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So ging er mit schleppenden Schritten voran, bis sein Stock gegen etwas stieß, das sich nicht wie ein Stein, wie ein Ziegel oder ein totes Tier anfühlte, sondern wie etwas Warmes, Lebendiges. Er blieb stehen, reglos, nicht einmal die Gebetskette in seiner Hand bewegte sich.

Und er sah den Körper seiner Frau, die nackt am Ufer lag.

Fatheya stöhnte leise, ihre Brust hob und senkte sich noch, ihr Atem ging langsam und unregelmäßig.

Er setzte sich neben sie auf die Erde und ergriff ihre Hand. »Fatheya, Fatheya, ich bin es, Hamzawi«, flüsterte er.

Sie blickte ihn aus blutunterlaufenen Augen an, ihre Lippen teilten sich, als wollte sie etwas sagen, aber es kam kein Laut über sie. Er sah, wie jemand näherkam, zog seinen Kaftan aus und bedeckte ihren nackten Körper. Als der Mann neben ihm stand, erkannte er Scheich Metwalli und sagte schnelclass="underline" »Sie liegt in den letzten Zügen. Hilf mir, sie nach Hause zu tragen, damit sie in ihrem Bett sterben kann.»

Scheich Metwalli bückte sich sofort, um ihren blutenden Körper aufzuheben. Aber bevor sie dazu kamen, schlug sie wieder die Augen auf und sah sich suchend um.

»Sie sucht etwas«, sagte Scheich Metwalli leise.

»Sie hat das Bewußtsein verloren. Tragen wir sie nach Hause«, flüsterte der alte Mann und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Doch als sie sie wieder hochheben wollten, schien Fatheyas Körper am Boden zu kleben. Sie versuchten es immer wieder, und jedes Mal öffnete sie die Augen und blickte sich suchend um.

»Sie läßt sich nicht bewegen. Ich bin sicher, daß sie etwas sucht«, sagte Scheich Metwalli und sah forschend in die Dunkelheit. Plötzlich blieb sein Blick an etwas Dunklem hängen, das nicht weit entfernt am Ufer lag. Er ging, hob es auf und kam mit dem zerschundenen Körper des Kindes zurück. Scheich Metwalli legte ihn vorsichtig auf ihre Brust. Sie drückte ihn an sich und schloß die Augen. Sie hoben sie hoch, und jetzt war ihr Körper leicht, und sie konnten ihn mühelos tragen.

Sie brachten sie ins Haus, und am nächsten Morgen beerdigten sie sie mit dem Kind in den Armen. Scheich Hamzawi hatte ein Leichentuch aus grüner Seide gekauft, in das sie sie sorgfältig einhüllten. Sie schaufelten ein Grab, ließen sie langsam hineingleiten, dann schütteten sie die Erde darüber. Scheich Metwalli wischte sich den Schweiß von der Stirn und merkte, daß seine Augen tränenfeucht waren. Das war ihm noch nie geschehen, zumindest konnte er sich nicht erinnern, jemals geweint zu haben, ausgenommen vielleicht als Kind.

Nur Allah und Scheich Metwalli wußten, daß Fatheyas Leiche und ihr Leichentuch unberührt und unbefleckt im Grab blieben.

XVI

Er stützte sich mit seinen großen, heißen Händen auf dem Boden ab und setzte sich hin, lehnte seinen Rücken an einen Baumstamm und streckte seine schmerzenden Beine von sich, denn er hatte einen weiten Weg zurückgelegt. In der untergehenden Sonne sah er seine großen Füße, geschwollen und mit rissiger und entzündeter Haut.

Er schloß die Augen und versuchte zu schlafen, aber dann öffnete er sie wieder. Er blickte auf den endlosen Wasserlauf, neben dem sich die Felder erstreckten, so weit das Auge reichte. Er wollte herausfinden, wo Kafr El Teen, seine Welt begann, was er als erstes wiedererkennen würde. Den großen Maulbeerbaum an der steilen Böschung des Flusses oder die besonderen Gerüche, die er aus tausend anderen Gerüchen herausroch; die staubige, mit Flußwasser bespritzte Erde, auf der zertretene Maulbeerfrüchte lagen, den Geruch von Dung, der sich mit dem Duft von frischem Brot vermischte, den Geruch des Schals seiner Mutter, der im Wind flatterte, wenn er neben ihr ging, ihrer Brust, wenn er in den Winternächten an sie gekuschelt auf der Matte neben ihr schlief.

