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Der Bürgermeister sah den Scheich der Moschee mürrisch an. Warum hatte dieser Mann das Gespräch von Zeinabs rosigen Fersen abgelenkt und ein so ernstes Thema wie Religion und Glauben zur Sprache gebracht? Er lächelte Haj Ismail zu: »Sag du mir in deiner Eigenschaft als Heilkundiger unseres Dorfes, wie es möglich ist, daß ein dunkelhäutiger Teufel wie Kafrawi Töchter gezeugt hat, die weiß wie Sahne sind?«

Wieder mischte sich Scheich Hamzawi ein, denn er wollte die Erinnerung an den mißbilligenden Blick des Bürgermeisters verjagen, der ihm immer noch zu schaffen machte. Er psalmodierte: »Und Allah erschafft aus den Lenden eines gottesfürchtigen Mannes eine korrupte Nachkommenschaft.«

»Du mußt mir deine Gedanken nicht verraten, Haj Ismail«, sagte der Bürgermeister, der Scheich Hamzawis Einwurf überhörte.

Der Dorfbarbier konnte nicht vergessen, daß der Bürgermeister ihn einen »Heilkundigen« genannt hatte. Es war, als ob man ihm den Doktortitel in Medizin verliehen hätte und ihn mit den Ärzten der Gegend auf eine Stufe stellte. Er richtete sich auf und sah mit halbgeschlossenen Augen vor sich hin. Er setzte die Miene eines Wissenschaftlers auf, der die Geheimnisse des Lebens ergründet hat und über großes Wissen verfügt.

»Bei Allah, Hoheit, und Allah allein weiß es, es muß Nefissas Mutter nach Sahne verlangt haben, als sie mit dem Mädchen schwanger ging. Oder vielleicht war sie von einem weißen Teufel besessen!«

Ein unbändiges Lachen ergriff den Bürgermeister. Er warf den Kopf in den Nacken und machte seinem Vergnügen Luft, dann wandte er sich an den Polizeichef, als suche er jemand, der ihm zu Hilfe käme. Dieser erhob sich wieder und rief genauso theatralisch wie zuvor in die Nacht hinein:

»Bursche, bring sofort die Handschellen und Ketten her. Fang den Teufel, Bursche, und leg ihm das Eisen an.« Dann spuckte er in den Halsausschnitt seiner galabeya und flüsterte: »Mögen unsere Worte dich nicht erzürnen, allmächtiger Gott.«

Alle lachten, und am lautesten lachte Scheich Hamzawi, der glaubte, sich besonders anstrengen zu müssen, um das Eis zwischen sich und dem Bürgermeister zu brechen. Er lehnte sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Es ist bekannt, daß die Frauen in Kafrawis Familie die Augen weit geöffnet haben und ziemlich frech sind, Hoheit.«

Der Bürgermeister lachte glucksend. »Sind nur ihre Augen weit geöffnet, Scheich Hamzawi?« fragte er halb im Ernst.

Wieder brachen sie in stürmisches Gelächter aus. Es wurde langsam über das unbewegliche Wasser des Flusses fortgetragen, und diesmal klang es sorglos, als hätten die Männer endlich ihre Verbitterung und Melancholie abgeschüttelt. Sogar der Bürgermeister fühlte sich besser. Er hatte die Bitterkeit verscheucht, die ihn überfallen hatte, als er das Foto seines Bruders in der Zeitung entdeckte. Jetzt hatte er nicht länger das Bedürfnis, sich ablenken und unterhalten zu lassen. Er gähnte mit offenem Mund, wobei zwei Reihen langer, weißer Zähne zum Vorschein kamen, die aussahen wie die Fangzähne eines Fuchses oder eines Wolfs. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, sagte er: »Gehen wir!«

Er stand auf, und im Nu waren auch die drei anderen Männer auf den Beinen.

III

Sie legte Steine und Kiesel im Graben an der Böschung des Flußufers übereinander, bedeckte sie mit Sand und glättete die Oberfläche mit den Händen. Dann setzte sie sich hin, den Rücken an einen Maulbeerbaum gelehnt. Die Erde kühlte ihre heiße Haut. Aus dem Baum schien Feuchtigkeit in ihren schmerzenden Rücken zu fließen. Sie preßte ihre Stirn und ihre Wangen gegen den Stamm und leckte mit trockener Zunge den herausfließenden Saft ab.

Der feuchte Baumstamm weckte eine frühe Erinnerung in ihr, ein vertrautes Gefühl. Es war, als flösse Milch aus einer warmen, nassen Brustwarze in ihren Mund. Ein Schweißtropfen fiel von ihrer Stirn auf die Nase. Sie wischte ihn mit dem Ärmel ab, dann rieb sie sich die Augen, aber sie waren trocken. »Möge Allah sich deiner erbarmen, Mutter.«

