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Als sie die Eingangstür hinter sich schlossen, verstummte die Unterhaltung abrupt. Kurz darauf traten drei Personen aus dem Hinterzimmer. Bei der ersten Person handelte es sich um einen übergewichtigen Endfünfziger, er trug eine rote Strickjacke und eine abgetragene Cordhose. Bei der zweiten um eine ungefähr gleichaltrige Frau, sie war so knochig wie der Mann dick und hatte drahtige Unterarme. Ihr Kleid war wie das eines Zimmermädchens geschnitten. Als Letzter erschien ein Polizist in Uniform, kahlköpfig und sehr klein, mit einem braunen Umschlag in einer Hand.

Der Mann und die Frau lächelten die Neuankömmlinge ein wenig unsicher an. Der Polizist nickte nur.

»Horace Young?«, sagte Pendergast, dessen Stimme aufgrund der voluminösen Parkakapuze ein wenig gedämpft klang. »Carol Young?« Er trat einen Schritt vor und zog sich einen der großen Fäustlinge von der Hand, die er ausstreckte. »Special Agent Pendergast, und das ist mein Partner, Special Agent Coldmoon.«

Sie schüttelten ihm die Hand. Dann zog Pendergast am Reißverschluss seiner Kapuze, schob sie nach hinten und wandte sich dem Polizisten zu. »Und Sie sind –?«

»Sergeant Waintree.« Der Cop warf einen Blick in Richtung Coldmoon. »Ich habe gestern Nachmittag mit Agent, ähm, Coldmoon telefoniert.«

»Vielen Dank an Sie alle, dass Sie sich so kurzfristig Zeit genommen haben.« Pendergast blickte sich in der Lobby um. »Wie ich sehe, erwarten Sie keine Gäste.«

»Wir nutzen den Winter, um die Lodge auf Vordermann zu bringen«, erklärte Horace.

Obwohl es in der Lobby sehr warm war, hatte Pendergast, wie Coldmoon bemerkte, den Reißverschluss seines Parkas nicht geöffnet.

»Nun, wir wollen Ihre Zeit nicht länger als nötig in Anspruch nehmen. Wenn Sie bitte die anderen holen – wir fangen sofort an.«

»Es gibt keine anderen«, erwiderte Horace.

Pendergast blickte in Richtung Coldmoon.

Sergeant Waintree beantwortete die unausgesprochene Frage. »Ihr Partner hier hat mich gebeten, alle zu versammeln, die in der Lodge gearbeitet haben, als Frau Baxter sich das Leben nahm.«

»Nur die Youngs?«, fragte Pendergast. »Und das Personal? Die Köche und Kellner?«

Die Frau antwortete. »Bolton – er war zu der Zeit unser Koch – hat vor Jahren eine neue Stelle in einem Ferienort in North Carolina angenommen. Donna und Mattie – soll heißen, die Kellnerinnen – sind beide in Rente. Sind irgendwohin zu ihren Kindern gezogen, soweit ich weiß.«

»Der Hausmeister?«

Mr Young verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Willy ist im vorletzten Jahr verstorben. Der Krebs hat ihn erwischt.«

»Zimmermädchen?«

»Ich war die Hausdame«, sagte die Frau. »Bevor ich Mr Young geheiratet habe.« Sie lächelte kokett.

Coldmoon blickte auf den sehnigen Hals der Frau. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund musste er an eine Möwe denken.

