Haj Ismail konnte die Gedanken des Scheichs nicht lesen, aber ein Blick auf sein Gesicht genügte ihm, um zu wissen, welche Richtung sie einschlugen. Beide hüllten sich in langes Schweigen. Nur das Gurgeln der Wasserpfeife und das Schneuzen und Räuspern von Haj Ismail waren hin und wieder zu hören. Inzwischen hatte die finstere Nacht Kafr El Teen in ihren schweren Mantel gehüllt, und über dem Wasserspiegel des Flusses rührte sich kein Lüftchen. Über die dunklen Lehmhütten und die gewundenen Straßen senkte sich eine Stille, lautlos und tief wie die Stille des Todes, wie das Ende aller Bewegung.
XVIII
Zakeya saß wie immer auf der staubigen Schwelle ihrer Hütte. Ihre schwarzen Augen beobachteten die Straße und das Eisentor mit seinen Eisenstäben, als plötzlich laute Stimmen an ihr Ohr drangen und sie eine Gruppe von Männern hinter dem Polizeichef auf sich zukommen sah, dessen Stimme durch den kleinen Hof dröhnte: »Durchsucht das Haus!«
Bevor sie fragen konnte, was sie wollten, bevor sie begriff, was geschah, begannen die Männer, die kleine Lehmhütte zu durchsuchen. Sie schauten auf dem Ofen und auf dem Dach nach, in jeder Ritze und in jedem noch so kleinen Winkel.
Wie betäubt stand sie da und sah ihnen zu. Dann kam ein Mann mit einem Bündel in der Hand zurück. Er ging zum Polizeichef und sagte: »Wir haben es gefunden, Scheich Zahran. Er hatte es über dem Ofen versteckt.»
Der Polizeichef rief aus vollem Hals: »Der Dieb! Verhaftet ihn sofort! Wo ist dein Sohn, Zakeya?«
»Er ist auf dem Feld«, sagte sie verängstigt. »Was wollt ihr von ihm? Was hat er getan?«
»Dein Sohn ist ein schlimmer Dieb, Zakeya. Er hat dies aus dem Haus des Bürgermeisters gestohlen«, antwortete Scheich Zahran und hielt das Bündel hoch. »Sieh her«, fügte er hinzu und öffnete es. »Es ist voller Silbermünzen.»
Sie war verwirrt und dann entsetzt, als sie die vielen hundert Silbermünzen im Licht der Kerosinlampe aufblitzen sah. Aber empört rief sie: »Mein Sohn stiehlt nicht, Scheich Zahran, und das Haus des Bürgermeisters hat er nie betreten.»
Scheich Zahrans Mund verzog sich zu einem Grinsen, dann lachte er höhnisch auf: »Entweder du kennst deinen Sohn schlecht oder du tust, als wüßtest du nicht, was er getan hat. Bist du sicher, daß er dir nichts von diesem Bündel gesagt hat?«
»Nein, Scheich Zahran, ich weiß nichts«, antwortete sie schnell. »Und es war sicher nicht mein Sohn Galal, der diese Münzen gestohlen hat.»
Der Polizeichef brach wieder in ein anhaltendes Hohngelächter aus, dann fragte er: »Dann sag mir doch bitte, Zakeya, wer sie gestohlen und auf deinem Ofen versteckt hat? Ein Geist?«
Sie schlug sich mit den Händen mehrmals ins Gesicht und rief: »Das kann nicht sein! Niemals! Mein Sohn Galal ist kein Dieb! Du wirst ihn uns nicht wegnehmen, wie du uns Kafrawi weggenommen hast.»
Aber sie nahmen ihn mit. Galal verstand nicht, was mit ihm geschah. Sie brachten ihn vom Feld direkt ins Polizeibüro, er hatte nicht einmal eine saubere galabeya anziehen können. Von diesem Moment an wurde er ständig von einem Raum in den anderen gebracht und ununterbrochen ausgefragt. Er schien wie im Traum umherzugehen, und es war ihm anzusehen, daß er keine Ahnung hatte, was um ihn herum vorging. Er schien einen Alptraum zu erleben, wußte keine Antwort auf ihre Fragen und wiederholte ständig: »Ich weiß nichts. Ich weiß nicht, warum ich hier bin. Ich weiß nichts von diesem Bündel. Ich habe das Haus des Bürgermeisters nie betreten.»
