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Sie fuhr mit der Hand unter den Schleier und wischte sich den Schweiß vom Gesicht, aber er floß unaufhörlich von den Haarwurzeln über ihren Nacken, ihre Brust und ihren Rücken. Die rauhe Decke, auf der sie saß, wurde immer feuchter. Mit jedem Schritt, mit jedem Trommelschlag hob und senkte sich der Rücken des Esels und rieb gegen ihre Wunde, und das tat so weh, daß sie jedesmal den Mund zu einem stummen Schrei öffnete.

Die warmen Blutstropfen vermischten sich mit dem Schweiß, der über ihren Körper rann, und die rauhe Decke zwischen ihren Beinen war vollkommen durchnäßt.

Als sie vor dem Haus des frommen und gottesfürchtigen Mannes ankamen, der jetzt ihr Ehemann war, wurde sie vom Esel gehoben, aber ihre Beine versagten, sie fiel den Umstehenden in die Arme und wurde wie ein Sack ins Haus getragen.

Als sie die feuchte, abgestandene Luft roch, wußte sie, daß sie jetzt nicht mehr im Freien, sondern im Haus war. Und weil sie überzeugt war, daß Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit einen angenehmen Geruch hatten, machte sie ihre Nase dafür verantwortlich, daß es so stank wie in einer Latrine. Sie wußte nicht, was mit ihr nicht stimmte, aber seit ihrer Kindheit hatte sie das Gefühl, daß sie etwas Unreines an sich hatte, daß ihr Körper irgendwie unsauber und schlecht war. Eines Tages war Om Saber ins Haus gekommen, und man sagte ihr, die alte Frau würde das Schlechte, Unsaubere aus ihr herausschneiden. Das hatte ein überwältigendes Glücksgefühl in ihr ausgelöst. Damals war sie erst sechs Jahre alt gewesen.

Om Saber tat, was von ihr erwartet wurde, und ließ sie mit einer kleinen Wunde zwischen den Beinen zurück, die tagelang blutete. Doch obwohl sie bald verheilte, war an ihrem Körper etwas Unreines geblieben. Sobald sie ihre Tage hatte, sahen die Menschen sie mit anderen Augen an, als wäre etwas Verdorbenes oder Schlechtes an ihr.

Später, als sie mit Scheich Hamzawi verheiratet war, mied auch er sie, wenn sie ihre Tage hatte, und behandelte sie wie eine Aussätzige. Wenn er aus Versehen ihre Schulter oder ihren Arm berührt hatte, flehte er Allah an, er möge ihn vor dem Teufel schützen. Dann ging er zur Toilette, wusch sich fünfmal hintereinander und wiederholte seine rituellen Waschungen, falls er sie bereits verrichtet hatte. Auch durfte sie dann weder den Koran lesen noch zuhören, wenn er aus ihm vorlas. Wenn ihre Periode vorbei war und sie ein Bad genommen und sich gründlich gewaschen hatte, durfte sie wieder beten und Verse aus dem Koran rezitieren.

Jeden Abend, bevor sie zu Bett ging, verlangte Scheich Hamzawi, daß sie sich ihm gegenüber auf den Teppich setzte, und unterrichtete sie im Gebet. Sie verstand oft nicht, was er sagte, denn er rezitierte schwierige Wörter, und sie bat ihn immer wieder, ihr den Sinn zu erklären. Er antwortete immer grob und entmutigend, Allahs Sprüche und das Ritualgebet müßten auswendig gelernt und nicht mit dem Kopf verstanden werden. Also bemühte sich Fatheya, sie auswendig zu lernen, und Scheich Hamzawis Anweisungen gingen ihr nicht aus dem Kopf:

»Das Gebet ist bis in die kleinsten Körperbewegungen festgelegt: Knien, Beugung des Oberkörpers, Wiederaufrichtung, Niederwerfung, in hockender Stellung das Glaubensbekenntnis rezitieren. Darüber hinaus müssen andere Bedingungen erfüllt sein. Der Körper des Mannes muß von der Taille bis zu den Waden bedeckt sein. Der Körper der Frau muß bis auf Gesicht und Hände vollkommen verhüllt sein. Zu Beginn des Gebets mußt du aufrecht stehen und den Blick geradeaus richten. Die Männer müssen die Hände vor dem Gesicht zusammenlegen, während sie Allah den Allmächtigen preisen. Die Frauen müssen ihre Hände in Schulterhöhe halten. Dann legen die Männer die rechte auf die linke Hand und beide auf den Bauch. Die Frauen legen ihre Hände auf die Brust. Beim Knien wiederhole dreimaclass="underline" ›Ich preise dich, allmächtiger Gott.‹ Beim Niederwerfen wiederhole dreimaclass="underline" ›Ich preise dich, du höchster Gott.‹ Dein Gebet ist ungültig, wenn du Sätze sagst, die nicht zum Gebet gehören, wenn du lachst oder dich nach den Waschungen auf irgendeine Weise verunreinigst, besonders wenn du einen Wind fahren läßt.«

