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»Erwartest du von dem Kind, daß es begreift? Wie kannst du ihn mit deinen großen Füßen treten? Allah sei Dank, denn du hättest ihn töten können!«

»Ich wünschte, er wäre tot, dann müßte ich seinetwegen nicht mehr so viel hinnehmen. Ich will nicht länger in dieser Welt leben, wenn diese unselige Kreatur weiter bei uns bleibt. Wie eine Frau bin ich in meinen vier Wänden eingesperrt. Niemand besucht mich mehr, und ich kann niemanden mehr besuchen. Und im Dorf gehen die Leute mir aus dem Weg, um mich nicht grüßen und nicht mit mir reden zu müssen.»

Am Freitag darauf ging Scheich Hamzawi wie immer zur Moschee, um die Gemeinde beim Gebet zu leiten. Als er sich dem Eingang der Moschee näherte, versperrten ihm drei Männer den Weg und wollten ihn nicht hinein lassen. Zornig schrie er sie an: »Ich bin der Scheich der Moschee. Wie könnt ihr es wagen, mich am Betreten der Moschee zu hindern?«

»Du bist nicht mehr der Scheich der Moschee«, antwortete einer der Männer. »Der Bürgermeister hat deine Absetzung angeordnet und einen neuen Scheich ernannt!«

»Niemand außer Allah kann mich am Betreten dieser Moschee hindern«, rief Scheich Hamzawi erzürnt. Dann ging er geradewegs auf die Tür zu. Aber einer der Männer hielt ihn an seinem Kaftan fest und zog ihn zurück, darauf hob er seinen Stock und schlug ihm heftig auf den Kopf. Der Mann fiel zu Boden, und die anderen Männer stürzten sich auf Scheich Hamzawi. Einer schlug ihm mit der Faust so fest auf den Kopf, als hätte er den Teufel oder eine Schlange vor sich. Ein anderer schlug ihn immer wieder ins Gesicht, als wollte er seine Wut an ihm auslassen, sich an ihm für die Schläge rächen, die er als Kind von seinem Vater mit den Worten erhalten hatte: »Allah wird dich in den Flammen der Hölle verbrennen lassen, weil du deinem Vater nicht gehorchst.» Nicht Scheich Hamzawi hatte er vor sich, sondern das Gesicht seines Vaters, und gleich darauf das Gesicht Allahs und die Drohung, die Flammen der Hölle würden seine Haut bis auf den letzten Rest verbrennen, aber die Haut würde immer wieder nachwachsen und immer wieder verbrennen, bis in alle Ewigkeit. Als er Allahs Gesicht vor sich sah, packte ihn starkes Entsetzen, und er schlug umso wütender auf Scheich Hamzawi ein.

Die Dorfbewohner, die sich zum Gebet versammelt hatten, drängten sich herbei, um dem Kampf zuzusehen. Einer wollte Scheich Hamzawi vor den Schlägen schützen, aber er wich vor einer Faust zurück, die ihm beinahe alle Zähne ausgeschlagen hätte. Erbittert trat er den Rückzug an und murmelte: »Da versucht man, einen Streit zu schlichten, und hat nichts als zerrissene Kleider davon.»

Ein Mann flüsterte einem anderen ins Ohr: »Der Bürgermeister hat Scheich Hamzawi von seinem Amt abgesetzt und einen neuen Hauptprediger ernannt. Gehen wir, bevor wir das Gebet versäumen.» Er ging davon, gefolgt von anderen Männern, die sich sagten: »Da die Entscheidung von oben kommt, habe ich kein Recht, mich ihr zu widersetzen.» Andere sagten sich: »Ein Scheich ist wie der andere, wo ist also der Unterschied, ob ich hinter dem einen oder dem anderen bete?«

Nur wenige Männer waren vor der Moschee geblieben. Das Freitagsgebet hatten sie völlig vergessen. Das Spektakel der Schlägerei machte ihnen Spaß, und es war ihnen gleichgültig, wer schlug und wer geschlagen wurde, beides erfüllte sie mit derselben Genugtuung. Es war das eigenartige Vergnügen, das Männer an einem Kampf zwischen zwei Gegnern finden, seien es Männer, Hähne oder Stiere. Manche sind bereit, einen hohen Preis zu zahlen, um einen Kampf beobachten und sich so von den eigenen Konflikten ablenken zu können.

Scheich Hamzawis Turban fiel auf den Boden und wurde von den Vorbeigehenden zertrampelt. Sein Kaftan war zerrissen, und er blutete aus Mund und Nase. Außer sich rief er immer wieder: »Ihr gottlosen Ungläubigen! Ihr kennt Allah nicht! Wie könnt ihr einen Gottesmann schlagen, der Ihm sein Leben lang gedient und sein heiliges Haus gehütet hat?«

Einer der Umstehenden sagte: »Wenn er ein Gottesmann ist, warum kommt Allah ihm dann nicht zu Hilfe, statt zu erlauben, daß er zusammengeschlagen wird?«

»Wer sagt denn, daß er ein Gottesmann ist? Das ist er keineswegs«, bemerkte ein anderer.

