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Zakeya saß auf dem Boden, sie hatte die Augen geschlossen, die vielen Gesichter und dicht aneinandergedrängten Körper überwältigten sie. Sie fuhr zum ersten Mal in einem Bus und hatte noch nie so viele Menschen auf so engem Raum gesehen. Ihr Körper war noch nie so durchgeschüttelt worden wie jetzt. Von Zeit zu Zeit machte der Bus einen heftigen Satz, und sie schlug erschrocken die Augen auf. Sie hatte das Gefühl, die Erde würde sich auf den Kopf stellen und auf dem Busdach landen, oder der Bus würde umkippen und sich mit dem Dach auf die Straße legen. Sie spuckte immer wieder in ihren Halsausschnitt und rezitierte das Glaubensbekenntnis, als wäre die Stunde ihres Todes gekommen. »Wahrlich, ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Allah und daß Mohammed der Gesandte Gottes ist.« Viele Stimmen in dem Bus wiederholten diese Worte in einem Atemzug und dröhnten in ihren Ohren.

In manchen Augenblicken kam es ihr vor, als wäre sie gestorben und in dem Bus, der am Nilufer entlangfuhr, wieder ins Leben zurückgekehrt. Sie hob den Kopf und wollte einen Blick auf den Fluß werfen, doch vor allen Fenstern und Türen drängten sich Menschen, und so sah sie nichts als das verrußte Dach des Busses.

Daß dieser angehalten hatte, merkte sie erst, als Zeinab sie an der Hand nahm und sagte: »Wir steigen hier aus, Tante.«

Sie stützte sich auf Zeinabs Rücken und stieg aus dem Bus. Ihr Gesicht war blaß, und ihre Augen wirkten noch schwärzer als sonst, als sie sich nach allen Seiten umsah und weder den Fluß noch das Ufer, weder die Lehmhütten noch staubige Wege, sondern breite, helle Straßen und hohe Gebäude entdeckte, Autos, die hintereinander an ihnen vorbeirasten, und Straßenbahnen, die ein sonderbares Klirren und Quietschen von sich gaben. Auch die Menschen waren anders. Die Frauen trugen Schuhe mit hohen Absätzen und wirkten unter ihren eng anliegenden Kleidern beinahe nackt. Es waren so viele Männer in den Straßen, daß sie sie nicht zählen konnte. Auf jeder Straßenseite reihten sich die Geschäfte aneinander, und der hektische Verkehr ergoß sich unaufhörlich durch die Straßen, begleitet von einem schrillen, hektischen Lärm. Sie umklammerte Zeinabs Hand und rückte eng an sie heran.

»Mir ist schwindlig, Zeinab«, sagte sie. »Laß mich nicht allein. Halte meine Hand fest. Ich weiß nicht, ob sich mein Kopf dreht oder die Straße.«

Auch Zeinab schwindelte der Kopf. Sie beobachtete das Treiben und wunderte sich immer mehr. Der alte Mann hatte sich inzwischen an Zeinab gelehnt, während sich die junge Frau an ihm festhielt. So standen sie zwischen den vorbeiströmenden Passanten und drängten sich schutzsuchend aneinander. Ihr Mund war vor Staunen geöffnet, und ihre Blicke wanderten wie die gehetzte Menschenmenge blitzschnell hin und her.

Nach einer Weile setzten sie sich in Bewegung und gingen hintereinander an einer hohen Mauer entlang, mit vorsichtigen Schritten, aus Angst, von den wilden Rädern der vorbeirasenden Autos überfahren zu werden. Zeinab fragte einen der Vorübergehenden nach der Straßenbahn, die sie nach El Sayeda bringen würde. Der Mann zeigte auf eine Säule und sagte: »Wartet dort, bis die Straßenbahn kommt.«

Sie taten, was der Mann ihnen gesagt hatte. Der Platz wimmelte von Menschen. Zeinab schaute nach oben und entdeckte, daß lange Drähte über die Straße gespannt waren. Auf der anderen Straßenseite war ein hohes Gebäude und hinter den Drähten ein großes Plakat, auf dem eine nackte Frau mit gespreizten Beinen auf dem Rücken lag und drei Männer ihre Pistolen auf sie richteten.

