»Ich glaube, ich werde mich an die Detektei wenden, die die Firma meines Großvaters immer beauftragt«, sagte sie. »Dabei dachte ich, es wäre besser, eine unabhängige Frau zu beschäftigen. Jemanden, der sich nicht mit unseren Geschäften auskennt und nicht in unsere Familiengeschichte verwickelt ist. Doch vermutlich bin ich für ihren Tod verantwortlich. Wäre ich zu unserer üblichen Detektei gegangen, wäre sie noch am Leben.«
Dem konnte ich nicht widersprechen. »Wieso arbeiten Sie überhaupt mit einer Detektei zusammen?«, erkundigte ich mich stattdessen.
»Granddaddy begann damit, als er Chef einer riesigen Firma wurde. Mehr als nur ein Rancher. Er wusste gern, wen er einstellte, wenigstens bei den Schlüsselpositionen.« Lizzie schien sich zu wundern, dass ich überhaupt fragte.
»Warum hat er sie dann nicht beauftragt, Erkundigungen über Mariah Parish einzuholen?«
»Granddaddy hatte sie kennengelernt, als sie noch für die Peadens arbeitete. Und als er jemanden brauchte und sie zur Verfügung stand, schien das die ideale Lösung zu sein. Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, sie zu kennen, und wollte deshalb keinerlei Erkundigungen mehr über sie einholen. Schließlich stellte sie keine Schecks für uns aus oder so etwas.«
Er hätte ihr nicht sein Scheckbuch anvertraut. Aber er vertraute ihren Kochkünsten, ohne Angst zu haben, vergiftet zu werden. Und er vertraute ihren Putzkünsten, ohne Angst zu haben, bestohlen zu werden. Selbst misstrauische reiche Leute haben ihre Achillesferse. Nach allem, was wir aus den Unterlagen über Mariah wussten, war das wirklich eine Ironie des Schicksals.
Ich hatte nicht gewusst, dass Rich Joyce Mariah bereits begegnet war, bevor sie bei ihm einzog. Drexell hatte das bei dem Abendessen mit Victoria gar nicht erwähnt. Vielleicht hatte Rich das als gute Gelegenheit gesehen, eine heimliche Geliebte einzuschleusen. Vielleicht hatte ihm sein Freund, bei dem Mariah zuerst gearbeitet hatte, erzählt, dass er mit ihr im Bett gewesen sei. Stups, stups, zwinker, zwinker. Ich habe hier eine gute Frau für dich, die kochen, deine Tabletten zählen und dein Bett wärmen kann, Rich. Sie kann sofort bei dir einziehen.
»Und Sie haben nicht im Traum daran gedacht, Erkundigungen über sie einzuholen wie bei jedem anderen Angestellten auch?«
»Na ja«, sagte Lizzie mit wachsendem Unbehagen. »Sie war sich längst mit Granddaddy einig geworden, als wir davon erfuhren. Da er noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, konnten wir uns da nicht einmischen.«
Alle Joyce-Enkel hatten Angst vor dem Patriarchen gehabt. »Und im Nachhinein haben Sie auch keine Erkundigungen einholen lassen?«
»Na ja, dann hätte er davon erfahren. Damals hätte ich eine unabhängige Detektivin anheuern sollen. Aber um ehrlich zu sein, habe ich mir zu der Zeit nicht viele Gedanken darüber gemacht. Das Ganze ist so lange her, ich war noch jung und nicht so selbstbewusst. Außerdem glaubte ich natürlich, Granddaddy würde ewig leben.« Lizzie verstummte, wahrscheinlich weil sie merkte, dass sie zu viel von sich preisgab. »Na ja, ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid mir das mit Ihrer Freundin tut. Wie geht es eigentlich Ihrem Bruder? Die ganze Sache nimmt immer dramatischere Formen an.«
»Wünschten Sie, Sie hätten mich niemals engagiert?«
Schweigen. »Ehrlich gesagt, ja«, sagte sie. »So wie es aussieht, sind viele Menschen gestorben, und das vollkommen umsonst. Was hat sich schon geändert? Welche neuen Erkenntnisse habe ich gewonnen? Gar keine. Mein Großvater sah eine Klapperschlange und starb. Wir wissen nicht genau, ob noch jemand dabei war. Er ist und bleibt tot. Mariah ist ebenfalls tot. Nur dass sie in meiner Vorstellung jetzt nicht mehr in Frieden ruht, seit ich weiß, dass sie im Kindbett starb. Wo ist das Baby? Ist das Baby eine Tante oder ein Onkel von mir? Ich habe keine Ahnung. Vielleicht werde ich es niemals herausfinden.«
»Irgendjemand scheint dafür zu sorgen, dass Sie es niemals herausfinden werden«, sagte ich. »Auf Wiederhören, Lizzie.« Dann legte ich auf.
