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Es war halb elf, als er den Shelby auf dem freien Parkplatz direkt vor The Edge abstellte. Auf Coldmoon wirkte das Gebäude wie ein ehemaliger Verarbeitungsbetrieb, der mit ein bisschen Neonleuchtreklame aufgehübscht worden war. Hinter einer Samtkordel, die zum Eingang führte, standen Leute im Partydress Schlange. Rechts und links der Tür, aus der das gedämpfte Dröhnen von Tanzmusik drang, standen zwei kräftige Kerle in Jeans und Lederwesten. Die Fahrt auf der Alligator Alley hatte Coldmoons Stimmung nicht gerade gehoben.

Ein Mitarbeiter des Parkservice näherte sich dem Fahrerfenster. »Schlüssel?«

»Wo finde ich Lance Corvin?«, fragte Coldmoon.

»Das ist der da«, sagte der Einparker und zeigte auf einen der Männer in Lederwesten.

»Ich möchte mit ihm reden.« Er griff nach seinem Handy, schob die Tür auf und stieg aus.

»Sir, Sie können Ihren Wagen nicht hier stehen –«

»Ich sagte: Sagen Sie ihm, dass ich mit ihm sprechen will.«

Aber Corvin hatte den kurzen Wortwechsel mitbekommen und kam auch schon herüber. Er stieß den Einparker beiseite – nicht allzu sanft. »Jaa?«

»Lance Corvin?«

»Was is’?«

»Agent Coldmoon vom FBI.« Coldmoon erwog, seinen Dienstausweis aus der Gesäßtasche zu ziehen, beschloss aber, das bleiben zu lassen. Er lehnte sich mit dem Rücken an den Wagen. »Ich hab ein paar Fragen bezüglich Felice Montera.«

Die Miene des Türstehers verhärtete sich. »Die Bullen haben mich schon alles danach gefragt.«

»Schön für Sie. Und jetzt frage ich Sie.«

»Ich hab vorgestern Abend hier gearbeitet. Mich müssen Tausende Leute gesehen haben.«

»Vielleicht. Aber der Klub schließt um drei. Ms Montera wurde erst nach vier getötet.«

»Corvin!«, rief der andere Türsteher und winkte ihn zu sich. »Sag dem Idioten, er soll seinen Wagen wegfahren, und komm wieder her!«

»Das ist eine Stunde, um ganz Florida zu durchqueren. Glauben Sie, ich hab Flügel, oder was?«, sagte Corvin.

»Vielleicht haben Sie in jener Nacht ja etwas früher Ihren Arbeitsplatz verlassen.«

Corvin verschränkte die muskelbepackten Arme vor der Brust. »Nun passen Sie mal auf. Ich hab die Schlampe nicht umgebracht. Okay? Frage beantwortet. Und jetzt fahren Sie Ihr Scheißauto weg.«

Die Ereignisse des Abends – die vom Tod der Tochter bestimmte Atmosphäre in der Wohnung der Monteras, die untröstliche Miene der Mutter des Opfers, die ermüdende Autofahrt durch eine spurenlose Landschaft, das alles kam zusammen. Der normalerweise phlegmatische Coldmoon trat einen Schritt auf Corvin zu, so nahe, dass seine Brust tatsächlich die verschränkten Arme des Türstehers berührte, beugte sich zu dessen Gesicht vor und sagte im Flüsterton: »Haben Sie gerade ›Scheißauto‹ gesagt? Zu meinem Shelby?«

Obwohl der Türsteher größer als Coldmoon war und sicher zwanzig Kilo mehr auf die Waage brachte, bewirkte irgendein Selbsterhaltungstrieb, dass er langsam die Arme herunternahm. Aber er trat keinen Schritt zurück. »Fluchen verstößt nicht gegen das Gesetz«, sagte er mit stockender Stimme.

Während er Corvin noch immer anstarrte, nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt, zückte Coldmoon sein Handy. »Solange wir uns überlegen, wie sich das Gesetz auf meine 850 PS starke Super Snake anwenden lässt, werde ich einen Haftrichter anrufen und einen Haftbefehl besorgen. Und dann fahren wir zurück nach Miami, wo wir beide die ganze Nacht gemeinsam in einem kleinen Raum mit sehr hellem Licht verbringen werden.«

»Ich, hm, warten Sie mal. Ich kann das beweisen.« Endlich trat Corvin einen Schritt zurück und griff in eine der Vordertaschen seiner Jeans. Er zog ein Blatt Papier hervor, faltete es auseinander und hielt es Coldmoon hin. »Das hier hab ich auf der Heimfahrt gekriegt, in der Nacht, als Felice umgebracht wurde.«

Coldmoon sah sich den Wisch genauer an. Es handelte sich um einen Strafzettel. Den hatte Corvin von der Polizei Cape Coral bekommen wegen überhöhter Geschwindigkeit, zur fraglichen Zeit zwei Nächte zuvor. Der genaue Zeitpunkt, an dem der Strafzettel ausgestellt wurde, war drei Uhr fünfzig.

