Admet.
Ich will's Euch gestehn, Euripides ist auch ein Poet, und ich habe mein Tage die Poeten für nichts mehr gehalten, als sie sind. Aber ein braver Mensch ist er und unser Landsmann. Es hätte Euch doch sollen bedenklich scheinen, ob der Mann, der geboren wurde, da Griechenland den Xerxes bemeisterte, der ein Freund des Sokrates war, dessen Stücke eine Wirkung auf sein Jahrhundert hatten wie Eure wohl schwerlich, ob der Mann nicht eher die Schatten von Alceste und Admet habe herbeibeschwören können als Ihr. Das verdiente einige ahndungsvolle Ehrfurcht. Der zwar Euer ganzes aberweises Jahrhundert von Literatoren nicht fähig ist.
Euripides.
Wenn Eure Stücke einmal so viel Menschen das Leben gerettet haben als meine, dann sollt Ihr auch reden.
Wieland.
Mein Publikum, Euripides, ist nicht das Eurige.
Euripides.
Das ist die Sache nicht. Von meinen Fehlern und Unvollkommenheiten ist die Rede, die Ihr vermieden habt.
Alceste.
Daß ich's Euch sage als ein Weib, die eh ein Wort reden darf, daß es nicht auffällt. Eure Alceste mag gut sein und Eure Weibchen und Männchen amüsiert, auch wohl gekitzelt haben, was ihr Rührung nennt. Ich bin drüber weggegangen, wie man von einer verstimmten Zither wegweicht. Des Euripides seine hab ich doch ganz ausgehört, mich manchmal drüber gefreut und auch drüber gelächelt.
Wieland.
Meine Fürstin!
Alceste.
Ihr solltet wissen, daß Fürsten hier nichts gelten. Ich wünschte, Ihr könntet fühlen, wie viel glücklicher Euripides in Ausführung unsrer Geschichte gewesen als Ihr. Ich bin für meinen Mann gestorben; wie und wo, das ist nicht die Frage. Die Frage ist von Eurer Alceste, von Euripides' Alceste.
Wieland.
Könnt Ihr mir absprechen, daß ich das Ganze delikater behandelt habe?
Alceste.
Was heißt das? Genug, Euripides hat gewußt, warum er eine Alceste aufs Theater bringt. Ihr nicht. So wenig Ihr die Größe des Opfers, das ich meinem Manne tat, darzustellen wußtet.
Wieland.
Wie meint Ihr das?
Euripides.
Laßt mich reden, Alceste. Sieh her, das sind meine Fehler. Ein junger, blühender König, ersterbend mitten im Genuß aller Glückseligkeit. Sein Haus, sein Volk in Verzweiflung, den Guten, Trefflichen zu verlieren, und über dem Jammer Apoll bewegt, den Parzen einen Wechseltod abdringend. Und nun — alles verstummt und Vater und Mutter und Freunde und Volk — alles — und er lechzend am Rande des Tods, umherschauend nach einem willigen Auge, und überall Schweigen — bis sie auftritt, die Einzige, ihre Schönheit und Kraft aufzuopfern dem Gatten, hinunterzusteigen zu den hoffnungslosen Toten.
Wieland.
Das hab ich alles auch.
Euripides.
Nicht gar! Eure Leute sind erstlich alle zusammen aus der großen Familie, der Ihr Würde der Menschheit, ein Ding, das Gott weiß woher abstrahiert ist, zum Erbe gegeben habt, ihr Dichter auf unsern Trümmern! Sie sehn einander ähnlich wie die Eier, und Ihr habt sie zum unbedeutenden Breie zusammengerührt. Da ist eine Frau, die für ihren Mann sterben will, ein Mann, der für seine Frau sterben will, ein Held, der für sie beide sterben will, daß nichts übrigbleibt als das langweilige Stück Parthenia, die man gerne wie den Widder aus 'm Busche bei den Hörnern kriegte, um dem Elend ein Ende zu machen.
Wieland.
Ihr seht das anders an als ich.
Alceste.
Das vermut ich. Nur sagt mir: Was war Alcestens Tat, wenn ihr Mann sie mehr liebte als sein Leben? Der Mensch, der sein ganzes Glück in seiner Gattin genösse, wie Euer Admet, würde durch ihre Tat in den doppelt bittern Tod gestürzt werden. Philemon und Baucis erbaten sich zusammen den Tod, und euer Klopstock, der doch immer unter euch ein Mensch ist, läßt seine Liebenden wetteifern — "Daphnis, ich sterbe zuletzt". Also mußte Admet gerne leben, sehr gerne leben, oder ich war — was? — eine Komödiantin — ein Kind — genug, macht aus mir was Euch gefällt.
Admet.
Und den Admet, der Euch so ekelhaft ist, weil er nicht sterben mag. Seid Ihr jemals gestorben? Oder seid Ihr jemals ganz glücklich gewesen? Ihr redt wie großmütige Hungerleider.
