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»Erinnerst du dich noch an den Serienmörder? Der die Jungs in North Carolina umgebracht und in ein Massengrab geworfen hat?«

»Das warst du – du hast sie gefunden?«

»Ja. Es war furchtbar. Wir hatten viel Publicity, allerdings vorwiegend unangenehme.« Ich hatte festgestellt, dass Mund-zu-Mund-Propaganda besser war, um an gut bezahlte Aufträge zu kommen. Publicity führte zwar zu einem heftigen Aufflackern von Interesse, aber dieses Interesse kam meist von Leuten, die das Unerklärliche, Blutrünstige anzog. Nicht unbedingt Leute, die viel Geld dafür bezahlen, damit so etwas in ihrer direkten Nachbarschaft passiert.

»Die Schießerei ist also vielleicht eine Folge des Falls in North Carolina?«

»Jetzt, bei näherer Betrachtung, erscheint mir das wenig wahrscheinlich.« Tolliver musste sich dringend rasieren. Das würde ich erledigen müssen, genauso wie das Kämmen. Ich wusste nicht, womit ich ihm noch helfen konnte.

Er sah so hilflos aus. Er war so hilflos. Ich war die Einzige, die ihn beschützen konnte. Ich musste mich zusammenreißen.

»Die Morde in North Carolina haben wirklich viele Leute entsetzt«, sagte Victoria nachdenklich. Sie schien zu glauben, dass der Schuss auf Tolliver etwas mit dem einzigen Serienmord zu tun hatte, mit dem wir je konfrontiert waren.

»Aber die Bösen wurden gefasst. Warum sollte jemand auf uns schießen, wenn wir geholfen haben, die Täter dingfest zu machen?«

»Bist du sicher, dass nicht noch mehr Leute in den Fall verwickelt waren? Waren die beiden Männer die einzigen Mörder?«

»Ich bin mir ziemlich sicher, und die Polizei ist es auch. Glaub mir, in dem Fall wurde sehr gründlich ermittelt. Der Prozess steht noch aus, aber der Staatsanwalt ist sich ziemlich sicher, dass sie verurteilt werden.«

»Gut.« Victoria sah ein paar Sekunden auf Tolliver herab. »Dann verfolgt euch entweder ein Stalker oder es hat mit den Joyces zu tun.« Sie schwieg einen Moment. »Über deine Schwester gibt es schon eine ganze Weile nichts Neues. Ich nehme an, dass die Spur von Camerons Entführung längst viel zu sehr erkaltet ist, um noch etwas mit der jetzigen Situation zu tun zu haben.«

Ich nickte. »Das sehe ich genauso. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Joyces etwas damit zu tun haben. Wenn sie mir erlauben, mit dir zu reden, weihe ich dich gerne ein. So viel gibt es da allerdings auch wieder nicht zu erzählen.«

Victoria zog ihr Handy hervor und machte einen Anruf, obwohl das im Krankenhaus bestimmt nicht erlaubt war. Sie begann zu reden. Wenige Sekunden später reichte sie mir das Telefon.

»Hallo«, sagte ich.

»Hier ist Lizzie Joyce.«

»Hallo. Darf ich Victoria alles erzählen?«

»Das ist wirklich sehr integer von Ihnen. Sie haben meine Erlaubnis.« Klang sie amüsiert? Ich mag es nicht, wenn man sich über meine Korrektheit amüsiert. »Das mit Ihrem Manager tut mir leid«, fuhr Lizzie fort. »Es soll im selben Motel passiert sein, in dem wir Sie besucht haben. Meine Güte! Was ist denn da passiert? War es ein Amokläufer?«

Eine Erinnerung kam in mir hoch. »Einer der Cops sagte mir, ein paar Blocks weiter weg habe es ebenfalls eine Schießerei gegeben. Das könnte also sein, aber es fällt mir schwer, das zu glauben.«

»Nun, das tut mir aufrichtig leid. Wenn ich etwas für Sie tun kann, geben Sie mir bitte Bescheid.«

Ich fragte mich, wie aufrichtig dieses Angebot wirklich war. Eine verrückte Minute lang wollte ich schon sagen: »Dieser Krankenhausaufenthalt wird sehr teuer, weil wir so schlecht versichert sind. Können Sie die Rechnung übernehmen? Oh, und die für die Reha ebenfalls?« Aber ich dankte ihr nur und gab Victoria das Handy zurück.

Bisher war ich viel zu besorgt gewesen, um mir über die finanziellen Konsequenzen Gedanken zu machen. Ich verlor mich in Grübeleien, während Victoria Flores das Telefonat mit Lizzie Joyce beendete. Zum ersten Mal wurde mir die Tragweite der ganzen Sache klar. Ich begriff, dass Tollivers Verletzung das Ende unseres Traums, ein Haus zu kaufen, bedeutete. Zumindest in der näheren Zukunft.

