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»Ich will kein Kind der Sünde unter meinem Dach haben.«

»Dann werde ich mit ihm fortgehen«, antwortete sie.

»Du bist nicht seine Mutter, und du wirst nicht mit ihm fortgehen«, sagte er mit bebender Stimme.

»Ich werde es niemand anderem anvertrauen. Die Menschen haben kein Mitleid, und dieses unschuldige Kind hat niemandem etwas getan.«

»Dieses Kind der Sünde wird uns nichts als Ärger bringen«, sagte Scheich Hamzawi. »Seit es in unserem Haus ist, geschieht uns und dem ganzen Dorf ein Unglück nach dem anderen. Die Würmer haben die Ernte vernichtet, und die Leute sagen, daß das Kind daran schuld ist. Auf der Straße grüßt mich keiner mehr, Fatheya, und ich fürchte, daß mich der Bürgermeister aus der Moschee verjagen und einen anderen Scheich zu meinem Nachfolger ernennen wird. Jemand hat ihm eingeredet, daß die Dorfbewohner mich nicht mehr als Vorbeter wollen aus Angst, Gott könnte ihre Gebete nicht erhören, weil der Prediger ein Kind der Sünde und der Unzucht in sein Haus aufgenommen hat. Wir werden verhungern, Fatheya, wenn der Bürgermeister mich aus der Moschee verjagt.«

»Allah wird für uns sorgen, Scheich Hamzawi, wenn dich der Bürgermeister vertreibt«, sagte Fatheya.

»Allah wird uns kein Manna vom Himmel schütten.«

»Wie kannst ausgerechnet du so etwas von Gott sagen, Scheich Hamzawi? Hast du nicht immer behauptet, daß Allah den Armen hilft, die ihn verehren? Warum sollte er sich nicht auch unser annehmen, wenn der Bürgermeister dich vertreibt? Hast du kein Vertrauen in Allah, Scheich? Zweifelst du an seinem Erbarmen, du, der die Menschen ermahnt, den Glauben nicht zu verlieren? Steh auf, Scheich Hamzawi, und verrichte deine Waschungen und bete zu Gott, daß er sich deiner und meiner und aller Menschen im Dorf erbarmt.«

Da verrichtete er seine Waschungen und Gebete, setzte sich auf den Gebetsteppich und rezitierte Verse aus dem Koran. Das Kind kroch zu ihm, setzte sich hin und sah ihn fragend an. In Scheich Hamzawis Augen war so viel Haß, daß es erschrak und laut schreiend davonkroch. Fatheya kam herbeigelaufen, nahm es auf den Arm und streichelte es. »Was ist denn, mein Liebes, was hast du denn? Hast du Angst vor deinem Vater, Scheich Hamzawi? Du brauchst keine Angst zu haben, Liebes, er ist dein Vater und liebt dich, und wenn du größer bist, wird er dich in den Koran einweisen, und du wirst Scheich der Moschee wie er. Du wirst die Gemeinde beim Gebet leiten und ihr am Freitag eine Predigt halten.«

»Du träumst, Fatheya«, sagte Scheich Hamzawi verächtlich. »Glaubst du wirklich, die Leute hier würden einen Scheich akzeptieren, der als Kind der Sünde geboren wurde?«

»Aber daran hat das Kind doch keine Schuld«, erwiderte sie hartnäckig.

»Ich weiß, daß das Kind keine Schuld daran hat, aber die Menschen hier denken anders.«

»Warum?« fragte sie. »Warum denken sie nicht wie wir? Wir sind nicht anders als sie.«

»Ja, ich weiß, aber die Menschen sind wie die Wellen des Meeres, man weiß nie, wann und warum sie aufbrausen. Alle sagen mir, und niemand macht eine Ausnahme, daß das Kind keine Schuld hat. Aber sobald sie ihre Köpfe zusammenstecken, sagen sie etwas anderes. Diese Menschen sind ungläubig, Fatheya. Sie glauben nicht an Gott und machen sich keine Gedanken über das, was in diesem oder im nächsten Leben geschieht. Sie fürchten Gott nicht, sie fürchten nur den Bürgermeister. Er entscheidet über ihr tägliches Brot, und er kann es ihnen wegnehmen. Wenn er wütend ist, verdoppeln sich ihre Schulden, und die Regierung schickt ihnen eine Aufforderung nach der anderen: ›Entweder du zahlst oder dein Land wird beschlagnahmt.‹ Du kennst den Bürgermeister nicht, Fatheya. Er ist ein gefährlicher Mann und fürchtet niemand, nicht einmal Allah. Er kann den Menschen Unrecht zufügen und sie ins Gefängnis werfen, selbst wenn sie nichts getan haben. Er kann sogar unschuldige Menschen umbringen.«