Manfred kam vorbei, und ich war froh, ihn zu sehen. Aber ich hatte keine große Lust zu reden. Er fragte mich nach dem Rucksack.
»Der gehört meiner Schwester«, sagte ich. »Sie hat ihn an dem Tag zurückgelassen, an dem sie verschwand.«
Ich drehte mich um, um auf Tollivers Rufe zu reagieren. Er war kurz aufgewacht und bat um eine Schmerztablette. Noch bevor er sie einnehmen konnte, schlief er wieder ein.
Als ich zurück ins Wohnzimmer kam, ließ Manfred den Rucksack los. Er sah traurig aus. »Tut mir leid, dass dir das passiert ist, Harper.«
»Danke für deine Anteilnahme, Manfred, aber es ist meiner Schwester passiert. Ich habe nur mit den Folgen zu kämpfen.«
»Wir sehen uns bald. Mach dir keine Sorgen, wenn ich mich für ein paar Tage nicht melde. Ich habe noch etwas zu erledigen.«
»Oh … na gut.« Ich wäre nie auf die Idee gekommen, mir um Manfred Sorgen zu machen. Bevor er ging, gab er mir noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange, und ich war froh, die Tür hinter ihm zumachen zu können. Ich setzte mich und dachte über meine Schwester nach.
18
Als Tolliver am nächsten Morgen aufwachte, ging es ihm deutlich besser. Er hatte zwölf Stunden durchgeschlafen, und kaum dass er wach wurde, ließ er mich spüren, wie energiegeladen er war. Wir mussten vorsichtig sein, aber wenn ich oben saß, konnten wir Sex haben. Und zwar völlig problemlos. Ehrlich gesagt, war es herrlich. Ich hatte schon Angst, er könnte explodieren, so sehr genoss er es. Danach lag er keuchend da, als hätte er den anstrengendsten Part gehabt. Ich ließ mich neben ihn plumpsen und lachte erschöpft.
»Jetzt bin ich wieder ganz ich selbst«, sagte er. »Irgendwie fühlt man sich weniger männlich, wenn man bettlägerig und außerstande ist, Sex zu haben. Man verwandelt sich wieder in ein kleines Kind.«
»Lass uns einfach ins Auto steigen und abhauen«, schlug ich vor. »Lass uns nach Hause fahren. Wir könnten einen Tag in St. Louis bleiben. Bis dahin überstehst du die Fahrt bestimmt.«
»Wie wär’s, wenn wir bleiben und die Mädchen noch ein paarmal besuchen? Wie wär’s, wenn wir herausfänden, ob es tatsächlich eine Verbindung zwischen meinem Vater, den Joyces und Cameron gibt?«
»Vielleicht hattest du doch recht. Vielleicht sollten wir die Mädchen Iona und Hank überlassen. Sie sind stabil, und zwar in jeglicher Hinsicht. Wir sind so oft unterwegs. Wir werden niemals eine Konstante in ihrem Leben sein. Und dein Dad? Der wird ohnehin zur Hölle fahren. Wenn wir die Sache nicht weiterverfolgen, wird es bloß ein bisschen länger dauern. Außerdem wären wir ihn los.«
Tolliver wirkte nachdenklich. »Komm her!«, sagte er, und ich legte meinen Kopf auf seine gesunde Schulter. Er zuckte nicht zusammen, also war es in Ordnung. Ich strich über seine Brust, dort, wo er keinen Verband trug. Ich dachte an den Moment, in dem mir klar geworden war, dass ich ihn liebte. An den Moment, in dem ich entdeckt hatte, dass er mich auch liebte, und fragte mich, wie ich es bloß vorher ausgehalten hatte. Wir hatten unglaubliches Glück, und ich wusste, dass ich Persönlichkeitsanteile besaß, die mir Angst machten. Persönlichkeitsanteile, die alles tun würden, um das, was wir miteinander hatten, nicht zu gefährden.
»Weißt du, was wir tun sollten?«, sagte er.
»Was denn?«
»Wir sollten einen Ausflug machen.«
»Oh. Wohin denn?«
»Nach Texarkana.«
Ich erstarrte. »Meinst du das ernst?«, fragte ich und sah ungläubig zu ihm auf.
»Ja. Es wird Zeit, dass wir noch einmal hinfahren, uns dort umsehen und anschließend loslassen.«
»Loslassen.«
»Ja. Wir müssen uns eingestehen, dass wir Cameron nicht finden werden.«
»Ich muss dir diesbezüglich noch etwas erzählen.«
»Hä?«, fragte er besorgt. Wenn mir schon nicht gefiel, was er gerade gesagt hatte, würde ihm das, was ich ihm nun sagen musste, erst recht nicht gefallen.