Coldmoon betrachtete das Knöllchen noch etwas länger, machte mit dem Handy ein Foto davon, blickte Corvin wortlos ins Gesicht, löste die Finger und ließ den Strafzettel fallen, sodass er dem Türsteher auf die Schuhe fiel. Dann stieg er wieder in den Shelby, startete den Motor, fuhr vom Bordstein an und stellte sich mental auf die lange, dunkle, monotone Rückfahrt nach Miami ein.

9

In Wirklichkeit befand sich die Lodge in Katahdin gar nicht in der Nähe des gleichnamigen Berges. Vielmehr lag das Hotel viele Kilometer außerhalb des Baxter State Parks, an einem Ort, der wie der Rand eines endlosen Waldes aussah, nicht weit entfernt von der Interstate. Coldmoon konnte sich kaum eine Gegend vorstellen, die sich mehr von Miami Beach unterschied. In Maine war in diesem Winter viel Schnee gefallen, und obwohl es bereits Ende März war, lag noch immer alles unter Schnee begraben: Briefkästen, Holzschuppen, selbst Autos und Trailer waren kaum mehr als Umrisse unter den Schneehauben. Die einzigen Farbtupfer bildete der Streusand auf den geräumten Straßen, der dem Schnee eine fiese rötliche Farbe verlieh. Die spätmorgendliche Szenerie erinnerte Coldmoon an die langen Winter, die er während seiner Kindheit und Jugend in Porcupine, South Dakota, verbracht hatte.

Er lenkte den Wagen, den sie am Flughafen gemietet hatten, auf den Parkplatz der Lodge. Dieser war nur halbherzig geräumt, und das große Ortsschild, das den Ferienort ankündigte, lag halb verdeckt unter Schneeverwehungen. Insgesamt standen drei Autos auf dem Parkplatz. Eines war ein Streifenwagen der Polizei. Agent Pendergast, der auf dem Beifahrersitz saß, löste den Sicherheitsgurt. »Wollen wir?«

Coldmoon stieg aus, an die eiskalte Luft. 20 Grad unter null, die Windkälte nicht eingerechnet.

Auf dem Flug am Morgen von Miami hierherauf hatten sie wenig gesprochen, und auf der Fahrt vom Flughafen noch weniger. Coldmoon brachte Pendergast auf den neuesten Stand bezüglich seiner Aktivitäten in der vorherigen Nacht – ein Thema, bei dem er nicht besonders gern verweilte. Pendergast seinerseits schilderte kurz, wie er ein zusätzliches halbes Dutzend von Elise Baxters Bekannten und Kolleginnen in Miami und Umgebung ausfindig gemacht hatte. Alle Leute, die er angerufen hatte, hatten Elise Baxter als eine ruhige junge Frau in Erinnerung, deren Selbstmord sie völlig überrascht hatte.

Auf dem tückisch glatten Fußweg gingen sie zum Eingang der Lodge. Pendergast war in einen Parka eingemummelt, in dem er aussah wie das Michelin-Männchen. Coldmoon erkannte den Mantel – ein Canada Goose Snow Mantra, mit Eiderdaunen gestopft und einer mit Kojotenpelz gefütterten Kapuze. Er galt als der wärmste Mantel der Welt und kostete mehr als fünfzehnhundert Dollar. Wo hatte Pendergast in Miami derart schnell einen solchen Parka aufgetrieben? Coldmoon für seinen Teil fühlte sich total wohl in der einundzwanzig Jahre alten Daunenjacke von Walmart, die blank gewetzt und vom häufigen Tragen verschossen und an einigen Stellen mit Klebeband geflickt war.

Als hätte Pendergast seine Gedanken gelesen, drehte er sich zu ihm; sein Gesicht in der voluminösen Kapuze war dabei kaum zu erkennen. »Sie sind die Kälte gewohnt, nehme ich an?«

Coldmoon zuckte nur mit den Achseln.

»Sie sollten wirklich in eine von diesen investieren.« Pendergast tätschelte seine Reflektorweste. »Äußerst beliebt unter Südpol-Forschern. Selbst ich bin mit der Anzahl der Taschen sehr zufrieden.«

Pendergast trat einen Schritt vor und zog die Eingangstür auf. Von drinnen wehte ihnen ein warmer Luftzug entgegen. Sie betraten eine dunkle Eingangshalle, in der jedes Möbelstück – selbst der Empfangstresen – mit Tüchern bedeckt war. Es roch nach Sägemehl und Mottenkugeln. Der Eingangsbereich war groß, wie Coldmoon auffiel, aber die Lodge hatte – nach den bestoßenen Rahmen der Landschaftsbilder an den Wänden und dem etwas abgewetzten Teppichboden zu urteilen – schon bessere Zeiten gesehen. Aus einer offenen Tür hinter dem Empfangstresen drang ein leises Gespräch.