Ich konnte also noch deprimierter werden als vorhin, was ich vor zehn Minuten noch für völlig unmöglich gehalten hätte.

Ich erzählte Victoria von unserem Besuch auf dem Pioneer Rest Cemetery. Sie stellte mir jede Menge Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Aber am Ende wirkte sie zufrieden, auch noch das Letzte aus mir herausgequetscht zu haben.

»Ich hoffe, ich kann den Joyces weiterhelfen«, sagte sie, inzwischen selbst etwas deprimiert. »Ich konnte es kaum fassen, dass sie sich an mich und nicht an eine große Detektei gewandt haben. Aber jetzt, wo ich die Details kenne, verstehe ich, warum sie jemanden wie mich wollten.«

»War das schwer, hierher zu ziehen?«, fragte ich.

»Ja, es gibt zwar viel mehr zu tun, aber auch viel mehr Konkurrenz«, sagte Victoria. »Doch es ist gut, dass ich näher bei meiner Mutter wohne, sie hilft mir mit meiner Tochter. Und die MariCarmen-Schule hier ist besser als die in Texarkana. Außerdem ist der Schulweg nicht so weit. Ich habe immer noch viele Geschäftskontakte und Freunde in Texarkana. Ich brauche nur zweieinhalb bis drei Stunden dorthin, je nach Wetter und Verkehr.«

»Wir werden Cameron niemals finden, was?«, sagte ich.

Victorias Mund öffnete sich, als ob sie mir etwas mitteilen wollte. Dann schloss sie ihn wieder. »Das würde ich nicht sagen. Man weiß nie, wann noch mal eine Spur auftaucht. Und das sage ich nicht nur, um dir was vorzumachen. Das weißt du selbst am besten.«

Ich nickte.

»Ich habe Cameron stets im Hinterkopf«, sagte Victoria. »Als ich vor all den Jahren zu eurem Wohnwagen kam und mit Tolliver sprach … Da war ich eine noch ganz unerfahrene Polizistin. Ich dachte, ich würde sie schnell finden und mir einen Namen machen. Aber dem war nicht so. Aber jetzt, wo ich mich selbstständig gemacht habe, suche ich immer noch nach ihr, und zwar wo ich gehe und stehe.«

Ich schloss die Augen. Dasselbe tat ich auch.

7

Nachdem Victoria gegangen war, setzte ich mich auf den Stuhl neben Tollivers Bett. Mein rechtes Bein war zittrig. Das ist das Bein, in das an jenem Nachmittag im Wohnwagen der Blitz fuhr, während es draußen gewitterte. Ich hatte mich für eine Verabredung zurechtgemacht, es war ein Samstag oder Freitag. Mir fiel auf, dass mir die genauen Umstände entfallen waren, was mich wirklich schockierte.

Ich wusste noch, wie ich in den Badezimmerspiegel gesehen hatte, während ich einen Lockenstab in der Hand hielt, der in die Steckdose neben dem Waschbecken eingesteckt war. Der Blitz kam durch das offene Badezimmerfenster. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich auf dem Rücken lag, halb in und halb außerhalb des kleinen Raums. Und dass mich Tolliver wiederbelebte. Dann lösten ihn die Sanitäter ab, und Matthew schrie sie im Hintergrund an. Mark versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen.

Meine Mom lag besinnungslos im Schlafzimmer. Wenn ich den Kopf nach links drehte, konnte ich sehen, wie sie quer über dem Bett lag. Eines der Babys schrie, wahrscheinlich Mariella. Cameron stand mit dem Rücken zur Wand im Flur. Sie war tränenüberströmt und völlig verstört. Es roch so komisch. Die Haare auf meinem rechten Arm waren nur noch kleine, harte Flocken. Nichts an mir schien noch zu funktionieren.

»Ihr Bruder hat Ihnen das Leben gerettet«, sagte der Sanitäter, der sich über mich gebeugt hatte. Seine Stimme schien von ganz weit her zu kommen, und es summte.

Ich versuchte, etwas zu sagen, aber meine Lippen gehorchten mir nicht. Ich schaffte es, unmerklich zu nicken.

»Jesus, ich danke dir«, stammelte Cameron unzusammenhängend, weil sie so aus der Fassung geraten war.

Die Szene im Wohnwagen kam mir realistischer vor als dieses Krankenhauszimmer in Dallas. Ich sah Cameron wieder genau vor mir: ihr langes, glattes blondes Haar, ihre braunen Augen, dieselben wie Dads. Wir waren uns nicht sehr ähnlich, das sah man sofort: Unsere Gesichtsform war anders, dasselbe galt für unsere Augen. Cameron hatte Sommersprossen auf der Nase, und sie war kleiner und gedrungener als ich. Cameron und ich hatten beide gute Noten, aber sie war beliebter. Sie tat viel dafür.