Sie bedeckte ihre Augen mit dem Kopftuch und sagte: »So eine Schande!«

Die Straßenbahn kam, und die Menschen, die ein- oder ausstiegen, drängten sich auf dem schmalen Trittbrett, das unter ihrem Gewicht zusammenzubrechen drohte. Zeinab hielt sich an einer eisernen Querstange fest und zog Zakeya hinter sich her. Dann folgte die junge Frau, und nach ihr kam der alte Mann, der seinen Korb Feigen an sich preßte. Er hatte sich gerade einen Weg gebahnt, als ihm der Korb wegrutschte und unter die Räder der Straßenbahn fiel. Der Mann sprang hinterher. Ein Schrei, auf den andere Schreie folgten. Die Feigen rollten auf die Straße und wurden von den Passanten zertreten. Der Schaffner blies schnell in seine Trillerpfeife, und die Straßenbahn blieb stehen.

Zakeya hatte nicht gesehen, was geschehen war. Sie konnte nicht sagen, ob die Straßenbahn stand oder fuhr. Sie schloß die Augen, weil sich ihr der Kopf drehte. Erst als sie vom Rütteln der Straßenbahn erfaßt wurde, schlug sie sie wieder auf. Zeinab saß neben ihr, und durch ein kleines Fenster sah sie die vielen Menschen hin und her laufen. Sie konnte auch einen flüchtigen Blick auf die hohen Gebäude werfen, auf riesige Plakatwände, Plakate, auf denen halbnackte Frauen saßen, lagen oder standen, immer mit gespreizten Beinen, vor ihnen Männer, die alle Pistolen trugen. Sie ahnte, daß in der Straßenbahn etwas passiert war, ergriff Zeinabs Hand und fragte: »Was ist geschehen?«

»Der alte Mann ist unter die Räder der Straßenbahn gefallen, und statt nach El Sayeda zu fahren, ist er jetzt ins Krankenhaus gebracht worden«, antwortete Zeinab.

Zakeya gestikulierte heftig, als wollte sie ihr hinter dem Straßenfenster ganz oben im Himmel etwas zeigen.

»Nur Allah ist allmächtig, mein Kind. Ist dies eine verrückte Welt, oder hat deine Tante Zakeya den Verstand verloren?«

»Allah möge dich gesund machen und dir deinen klaren Verstand erhalten. Allah sei Dank, daß es dir gut geht, Tante, und es wird dir noch besser gehen, wenn du in El Sayeda warst.«

»Unsere liebe Frau sei gesegnet«, murmelte Zakeya vor sich hin.

XIII

Zakeya und Zeinab schienen mit der dichten Menschenmenge zu verschmelzen, die in die Sayeda Zeinab-Moschee strömte und das ganze Viertel überschwemmte, die engen Gassen und die Hauptverkehrsstraße, wo eine Straßenbahn nach der anderen kam, und den großen Platz, zu dem sie führte. Alle Menschen waren in bodenlange galabeyas gekleidet. Die Frauen unterschieden sich von den Männern durch die schwarzen Tücher, in die sie den Kopf gehüllt hatten. In dem unüberschaubaren Menschenknäuel gingen alle barfuß, hatten große, flache Zehen, schmutzige, rissige Fersen und rauhe, schwielige Handflächen, in denen Hacke, Pflug oder Wasserrad Spuren hinterlassen hatten. Die schmalen, mageren Gesichter sahen blaß und müde aus, die großen schwarzen Augen waren vor Verwunderung weit aufgerissen oder vor Betäubung halb geschlossen, und sie alle holten tief Luft und hielten dann den Atem an.

Zakeya hielt Zeinabs Hand umklammert, sie drückte sich aus Angst, ein noch so geringer Abstand zwischen ihnen könnte zur Folge haben, daß sie in diesem gewaltigen Menschenmeer unterging, so dicht an sie, daß sie ihr beinahe auf die Füße trat. Und doch drängten sich Menschen zwischen sie, und im Nu hatte sie Zeinab aus den Augen verloren. Aber plötzlich hatte sie keine Angst mehr, sie fühlte sich nicht mehr allein. Alles kam ihr jetzt vertraut vor, als hätte sie es schon einmal erlebt. Alle Menschen trugen eine galabeya wie sie, und ihr Schweiß roch wie der Schweiß der anderen Menschen, mit denen sie alles gemein hatte, das Gesicht, die Füße und die Zehen, den Gang, den Blick und die Sprache. Sie war ein Teil dieser Menschenmasse, und diese war ein Teil von ihr. Sie fürchtete sich nicht mehr und gab es auf, in dem Gedränge nach Zeinab zu suchen, denn alle Gesichter ähnelten Zeinabs Gesicht, und alle Stimmen erinnerten sie an Zeinabs Stimme. Auch die Wörter, die Aussprache und die Betonungen, die zum Himmel erhobenen Hände und der einstimmige Schrei »Errette uns, o Gott!« ließen sie glauben, daß alle diese Menschen Zeinab waren.