen, gleichmäßigen Schritten die Straße betrat, gefolgt von ein paar Männern. Seine blauen Augen blickten hochmütig geradeaus. Nie sah er zu Boden, und nie sah er, daß Zakeya und Zeinab schweigend vor ihrer Hütte saßen und nachdenklich vor sich hinstarrten.

Zakeyas Hände ruhten in ihrem Schoß, auf ihrer weiten, schwarzen galabeya. Es waren große Hände mit schwieliger, rissiger Haut, und in ihren Innenflächen war deutlich der Abdruck der Hacke zu sehen, die sie immer fest umklammerte, wenn sie das Feld umgrub. Ihre Fingernägel hatten schwarze Ränder und rochen nach Dung und feuchter Erde. Ab und zu nahm sie die Hände hoch und hielt sich den Kopf, oder sie wischte den klebrigen Schweiß ab oder sie verjagte eine Mücke. Zeinab saß neben ihr und war damit beschäftigt, das Getreide zu sieben oder Dung und Stroh zu kneten und zu Fladen zu formen, die wie Brotlaibe aussahen. Manchmal stand sie auf, hob den Wasserkrug auf den Kopf und ging zum Fluß. Sie war hochgewachsen und schlank, ihre großen dunklen Augen waren geradeaus gerichtet und nahmen weder die Passanten wahr noch die Hütten, Geschäfte oder Ställe. Sie lächelte nicht, und anders als die anderen Frauen des Dorfes grüßte sie niemanden. Wenn sie an Haj Ismails Geschäft vorbeiging, beschleunigte sie ihren Schritt. Sie hatte das Gefühl, die blauen Augen würden ihren Rücken versengen, durchdringend und grausam war der Blick, er entblößte sie und weidete sich an ihren schönen Beinen, an ihren runden Formen, an ihren prallen Schenkeln und ihrem vollen Bauch, an ihrer frischen Haut und ihrer schlanken Taille und an ihrem langgestreckten, schmalen Rücken.