So saß Fatheya Abend für Abend auf dem Gebetsteppich und wiederholte dasselbe Ritual. Sie rezitierte die heiligen Verse aus dem Koran. Oft wurden ihre Augenlider schwer, und sie schlief im Knien ein. Allahs Worte hallten in ihren Ohren wider, und Scheich Hamzawis Hand schob sich zwischen ihre Schenkel. Sie überließ sich dem Schlaf, wie sie sich ihrem Mann überließ, sie breitete die Beine aus und fiel während des Gebets zu Gott in eine tiefe Ohnmacht.

Fatheya lauschte an der Wand und verfolgte das Tappen des Stocks von Scheich Hamzawi, als dieser auf die Straße trat. Sie hörte sofort, wenn sein Fuß gegen etwas stieß. Er sah schlecht, und sein Stock oder sein Fuß schienen immer mit irgend etwas zusammenzustoßen oder über etwas zu stolpern, über ein totes Kaninchen, eine tote Katze oder einen Stein, die er mit seinem Stock aus dem Weg räumte. Manchmal verfing sich sein Fuß in seinem Kaftan, wenn er über die Schwelle seines Hauses trat, und dann stolperte er oder er rutschte auf Dung aus oder auf Kot, den ein Hund in der Nacht vor seiner Haustür gelassen hatte. Dann schwang er wütend die Gebetskette in seiner Hand und verfluchte Hunde und Menschen gleichermaßen.

Doch es war weder ein totes Kaninchen noch eine tote Katze, gegen die sein Fuß jetzt stieß. Es war etwas Lebendiges, und viel größer. Der Gedanke, es könnte ein Geist oder ein Alp sein, erschreckte ihn. Doch da hörte er ein leises Stöhnen, und als er zum Boden schaute, erkannte er trotz seiner schlechten Augen ein rosiges Gesicht mit Tränen in den Augen und einem Mund, der zitternd Luft holte.

Einen Moment blieb er stocksteif stehen und wagte sich nicht zu rühren. War es möglich, daß Allah seine Gebete erhört hatte? Hatte Haj Ismails Amulett endlich seine magische Wirkung erzielt? Dieses Kind schien vom Nachthimmel direkt vor seine Tür gefallen zu sein, so wie Jesus der Jungfrau Maria in den Schoß gefallen war, während sie unter einem Baum ruhte.

Ein ersticktes Schluchzen kam über seine Lippen. Nichts ging über Allahs Macht, und er pries seinen Namen und rief den Himmel an. Das fahle Morgenlicht unterstrich sein langes, schmales Gesicht, das jetzt noch länger wirkte als sonst. Sein Blick war leicht verhangen, und über einem Auge leuchtete geheimnisvoll ein weißer Punkt. Seine Gebetskette, deren gelbe Perlen vom ständigen Reiben abgegriffen waren, denn sie hatte im Laufe seines langen, gottesfürchtigen Lebens nie stillgestanden, ruhte jetzt in seiner Hand, was sonst nur vorkam, wenn er schlief.

Genau in diesem Moment hatte der Polizeichef seine Nachtpatrouille beendet und kam auf seinem Nachhauseweg an Scheich Hamzawi vorbei, der reglos vor seiner Haustür stand. Er hatte ihn noch nie so dastehen sehen, und nie hatte sein Gesicht so verzerrt ausgesehen. Er schien zwei Gesichter zu haben. Das obere war das Gesicht von Scheich Hamzawi, das untere war weder ihm noch sonst jemandem ähnlich, dem er je in Kafr El Teen oder sonstwo begegnet war, wenn er auch nicht weit über Kafr El Teen hinausgekommen war. Dieses Gesicht gehörte weder einem Menschen noch einem Geist, aber vielleicht war es das Gesicht des Teufels oder eines Heiligen, vielleicht sogar das Gesicht Gottes, wenn er ihn auch nie gesehen hatte.

Plötzlich blieb er wie versteinert stehen und konnte den Blick von dieser seltsamen, geisterhaften Gestalt nicht abwenden. Er hatte eine solche Gestalt noch nie gesehen, denn sie hatte nichts mit einem Menschen, einem Heiligen oder irgendeiner anderen Kreatur Gottes gemein. Sie bückte sich und hob etwas vom Boden auf. Er reagierte instinktiv wie ein Polizist und verstärkte den Griff um den Knüppel in seiner Hand. Und er wollte ihn gerade hochschwingen und auf den gebeugten Kopf fallen lassen, als er ein rosiges Gesicht mit Tränen in den Augen sah und die Stimme von Scheich Hamzawi erkannte: »Wahrlich, ohne Gott sind wir unglücklich, denn ohne ihn sind wir hilflos.«