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Scheich Hamzawi ging nach Hause zurück, zu Fatheya. Er blutete, seine Kleidung war verschmutzt und zerrissen, sein Kopf war unbedeckt. Sie erkannte sofort, daß das Leben ihres Kindes jetzt in Gefahr war. Sie verbarg es unter einem Tuch und sagte: »Wir können nicht länger in diesem Dorf bleiben.»

»Wo sollen wir denn hin?« antwortete Scheich Hamzawi mit verzweifelter, erschöpfter Stimme. »Ich will lieber hier sterben als an einem fremden Ort, wo niemand uns helfen wird.»

»Allah wird sich unser annehmen, Hamzawi! Glaubst du, er würde uns unserem Schicksal überlassen?«

»Ich weiß es nicht«, sagte der Scheich. »Allah scheint mich verlassen zu haben, seit ich diesem Kind Obdach gewährt habe.»

»Wie kannst du nur wiederholen, was die Leute im Dorf sagen?« protestierte Fatheya.

»Warum wundert dich das? Bin ich nicht wie alle anderen? Bin ich kein Mensch? Ich habe nie behauptet, ein Heiliger oder ein Gott zu sein.»

»Was willst du damit sagen, Hamzawi? Wenn du das Kind nicht mehr im Haus haben willst, dann sollst du es morgen bei Sonnenaufgang nicht mehr vorfinden und es nie wiedersehen. Aber ich werde mit ihm fortgehen.»

»Tu was du willst, Fatheya«, antwortete Scheich Hamzawi mit schwacher Stimme. »Ob du mit ihm fortgehst oder hierbleibst, ist jetzt egal. Ich will nichts anderes, als daß mich die Menschen in Ruhe lassen.»

»Ich will dich nicht verlassen«, sagte sie und wischte sich die Tränen ab. »Aber sie werden uns nicht in Ruhe lassen. Sobald in diesem Dorf ein Unglück geschieht, werden sie dieses arme, unschuldige Kind dafür verantwortlich machen. Was hat das Kind mit dem Baumwollwurm zu tun, Hamzawi? Hat das Kind dem Wurm befohlen, die Baumwolle zu fressen? Ein Büffel hat mehr Verstand als die Menschen hier in Kafr El Teen. Und wohin soll ich gehen? Ich kenne keinen anderen Ort als Kafr El Teen.»

Ein paar Tage gingen vorbei, und Fatheya hatte die Fragen vergessen, die sie gestellt hatte. Die Menschen redeten nicht mehr über sie. Sie schienen die ganze Sache vergessen zu haben, oder sie gaben sich mit dem zufrieden, was sie Scheich Hamzawi angetan hatten. Und vielleicht hätten die Menschen tatsächlich vergessen, wenn nicht eines Tages der Wind einen Funken aus dem Ofen, in dem eine Frau Brot backte, fortgetragen hätte, einen winzigen Funken, kaum größer als der Kopf eines Zündhölzchens. Er wäre wahrscheinlich erloschen, wenn er auf der Erde gelandet wäre; aber er landete auf einem Strohdach. Ein kräftiger Windstoß hätte ihn ausblasen können, bevor das Stroh Feuer fing. Aber der Wind hatte sich plötzlich gelegt, und so fing ein Halm Feuer, und als der Wind bald darauf wieder aufkam, griff das Feuer auf das ganze Stroh über, und bald brannten auch die Fladen und die Baumwollstengel auf den Dächern der benachbarten Hütten.

Es dauerte nicht lange, bis die Dorfbewohner das Feuer entdeckten. Die Frauen schlugen die Hände vors Gesicht und jammerten, die Kinder kreischten und verstärkten das Geschrei, und die Männer rannten hin und her und wußten nicht, was sie tun sollten. Der Dorfbarbier schrie sie an: »Bringt Wasser her, ihr dummen Viecher!«, doch als das Wasser herbeigetragen wurde, kam es nie auch nur in die Nähe der Flammen. Die Familien riefen ihre Kinder zusammen, die Büffel und die Esel wurden aus den Ställen geholt und die Ersparnisse eines langen Lebens aus versteckten Winkeln und Spalten in den Wänden.

Der Polizeichef eilte zum Haus des Bürgermeisters, den man vom Feuer benachrichtigt hatte. Nach einiger Zeit kam der rote Feuerwehrwagen mit bimmelnder Glocke angefahren, gefolgt von einer Ambulanz. Die Kinder waren es inzwischen leid, dem Feuer zuzusehen, und interessierten sich mehr für den Feuerwehrwagen mit der langen Leiter, auf der man bis in den Himmel klettern konnte. Kaum war er stehengeblieben, drängten sie sich neugierig um ihn. Schwärme von Fliegen setzten sich auf ihre Gesichter oder flogen in schwarzen Wolken davon. Bevor die Sonne hinter den Baumwipfeln am anderen Ufer untergegangen war, schien in Kafr El Teen wieder Ordnung eingekehrt zu sein. Hier und da stieg Rauchgewölk aus der schwarzen Asche der ausgebrannten Dächer. Ein Baby war am Rauch erstickt, es lag tot auf einer Matte am Eingang einer Hütte, wo es eben noch herumgekrochen war. Ein paar Fensterrahmen waren verkohlt. Die Radspuren des Feuerwehrwagens waren von den Büffeln, Eseln und Bauern bald verwischt, die von ihrer Arbeit auf dem Feld in langen Reihen hintereinander nach Hause zurückkehrten.