»Im Namen Allahs, des Allmächtigen, warum hast du dann immer gesagt, daß er ein Mann ist, der an Allah glaubt und den Menschen Gutes tun will? Jeden Freitagmorgen ist deine Stimme aus der Moschee zu mir gedrungen, wenn du vor den dort versammelten Männern eine Predigt gehalten und Allah angefleht hast, dem Bürgermeister ein langes Leben zu schenken. Du hast immer gesagt, daß Kafr El Teen nie einen besseren Bürgermeister hatte und er sich immer um Wahrheit und Gerechtigkeit bemüht hat. Hast du die Menschen getäuscht, Scheich Hamzawi?«

Er schwieg eine lange Zeit, dann antwortete er: »Du verstehst nichts von dem, was außerhalb dieser vier Wände vor sich geht. Es ist nicht einfach, mit den Menschen dort draußen zu leben. Der Prophet sagt: ›Handle so, als würdest du ewig leben.‹ Die Freitagspredigt kann nicht nur von Allah handeln. Sie muß sich auch mit den weltlichen Dingen auseinandersetzen, und die Welt, in der wir leben, wird vom Bürgermeister regiert. Wenn man bei ihm in Ungnade fällt, kommt man im Leben nicht voran. Und was das Paradies angeht, so bin ich sicher, daß Allah mich dort aufnehmen wird. Ist es nicht genug, daß ich von seiten des Bürgermeisters und des Polizeichefs viel einstecken muß, um ein unschuldiges Kind zu schützen? Oder was glaubst du, Fatheya?«

»Ja, natürlich«, antwortete sie hastig. »Allah wird dir vergelten, daß du ein unschuldiges Kind aufgenommen und es beschützt und zärtlich umsorgt hast.«

Sie sah, daß er gut gelaunt war und setzte sich neben ihn und legte ihm das Kind in den Schoß.

»Sieh in seine Augen, Scheich Hamzawi. Erkennt du nicht, daß es dich liebt, wie ein Kind seinen Vater liebt? Nimm seine Hand, sieh doch, wie klein und zart sie ist, wie seine winzigen Finger deinen Daumen umklammern, als wollte er dir sagen: ›Laß mich nicht allein, ich bin klein und schwach, Vater, ich brauche deine Hilfe.‹«

Und das Kind streckte seine Hände aus und berührte Hamzawis Gesicht. Der alte Mann senkte den Kopf und ließ es sich gern gefallen, daß sie mit seinem Bart spielten.

Eines Tages riß das Kind ein Haar aus seinem Bart. Er schlug ihm auf die Hand und sagte: »Schäm dich!« Der Scheich setzte es auf den Gebetsteppich und las ihm aus dem Koran vor. Der kleine Junge versuchte das heilige Buch in die Hände zu nehmen, aber es war zu schwer, und er ließ es mit einem dumpfen Knall auf den Boden fallen. Scheich Hamzawi bebte vor Zorn und bückte sich, um den Koran aufzuheben. Er drückte einen Kuß auf beide Seiten des Einbands, dann schlug er dem Jungen auf die Hand und sagte: »Wie kannst du es wagen, Allahs Buch auf den Boden zu werfen, du Kind der Sünde.» Fatheya kam herbeigelaufen, als sie das Kind weinen hörte, und als der Scheich erzählte, was vorgefallen war, sagte sie: »Wie kannst du von ihm verlangen, daß er deine Worte versteht, Scheich Hamzawi?«

Ein anderes Mal war es Mittag und sehr heiß. Scheich Hamzawi saß wie üblich mit dem Koran in den Händen mit gekreuzten Beinen da und las Verse. Schlaf überwältigte ihn, und der Koran fiel in seinen Schoß. Der kleine Junge kroch zu ihm und setzte sich auf den Koran. Gleich darauf wurde der Scheich wach, weil etwas Warmes zwischen seinen Beinen herabtropfte. Erschrocken riß er die Augen auf, denn er glaubte, er hätte sich naß gemacht, und sah das Kind in seinem Schoß auf dem durchnäßten Buch Allahs sitzen. Er raffte sich auf, stieß das Kind weg, trat es mit dem Fuß in die Seite und rief zornig: »Du urinierst über dem heiligen Buch Allahs, du Kind der Unzucht?«

Der Junge wurde blaß und rang einen Moment nach Luft, als würde er ersticken. Dann stieß er einen langen, klagenden Schrei aus, und Fatheya eilte entsetzt herbei.

»Was ist geschehen, Scheich Hamzawi? Was hast du dem Kind getan?« rief sie.

Voller Zorn berichtete er, was geschehen war. Sie nahm das Kind auf den Arm und schrie ihren Mann wütend an: