Выбрать главу

Als er den Dorfrand erreichte, war die Sonne bereits untergegangen. Langsam senkte sich die dunkle Nacht über die niedrigen Lehmhütten, und die Büffel und die Kühe trotteten hintereinander am Flußufer entlang heimwärts. Müde gingen die Bauern hinter ihnen her, mit gekrümmten Rücken von der endlosen Plackerei, die Füße wund vom täglichen Kommen und Gehen.

Zakeya war bereits zu Hause. Der Büffel war im Stall, und sie hockte wie immer am staubigen Eingang ihrer Hütte, den Rücken an die Wand gelehnt. Sie rührte sich nicht, bewegte nicht einmal den Kopf oder die Hand, und sagte kein Wort. Ihre großen schwarzen Augen starrten in das Dunkel. Es war ihr egal, ob sie wach blieb oder einschlief, ob ihre Augen geöffnet oder geschlossen waren, denn die Nacht war wie ein dunkler Mantel. Sie wußte nicht, wann sie schlief und wann sie aufwachte, sie wußte nicht, ob das, was sie sah, Wirklichkeit war oder nur ein weiterer Traum oder ein Geist. Sie wußte nicht, ob der Mann, der in diesem Augenblick vor ihr auftauchte, ihr Bruder Kafrawi oder ihr Sohn Galal war, obwohl die beiden sich gar nicht ähnlich sahen. Sie mußte an den Tag denken, an dem Galal zur Armee abgeholt wurde und sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Sie sah ihn zwischen zwei Männern davongehen. Damals war er jung und stark, und er ging hochaufgerichtet und hatte einen stolzen Blick. Ihre letzte Erinnerung an Kafrawi fiel auf den Tag, als sie ihn abholten und ins Gefängnis brachten. Er ging zwischen zwei Männern, ein gebückter, alter Mann, der den Kopf gesenkt hielt und auf den Boden starrte. Aber sie wußte nicht, wer von den beiden jetzt vor ihr stand. Es war Galals Gesicht, aber der leere Blick und der gebeugte Rücken gehörten zu Kafrawi.

Sie glaubte, Galals Stimme in der Dunkelheit flüstern zu hören, schwach und erschöpft: »Mutter… Erkennst du mich nicht? Ich bin es, Galal. Ich bin vom Sinai zurück.»

Sie sah ihn starr an. Waren ihre Augen geöffnet oder geschlossen, war dies die Wirklichkeit oder ein Traum? Sie streckte die Hand aus, um ihn zu berühren. Wie oft hatte sie nachts nach ihm getastet, aber immer war sein Gesicht verblaßt und ihre Finger hatten ins dunkle Nichts gegriffen. Doch die Hand, die sie jetzt festhielt, war aus Fleisch und Blut, es war Galals große, warme Hand. Sie legte sie an ihre Wangen. Sie roch wie ihre Brust, wie ihre Milch, bevor sie versiegt war. Es war seine Hand, daran bestand kein Zweifel.

»Du bist es, mein Sohn Galal!« sagte sie mit leiser, rauher Stimme und barg ihr Gesicht in seinen Händen.

»Ja, Mutter, ich bin es, Galal«, antwortete er und beugte seinen Kopf. Sie strich ihm mit ihren großen, groben Händen über das Haar und den Nacken, die Schultern, die Arme, über Beine und Füße. Sie wollte sich vergewissern, daß er unversehrt war, daß kein Körperteil fehlte.

»Ist alles in Ordnung, mein Sohn?« fragte sie leise.

»Ja, Mutter«, antwortete er. »Es ist alles in Ordnung. Und du, Mutter, geht es dir gut?«

»Ja, mein Sohn, mir geht es gut.»

»Aber du hast dich verändert, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe«, sagte er und sah sie besorgt an.

»Das ist vier Jahre her, mein Sohn, daran ist die Zeit schuld. Auch du hast dich verändert.»

»Es ist nichts. Ich bin nur müde vom langen Weg, den ich gegangen bin. Er war sehr lang. Ich muß mich ausruhen.»

Er legte sich in der Hütte auf die staubige Erde. Sie wusch seine Füße mit warmen Wasser und Salz und wickelte sie in ihr Kopftuch. Seine Augen waren weit geöffnet, er starrte an die Lehmdecke. Sie setzte sich neben ihn und preßte die Lippen fest aufeinander. Einmal öffnete sie sie leicht, als wollte sie ihm erzählen, was geschehen war, aber sie schloß sie wieder und schwieg. Nach einer Weile hörte sie ihn fragen: »Wie geht es meinem Onkel Kafrawi?«

Sie schwieg einen Augenblick, dann antwortete sie: »Es geht ihm gut.»