Aber dann ließen sie die Zeugen kommen, darunter den Polizeichef persönlich. Ein Zeuge erklärte, er hätte ihn aus der Hintertür des Hauses, das dem Bürgermeister gehörte, kommen sehen. Ein zweiter Zeuge war sicher, er hätte etwas in den Händen gehabt, das wie ein Bündel aussah. Ein dritter behauptete, er hätte ihn zum selben Zeitpunkt gesehen und laut gerufen, aber er hätte nicht geantwortet und wäre statt dessen weitergerannt und in einem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite verschwunden. Der Polizeichef sagte als letzter Zeuge aus. Er erklärte, er hätte Galal als Soldaten, der seine patriotische Pflicht erfüllte und das Land seiner Vorfahren verteidigte, immer hochgeschätzt. Auch hätte er immer den Eindruck gehabt, daß man sich auf ihn verlassen und ihm trauen könnte. Aufgrund der Anzeige, die bei ihm erstattet worden war, sei er jedoch gezwungen gewesen, das Haus zu durchsuchen, in dem Galal wohnte. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu, Galal hätte zum ersten Mal gestohlen. Er selbst könne nicht verstehen, was ihn dazu getrieben hätte, außer der Tatsache, daß er große Steuerrückstände bei der Regierung hatte und gezwungen war, wenigstens einen Teil der Schulden zurückzuzahlen, weil die Regierungsbehörden sonst die für einen solchen Fall vorgesehene Maßnahme ergreifen würden.
Natürlich wußte der Polizeichef genau, was man der Polizei erzählen mußte, denn er kannte ihre Sprache, und auch sie hatten verstanden, was er sagen wollte.
Sobald er geendet hatte, wandte sich der Untersuchungsrichter an Galal und fragte ihn: »Hast du etwas dazu zu sagen?«
»Ich weiß nichts von diesem Bündel«, antwortete Galal zum hundertsten Mal. Schweiß rann ihm über die Stirn, und er blickte wie gelähmt um sich. »Ich habe das Haus des Bürgermeisters nie betreten«, fügte er hinzu.
Aber sie steckten ihn ins Gefängnis. Er fand sich in einer engen, überfüllten Zelle wieder, in der er kaum atmen und sich nicht bewegen konnte. Als sich seine Augen an die Lichtlosigkeit gewöhnt hatten, begann er sich umzusehen. Er sah bleiche Gesichter mit sonnenverbrannter, ledriger Haut. Ihre großen schwarzen Augen hatten den Ausdruck von Menschen, die sich in ihr Schicksal gefügt und den Kampf seit langem aufgegeben haben. Eine Sekunde lang glaubte er, das Gesicht seines Onkels Kafrawi entdeckt zu haben. Er flüsterte: »Onkel Kafrawi?«
Und eine Stimme antwortete im Dunkeln: »Wer ist Kafrawi, mein Sohn?«
XIX
Als sie kamen, um Galal abzuholen, hielt Zeinab ihn fest und rief: »Nehmt mir meinen Mann nicht weg. Nehmt mich mit!« Aber die groben Hände der Männer stießen sie zur Seite, und Galal wurde in einem Kastenwagen davongefahren.
Zwei Tage lang sagte sie kein Wort. Sie ging weder zum Feld, noch zog sie den Büffel hinter sich her. Sie ging nicht einmal mehr zum Fluß, um den Krug mit Wasser zu füllen. Sie kochte nicht und backte kein Brot mehr. Sie saß neben ihrer Tante Zakeya am staubigen Eingang ihrer Hütte und blickte stumm in die Richtung, in der das Fahrzeug mit Galal davongefahren war.
Am dritten Tag stand sie auf, ging in den Stall, holte den Büffel heraus und ging mit ihm davon. Sie kam ohne den Büffel zurück, und in ihrem Mieder steckte ein kleines Taschentuch, das sie um ein paar Münzen geknotet hatte. Ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich neben ihre Tante Zakeya.
Am vierten Tag stand sie im Morgengrauen auf und ging allein aus dem Haus. Sie lief bis zum Bushalteplatz. Sie nahm den Bus nach Bab El Hadeed, wo sie einen Passanten nach dem Weg zum Gefängnis fragte. Sie erkundigte sich bei mehreren Menschen, bis sie zu einem Bahnhof kam. Sie fuhr mit dem Zug, stieg wieder aus und ging zu Fuß weiter, bis sie vor dem hohen Gefängnistor stand. Der Mann am Eingang sagte ihr, daß für einen Besuch eine schriftliche Genehmigung notwendig sei.
Sie fragte: »Wo bekomme ich eine Genehmigung, um meinen Mann im Gefängnis zu besuchen?«
Der Mann erklärte es ihr, und sie ging denselben Weg wieder zurück, nahm einen Zug und fand nach Bab El Hadeed zurück. Dort stieg sie in eine Straßenbahn, die sie vor einem hohen Gebäude absetzte, das mit Menschen, Tischen und Papieren gefüllt war. Kaum hatte sie das Gebäude betreten, wurde sie zusammen mit anderen Menschen verschluckt. Sie ging von einem Zimmer zum anderen, bis das Gebäude geschlossen wurde. Und das mehrere Tage lang. Sie hatte das Gefühl, sich endlos im Kreis zu drehen, es war wie eine Reise ohne Ziel. Nach einiger Zeit war ihr Geld aufgebraucht. Auf dem Weg nach draußen begegnete ihr ein freundlicher Mann. Er gehörte zu den Männern, die notleidenden Frauen halfen, in der Sayeda Zeinab-Moschee zu übernachten. Aber statt in die Moschee nahm er sie mit in sein Zimmer, wo sie die Nacht mit ihm verbrachte.