Sie sah zum Himmel hoch, und das Morgenlicht fiel in ihre großen schwarzen Augen. Sie hielt nie den Blick gesenkt, und auch beim Gehen sah sie nie zu Boden. Wie ihre Tante Zakeya hatte sie einen stolzen, zornigen Blick, aber es stand keine Herausforderung in ihm, Angst schien ihn zu trüben, und sie wirkte verloren. Ihr Blick wanderte über den unendlichen Himmel, tauchte in seine Tiefe. In weiter Ferne sah sie den Horizont, eine dunkle Linie, wo Himmel und Erde sich trafen. Hinter ihrem Rücken stieg langsam die rote Sonnenscheibe höher und verströmte ihr Licht über die Welt. Ein Schauer überlief ihren Körper. War es die noch nachwirkende Kälte der Nacht oder die Angst vor dem Kommenden? Sie wußte es nicht. Sie bedeckte ihr Gesicht mit dem Kopftuch, um es vor dem Licht zu schützen. Der Fluß vor ihren Augen lag da wie immer, und seine Ufer erstreckten sich endlos weit. Sie sah zurück, und was sie sah, unterschied sich nicht von dem, was vor ihr lag. Irgendwo in dieser endlosen Weite war ihr Dorf. Und als wäre sie zurückgekehrt oder als hätte sie es nie verlassen, erinnerte sie sich an ihre Lehmhütte gleich neben der ihrer Tante Zakeya, an das hohe Tor mit den Eisenstäben auf der anderen Straßenseite, hinter dem sich das große Haus vor neugierigen und kritischen Blicken versteckte.

Als sie klein war, kroch sie auf allen vieren über die staubige Straße, und wenn sie den Kopf hob, sah sie die Eisenstäbe wie lange schwarze Beine langsam auf sich zukommen, sie schienen sie mit ihrem Gewicht erdrücken zu wollen. Erschrocken schrie sie auf, und sofort griffen zwei kräftige Arme nach ihr und hoben sie hoch. Sie vergrub ihr Gesicht in dem schwarzen Gewand, das sich vertraut und rauh anfühlte und nach Teig und Hefe roch. Wenn sie sich an die Brust schmiegte, steckte ihr die Mutter eine reife Maulbeere, süß und weich, in den Mund. Und mit der Frucht, die ihren Mund mit dem Geschmack füllte, den sie so sehr mochte, schluckte sie die Tränen.

Der Anblick der Eisenstäbe hatte ihr seit jeher Angst eingejagt. Die Erwachsenen redeten oft von dem Tor mit den Eisenstäben, aber sie näherten sich ihm nie, und wenn sie an ihm vorbeigehen mußten, wechselten sie heimlich auf die andere Straßenseite und senkten die Stimmen. Der Ausdruck in ihren Augen, Stolz, Zorn oder auch Grausamkeit, verwandelte sich umgehend in demütige Ergebenheit, als würden sie sich plötzlich in ihr Schicksal fügen. Sie senkten die Köpfe und blickten zu Boden, und in ihren Augen war keine Spur von Zorn oder Rebellion mehr zu sehen.

Als sie laufen konnte, durfte sie zum Feld gehen. Entweder trieb sie den Esel an oder sie zog den Büffel an einem langen Strick hinter sich her, und er folgte ihr überall hin. Jeden Tag ging sie mit einem Tonkrug auf dem Kopf am Nil entlang bis zur Biegung des Flusses, wo die Mädchen die Krüge mit Wasser füllten. Sie vermied es, am Eisentor vorbeizugehen und machte einen Umweg um das halbe Dorf, um zum Wasserplatz zu gehen. Inzwischen wußte sie, daß hinter dem Eisentor ein großer Hof lag und dahinter das große Haus des Bürgermeisters in einem Garten mit Bäumen und Blumen. Aber in ihrer Vorstellung verbarg sich ein riesiges Ungeheuer hinter dem Tor, ein gräßlicher Teufel mit zwanzig Beinen, der sie zu Tode trampeln würde, falls sie einmal nicht achtgab.

Als sie älter war, nahm sie den direkten Weg zum Fluß, obwohl er an dem Eisentor vorbeiführte. Sie war alt genug, um zu wissen, daß sich keine Teufel dahinter versteckten und daß der Bürgermeister mit seiner Frau und seinen Kindern in dem großen Haus wohnte. Doch wenn vom Bürgermeister die Rede war, fuhr ihr immer ein Schauer über den Rücken. Die Jahre gingen vorbei, aber der Schauer blieb, auch wenn sie ihn in ihrem Innern kaum mehr wahrnahm.

Eines Tages befahl ihr der Vater, am nächsten Morgen nach dem Frühstück zum Haus des Bürgermeisters zu gehen. In der Nacht machte sie kein Auge zu. Sie war damals erst zwölf Jahre alt, und sie verbrachte die dunklen Nachtstunden damit, sich die Zimmer im Haus des Bürgermeisters auszumalen. Ein Badezimmer aus weißem Marmor, von dem ihr die Nachbarskinder erzählt hatten, tauchte vor ihren Augen auf. Sie hatten auch erzählt, daß der Bürgermeister jeden Abend in Milch badete. Und sie stellte sich vor, daß seine Frau eine weiche, weiße Haut hatte und mit nackten Beinen durch das Haus ging. Der Sohn sollte ein eigenes Zimmer voller Gewehre, Panzer und Flugzeuge besitzen, die wirklich fliegen konnten. Auch der Bürgermeister erschien immer wieder vor ihren Augen, so wie sie ihn einmal gesehen hatte, als er in seinem weiten schwarzen Umhang zwischen den Männern aus dem Dorf die Straße entlangging. Wenn sie ihm danach begegnete, war sie immer ins Haus gelaufen.