»Und Nefissa? Und Zeinab?«

Sie zögerte einen Moment, dann sagte sie mit kaum hörbarer Stimme: »Es geht ihnen gut. Möchtest du etwas essen? Du hast sicher seit Tagen nichts mehr gegessen!«

Sie stand auf und holte den Korb Brot, den getrockneten Käse und die Salzgurken. Dann ging sie zur Tür und sagte: »Ich gehe etwas Sesamgebäck bei Haj Ismail kaufen.»

Er spürte, daß sie ihm etwas verheimlichte und sah sie mit wachsender Beunruhigung an. »Ich will nichts essen. Setz dich zu mir und erzähle, was geschehen ist. Du verheimlichst mir etwas. Du hast dich verändert, seit ich fortgegangen bin.»

Sie wich seinem Blick aus und starrte in die Dunkelheit. Sie schwieg eine Zeitlang, dann sagte sie im Flüsterton:

»Nefissa ist fortgegangen.»

Es folgte ein weiteres, langes Schweigen, das schwer und bedrückend war wie die Dunkelheit, die das Dorf einhüllte. Dann sagte sie mit leiser Stimme: »Und Kafrawi ist im Gefängnis.»

Jetzt preßte sie die Lippen so fest aufeinander, als wollte sie sie nie wieder öffnen. Es dauerte lange, bis sie seine Stimme aus der Verborgenheit der Nacht aufsteigen hörte: »Und Zeinab?«

Seine Stimme bebte, als er ihren Namen aussprach. Er hatte gezögert, die Frage zu stellen, weil er die Antwort fürchtete, weil er die Wahrheit wissen wollte und Angst vor ihr hatte. Als er Zakeyas Gesicht gesehen hatte, überkam ihn ein eigentümliches Gefühl, als sei während seiner Abwesenheit etwas Schreckliches geschehen. Kafrawi war sein Onkel, Nefissa seine Cousine, aber Zeinab hatte ihm immer mehr bedeutet.

Wenn er hörte, wie sie ihre Tante Zakeya rief, zitterte er innerlich. Wenn sich ihre Augen begegneten, wurden ihm die Knie weich, als wären seine Muskeln plötzlich erlahmt und bräuchten Ruhe. Er sehnte sich danach, seinen Kopf an ihre Brust zu legen und die Augen zu schließen. Sobald er ihre nackten Beine sah, wenn sie neben seiner Mutter vor dem Ofen saß, überwältigte ihn das Verlangen, sie den prüfenden Blicken zu entziehen und sie fortzutragen an einen Ort, wo er die Tür hinter ihnen schließen und sie in seine Arme nehmen konnte.

Seine Mutter ahnte, was in ihm vorging, sie hörte, wie seine Stimme zitterte, wenn er Zeinab rief, sie sah, wie seine Augen nach dem Mädchen suchten, wenn sie auf dem Feld war. Sie spürte, wie er sich vor Sehnsucht verzehrte, wenn ihre Stimme von draußen zu ihm drang, und sie sah, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, wenn sich das Mädchen neben sie setzte.

Eines Nachts, als er neben ihr auf der Matte lag, hörte sie ihn heimlich seufzen. Sie flüsterte ins Dunkeclass="underline" »Was ist los, Galal?«

»Ich sehne mich nach meiner Cousine Zeinab«, antwortete er, ohne die Augen zu öffnen.

»Wir werden dich mit ihr verheiraten, mein Sohn, wenn du von der Armee zurückkommst«, sagte sie und tätschelte ihm wie einem Kind den Kopf.

Jetzt aber blieb Zakeya stumm. Er hob den Kopf und schaute sie im Dunkeln an, und obwohl er ihr Gesicht nicht sah, ahnte er, daß ihre Augen auf das Eisentor gerichtet waren, das auf der anderen Straßenseite in der Dunkelheit aufragte.

Er wiederholte seine Frage und versuchte diesmal, das Zittern in seiner Stimme zu verbergen. »Und Zeinab? Was hat sie getan, nachdem ihr Vater und ihre Schwester nicht mehr im Haus waren?«

»Sie hat angefangen, im Haus des Bürgermeisters zu arbeiten.»

Er konnte das Zittern in seiner Stimme nicht unterdrücken. »Und worin besteht ihre Arbeit?«