Ein dritter Mann machte sich zum Fürsprecher des Scheichs: »Wie willst du wissen, daß er kein Gottesmann ist? Für mich ist er ohne jede Frage ein Gottesmann!«

»Wie willst du dessen so sicher sein? Ich sage, er ist kein Mann Allahs«, erwiderte der zweite Mann grimmig. Und ein anderer griff in die Diskussion ein und schnitt beiden das Wort ab: »Keiner von euch beiden kann sagen, ob er ein Gottesmann ist oder nicht.»

»Wer weiß es also?« fragte einer, der eben noch in den Kampf verwickelt war.

Jemand sagte: »Der Bürgermeister weiß es sicherlich. Der Bürgermeister ist der einzige, der es weiß.»

Es herrschte tiefes Schweigen. Niemand traute sich, ihm zu widersprechen. Nur ein kleiner Junge im Gedrängte piepste: »Wie kann der Bürgermeister es wissen?«, worauf ihm sein Vater schnell eine Hand über den Mund legte und mit heiserer Stimme sagte: »Halt deinen Mund, Junge, wenn erwachsene Männer anwesend sind.»

Aber die Frage des Jungen ging einem der Anwesenden nicht aus dem Kopf. »Könnte es Allah sein, der dem Bürgermeister etwas gesagt hat? Hat Allah zum Bürgermeister gesprochen, wie er zum Propheten Mohammed gesprochen hat? Gott segne ihn und schenke seiner Seele Frieden! Wenn Allah zu den Heiligen gesprochen hat, vielleicht spricht er dann auch zum Bürgermeister, der ein frommer Mann ist.»

Plötzlich rang der Mann nach Luft. Er wußte nicht warum, denn er stand ja nur da und hatte wie die anderen den Kampf beobachtet. Die innere Stimme hatte sich seltsam, fast furchterregend angehört, obwohl sie ihm nur gesagt hatte, daß der Bürgermeister ein frommer Mann war. Doch das Wort »fromm« hatte ihn ihm wie die geheimnisvolle Stimme des Teufels gehallt und sich plötzlich wie »frevelhaft« angehört. Bei dem Gedanken, er könnte den Bürgermeister beleidigt haben, obwohl er nur mit sich selbst gesprochen hatte, überfiel ihn panische Angst. Vielleicht war seine innere Stimme mehr als nur ein Flüstern gewesen, sie war vielleicht lauter gewesen, als er glaubte, vielleicht hatte einer gehört, daß er den Bürgermeister als »frevelhaft« bezeichnet hatte. Er schüttelte den Kopf und machte eine Handbewegung, als wollte er den Teufel verjagen, und sagte leise: »O Allah, ich suche Zuflucht bei dir vor dem unseligen Teufel.»

»Ja, es ist der Teufel«, sagt eine erzürnte Stimme in seiner Nähe. »Wer außer dem Teufel würde unseren frommen Scheich Hamzawi zusammenschlagen?«

»Aber er ist nicht mehr der Scheich unserer Moschee«, bemerkte ein hochgewachsener Mann, einer der wenigen, die noch herumstanden.

»Allah hat mit Menschen wie ihm nichts zu tun«, pflichtete ihm eine andere Stimme bei.

Ein kleiner Mann mit einem freundlichen Gesicht, der bisher kein Wort gesagt hatte, nutzte die plötzliche Stille aus und fragte: »Wie kannst du so etwas sagen, Bruder? Was hat Scheich Hamzawi denn getan?«

»Das weißt du nicht? Lebst du nicht in unserem Dorf? Die Würmer haben unsere Baumwolle vernichtet, und wir haben nichts als Ärger, seit Scheich Hamzawi das Kind der Sünde bei sich aufgenommen hat. Wie können wir zulassen, daß ein Mann, der ein Kind der Sünde und der Unzucht annimmt, unser Vorbeter ist?«

Der hochgewachsene Mann wollte sagen: »Das arme Kind hat doch keine Schuld«, aber als er den Zorn in vielen Augen sah, schluckte er seine Worte hinunter und schwieg. Er erinnerte sich, daß sein Vater immer gesagt hatte, Kinder der Sünde brächten nichts als Unglück. Und er hörte sich mit der Stimme seines Vaters sagen: »Du hast recht, Bruder. Kinder der Sünde bringen nichts als Unglück.» Dann schluckte er noch einmal und ging schnell zu seinem Feld. Eine innere Stimme sagte: »Du bist ein Feigling!«, aber er riß sich zusammen, richtete den Kopf auf, und da hörte sich die Stimme gleich anders an: »Er hat recht, Kinder der Sünde bringen nichts als Unglück mit sich. Warum haben wir denn sonst ein Unglück nach dem anderen, seit Scheich Hamzawi das Kind bei sich aufgenommen hat?«