Seit vielen Jahren hatte er diese Gerüche nicht mehr wahrgenommen. Er hatte sie in Kafr El Teen zurückgelassen, als er fortgegangen war. Es war ihm nie bewußt gewesen, daß sie existierten, bis zu dem Tag, als er sie nicht mehr roch, weil er die Uniform angezogen hatte und Soldat geworden war. Lange Zeit hatte er nicht gewußt, wie vertraut ihm diese Gerüche waren und daß sie einen Platz in seinem Leben einnahmen. In all der Zeit hatte er unweit von Suez in einem kleinen Zelt gehaust, wo ihn andere Gerüche umgaben, Gerüche von Patronen und Granaten, von verbranntem Leder, von Eingemachtem in rostigen Dosen, der Geruch des SinaiSandes, wenn die Flugzeuge ihre Bomben über ihnen abwarfen und die Wüstenstürme ausbrachen. Aber eines Nachts hatte er kurz vor Morgengrauen die Augen aufgeschlagen, weil ihm plötzlich dieser Geruch in die Nase stieg. Er wußte nicht gleich, was es war, aber er löste ein seltenes Glücksgefühl in ihm aus, als hätte er Drogen genommen. Plötzlich sehnte er sich danach, die Augen zu schließen und seinen Kopf an die Brust seiner Mutter zu legen. Und als er ganz wach war, stellte er fest, daß sein Kopf die ganze Nacht auf einem Päckchen geruht hatte, das seine Mutter ihm geschickt hatte. Es war ein kleines Bündel, das einer seiner Kameraden aus dem Dorf mitgebracht hatte. Bevor er es aufknotete, hielt er es an die Nase, und zum ersten Mal erkannte er den Geruch wieder, mit dem er jahrelang in Kafr El Teen gelebt hatte, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen war.

Tief atmete er die Luft ein, die vom Fluß und den angrenzenden Feldern herüberwehte, er sehnte sich danach, den Geruch von staubiger, mit trübem Flußwasser bespritzter Erde in sich aufzunehmen, aber er konnte ihn nicht entdecken. Und nichts ließ darauf schließen, daß er sich in der Nähe von Kafr El Teen befand.

Er ahnte, daß der vor ihm liegende Weg noch viele Stunden, vielleicht sogar Tage beanspruchen würde. Gegen seinen Willen fielen ihm die Augen zu. Als er sie wieder aufschlug, stand die Sonne hoch am Himmel. Er stützte sich am Boden ab und stand auf. Seine Handflächen waren schwielig und rauh, und das Gewehr hatte eine Kerbe hinterlassen. Bei der Parade, beim Stillgestanden!, wenn er das Gewehr schulterte oder visierte, hatte das Gewehr immer in der Kerbe geruht, die er vom jahrelangen Hacken hatte, und hatte sie noch vertieft. Als er stand, schwankte sein Körper wie ein Bambusrohr; vom langen Fußmarsch waren seine Füße geschwollen und aufgeplatzt, in die Wunden war Schmutz gekommen und sie bluteten und eiterten. Die Sonne stand hoch und brannte unerbittlich auf ihn hinab, und die Erde glühte unter seinen Füßen. Er wußte nicht, wo er war, denn auch der Suez-Kanal war ein langer Wasserlauf, und beim Rückzug vom Sinai hatte der Sand wie heiße Nadeln in seine Füße geschnitten.

Er atmete schwer, und rote Pünktchen tanzten vor seinen Augen. Er schloß die Augen, um diesen Wirbel aufzuhalten. Plötzlich hörte er eine Explosion. Wie gut er dieses Geräusch kannte! Es war furchterregend wie ein Donner oder ein Erdbeben, es war, als stießen Himmel und Erde zusammen. In Sekundenschnelle lag er zusammengerollt mit dem Gesicht nach unten auf der Erde und hielt die Arme schützend über seinen Kopf. So kroch er schnell vorwärts, er suchte einen Graben, ein Loch, eine Senke zwischen zwei Sanddünen. Dann blieb er unbeweglich liegen, wie tot.

Der Lärm verebbte, und die Stille jetzt war tiefer als zuvor. Ängstlich suchte er den Himmel ab, aber er sah nichts, kein Flugzeug, keine Flammen, keinen Rauch, keine grauen Wolken. Nichts als die glühende Sonne. Sein Blick wanderte vom Himmel über den Fluß und die Felder, und er begriff, daß er nicht mehr in der Wüste war. Der Krieg war vorbei, und er war auf dem Weg nach Hause, nach Kafr El Teen. Und im nächsten Augenblick war er von einer Gruppe von Kindern umringt, die beobachtet hatten, wie er plötzlich die Böschung hinuntergesprungen war. Fliegen umschwärmten ihre Augen, die vor Verwunderung weit aufgerissen waren. Er taumelte auf seinen wunden Füßen weiter, hörte sie hinter seinem Rücken lachen, und eine schrille Stimme rief: »Da geht der Idiot!« Die anderen Kinder wiederholten im Chor: »Da geht der Idiot!« Dann warfen sie Steine hinter ihm her.