Wieland.
Nur Feige fürchten den Tod.
Admet.
Den Heldentod, ja! Aber den Hausvatertod fürchtet jeder, selbst der Held. So ist's
in der Natur. Glaubt Ihr denn, ich würde mein Leben geschont haben, meine Frau dem
Feinde zu entreißen, meine Besitztümer zu verteidigen? Und doch —
Wieland.
Ihr redet wie Leute einer andern Welt, eine Sprache, deren Worte ich vernehme, deren Sinn ich nicht fasse.
Admet.
Wir reden griechisch. Ist Euch das so unbegreiflich? Admet —
Euripides.
Ihr bedenkt nicht, daß er zu einer Sekte, gehört die allen Wassersüchtigen, Auszehrenden, an Hals und Bein tödlich Verwundeten einreden will, tot würden ihre Herzen voller, ihre Geister mächtiger, ihre Knochen markiger sein. Das glaubt er.
Admet.
Er tut nur so. Nein, Ihr seid noch Mensch genug, Euch zu Euripides' Admeten zu versetzen.
Alceste.
Merkt auf und fragt Eure Frau drüber.
Admet.
Ein junger, ganz glücklicher, wohlbehaglicher Fürst, der von seinem Vater Reich und Erbe und Herde und Güter empfangen hatte und drinne saß mit Genüglichkeit und genoß und ganz war und nichts bedurfte als Leute, die mit ihm genossen, und sie, wie natürlich, fand und des Hergebens nicht satt wurde und alle liebte, daß sie ihn lieben sollten, und sich Götter und Menschen so zu Freunden gemacht hatte und Apoll den Himmel an seinem Tische vergaß — der sollte nicht ewig zu leben wünschen! — Und der Mensch hatte auch eine Frau —
Alceste.
Ihr habt eine und begreift das nicht. Ich wollte das dem schwarzaugigen jungen Ding dort begreiflich machen. Schöne Kleine, willst du ein Wort hören?
Das Mädchen.
Was verlangt Ihr?
Alceste.
Du hattest einen Liebhaber.
Mädchen.
Ach ja!
Alceste.
Und liebtest ihn von Herzen, so daß du in mancher guten Stunde Beruf fühltest,für ihn zu sterben?
Mädchen.
Ach, und ich bin um ihn gestorben. Ein feindseliges Schicksal trennte uns, das ich nicht lang überlebte.
Alceste.
Da habt Ihr Eure Alceste, Wieland. Nun sage mir, liebe Kleine, du hattest Eltern, die sich zärtlich liebten?
Mädchen.
Gegen unsre Liebe war's kein Schatten. Aber sie ehrten einander von Herzen.
Alceste.
Glaubst du wohl, wenn deine Mutter in Todsgefahr gewesen wäre und dein Vater hätte für sie mit seinem Leben bezahlt, daß sie's mit Dank angenommen hätte?
Mädchen.
Ganz gewiß.
Alceste.
Und wechselsweise, Wieland, eben so, da habt Ihr Euripides' Alceste.
Admet.
Die Eurige wäre denn für Kinder, die andere für ehrliche Leute, die schon ein bis zwei Weiber begraben haben. Daß Ihr nun mit Eurem Auditorio sympathisiert, ist nötig und billig.
Wieland.
Laßt mich, ihr seid widersinnige rohe Leute, mit denen ich nichts gemein habe.
Euripides.
Erst höre mich noch ein paar Worte.
Wieland.
Mach's kurz.
Euripides.
Keine fünf Briefe, aber Stoff dazu. Das, worauf Ihr Euch so viel zugute tut, ein Theaterstück so zu lenken und zu runden, daß es sich sehen lassen darf, ist ein Talent, ja, aber ein sehr geringes.
Wieland.
Ihr kennt die Mühe nicht, die's kostet.
Euripides.
Du hast ja genug davon vorgeprahlt, das alles, wenn man's beim Licht besieht, nichts ist als eine Fähigkeit, nach Sitten und Theaterkonventionen und nach und nach aufgeflickten Statuten Natur und Wahrheit zu verschneiden und einzugleichen.
Wieland.
Ihr werdet mich das nicht überreden.
Euripides.
So genieße deines Ruhms unter den Deinigen und laß uns in Ruh.
Admet.
Begib dir zur Gelassenheit, Euripides! Die Stellen, an denen er deiner spottet, sind so viel Flecken, mit denen er sein eigen Gewand beschmitzt. Wär er klug und er könnte sie und die Noten zum Schakespear mit Blut abkaufen, er würde es tun. So stellt er sich dar und bekennt: Da hab ich nichts gefühlt.
Euripides.
Nichts gefühlt bei meinem Prolog, der ein Meisterstück ist. Ich darf wohl von meiner Arbeit so reden, tust du's ja. Du fühlst nichts, da du in den gastoffnen Hof Admetens trittst?