Fatheya war hellwach und hielt das Kind fest an sich gedrückt. Sie witterte die drohende Gefahr und lauschte an der Wand, um zu hören, was die Nachbarn sagten. Im tiefsten Innern wußte sie genau, was jetzt geschehen würde. Deshalb war sie nicht überrascht, als sie die Worte hörte: »Wenn Allah sich nicht erbarmt hätte, wäre das ganze Dorf abgebrannt. Seit das Kind der Unzucht und der Sünde in unserem Dorf ist, folgt ein Unglück auf das andere. Es ist Zeit, daß wir etwas unternehmen.»

Ihr Herz klopfte wild unter dem schwachen, fernen Puls des Kindes, das sie in ihr Tuch gehüllt hatte. Vorsichtig öffnete sie die Tür, damit die Nachbarn das Knarren nicht hörten, und eilte auf bloßen Füßen davon. Sie hatte fast den Fluß erreicht, als man sie entdeckte und umzingelte. Eine grimmige Stimme rief: »Wo ist das Kind, Fatheya?«

»Es ist zu Hause und schläft«, sagte sie und preßte den kleinen Körper unter dem Tuch noch fester an sich.

»Du lügst, Fatheya, du hast das Kind bei dir«, sagte die zornige Stimme.

»Nein, ich habe es nicht bei mir.» Ihre Stimme verriet schreckliche Angst, als sie diese Lüge aussprach.

Sie wollte schnell weitergehen, aber eine Hand riß das schwarze Tuch weg, und da lag das Kind und saugte an ihrer Brust. »Er ist mein Sohn, nehmt ihn mir nicht weg«, schrie sie entsetzt auf.

»Er ist ein Kind der Unzucht, und wir sind gottesfürchtige Menschen. Wir hassen die Sünde.»

Eine große, grobe Hand streckte sich ihr im Dunkeln entgegen und wollte ihr das Kind wegnehmen, aber sie schien mit ihm verwachsen zu sein. Andere Hände griffen nach ihr, wollten ihr das Kind von der Brust reißen, doch vergeblich. Sie und das Kind waren eins.

Die Sonne war hinter den Bäumen am anderen Ufer untergegangen. Die Nacht senkte sich wie ein schwerer, stummer Schatten über die Häuser von Kafr El Teen, kein Laut war zu hören, als wäre alles Leben plötzlich erloschen. Die Männer oben an der Böschung bewegten sich wie dunkle Geister oder Gespenster, die aus den tiefen Wassern des Nils aufgestiegen waren. Sie zerrissen Fatheyas Gewand, als sie um ihr Kind kämpfte, und ihr nackter, heller Körper leuchtete in der mondhellen Nacht wie der Leib einer unheimlichen Meerjungfrau. Ihr Gesicht war so weiß wie ihr Körper, und in ihren Augen war eine merkwürdige, fast wahnsinnige Entschlossenheit. Sie war weich und rund und weiblich, und sie war ein wildes Tier, das seine nächtlichen Angreifer grimmig bekämpfte. Sie setzte sich mit Beinen und Füßen zur Wehr, mit ihren Schultern und ihren Hüften, und hielt dabei das Kind fest in den Armen.

Von allen Seiten drangen Hände auf sie ein, große, grobe Hände mit schwieligen Fingern, deren lange, schmutzige Nägel sich wie schwarze Büffelhufe in ihre Brust gruben und sie zerfleischten. Unbefriedigte Lust glitzerte in den Augen der Männer, als sie über sie herfielen, als würden sie sich rasend vor Hunger auf ein geröstetes Lamm stürzen, um so viel wie möglich zu verschlingen aus Angst, der Nachbar könnte schneller sein. Wie Raubtierkrallen waren ihre Hände, und in ihren Augen flackerte ein uralter Rachedurst, ein ungestümes Verlangen. In kurzer Zeit war Fatheyas Leib zerfleischt, und die Erde färbte sich rot mit ihrem Blut.

Und dann versank das Ufer wieder wie in jeder Nacht in der schweren, stillen Dunkelheit, die über allem lastete, über dem Wasser des Nils, über den weiten, ausgedehnten Feldern längs des Flusses, über den dunklen Lehmhütten und den mit Dung verstopften Wegen. Die Männer von Kafr El Teen waren in ihre Hütten zurückgekehrt, sie schliefen auf der Erde neben ihrem Vieh und ihren Frauen; leblose, fühllose Körper. Alle Männer bis auf Scheich Hamzawi, der in dieser Nacht kein Auge zumachte und sich nicht einmal zum Schlafen hingelegt hatte. Er lauschte an der Wand, bis alle Geräusche verstummt waren und sich tiefe Stille über das Dorf gesenkt hatte, Todesstille. Dann erhob er sich, ging zur Haustür und öffnete sie langsam mit der Schulter, damit sie nicht knarrte. Er ging auf die Straße hinaus und suchte den Weg mit dem Stock, mit dessen Hilfe er nicht über Steine, Ziegel oder eine tote Katze stolperte.