»Unser Hauptgeschäft haben wir im Sommer und Herbst«, sagte Young an Pendergast gewandt. »Wanderer, Vogelbeobachter, Naturliebhaber, Leute, die im Herbst die Laubfärbung fotografieren. Im Winter und Frühling haben wir geschlossen. Es ist schwierig, Fachpersonal für einen Teilzeitjob zu finden. Normalerweise kommen wir mit Studenten gut über die Runden. Sind gar nicht so schlecht, wenn man sie erst einmal angelernt hat. Manche bleiben nur einen Sommer, andere zwei, drei.«

»Das Geschäft ist auch ein bisschen zurückgegangen«, sagte die Frau. »Die Flüge nach Europa sind heutzutage ja so billig.«

Sollte Pendergast von der mageren Ausbeute enttäuscht sein, so war das nicht gleich zu erkennen. »Verstehe«, sagte er mit leisem Lächeln. »Also, wenn Sie nichts dagegen haben, könnten wir mit den Büchern anfangen?«

Die Youngs tauschten Blicke. »Gerne«, sagte Mr Young. »Leider sind die Reservierungsbücher vor einigen Jahren bei einem Feuer verloren gegangen. Außer alten Computerdateien ist nur sehr wenig übrig geblieben.« Er tippte auf einen Stapel mit Ausdrucken.

Pendergast hob die Brauen. »Was für ein Feuer denn?«

»Ein Fettbrand, der in der Küche begonnen hat. Wir haben ihn zwar schnell unter Kontrolle gebracht, aber die alten Akten lagerten im Schuppen neben der Küchenentlüftung und sind verbrannt.«

»Und Sie?« Pendergast drehte sich zu dem Polizisten um.

Der Polizist hielt ihm die Mappe hin. »Hier ist die Fallakte. Vernehmungen, Fotos und der Rest.«

In der folgenden halben Stunde sahen Pendergast und Coldmoon die Unterlagen des Hotels durch, so, wie sie waren, für den zweimonatigen Zeitraum um den Selbstmord von Elise Baxter herum. Pendergast dokumentierte jede Seite mit der Kamera seines Mobiltelefons. Die Youngs warteten in der Nähe und beantworteten, falls nötig, Fragen. Ihre Mienen spiegelten Neugier, gemischt mit einer Art peinlicher Verlegenheit. Sergeant Waintree schaute aus der Ferne zu, die Arme gefaltet, nichts beitragend. Coldmoon kam er vor wie ein typischer Mainer, vom Charakter her in sich zurückgezogen, unabhängig, schweigsam. Obendrein war er misstrauisch und ein wenig abwehrend – allerdings nicht ganz zu Unrecht, wenn man bedachte, wie dünn die Akte der Polizei war. Coldmoon wusste, dass Selbstmorde häufig kaum Beachtung fanden, aber selbst daran gemessen schien es, als hätte man in der kleinen, unterbesetzten Dienststelle hier nur das absolute Minimum getan.

Pendergast begann, Fragen an die Inhaber zu stellen. Beide erinnerten sich an die Nacht, in der Elise Baxter starb, wenn auch nur vage und nur, weil es sich um einen Selbstmord handelte. Die Immobilienmaklerinnen und Immobilienmakler von The Sun and Shore hatten sich am Ende der Saison im kleinen Speisesaal der Lodge zu einer Dinnerparty zusammengefunden. Soweit die Youngs wussten, hatten sich die Gäste gut amüsiert. Keiner der Eheleute erinnerte sich an etwas Außergewöhnliches – keine Streitereien, keine erhobenen Stimmen – außer wenn jemand lachte. Niemand schien betrunken gewesen zu sein. Keiner der beiden erinnerte sich, Elise Baxter gesehen zu haben, aber es gab ja auch keinen Grund, warum ihnen die Frau hätte auffallen sollen.

An den darauffolgenden Morgen dagegen konnte sich Carol Young noch sehr deutlich erinnern. Sie war das Zimmermädchen gewesen, das den Leichnam entdeckte, er hing von der Stange des Duschvorhangs im Bad. Die Frau war offenkundig tot, die Augen standen weit offen, die Zunge ragte aus dem Mund. Carol stieß einen spitzen Schrei aus, dann wurde sie ohnmächtig. Der Schrei alarmierte mehrere in der Nähe befindliche Gäste. Horace Young war so geistesgegenwärtig gewesen – nachdem er gesehen hatte, dass Elise Baxter tot war –, die Tür abzuschließen und nichts anzurühren, bis die Polizei eintraf.

An diesem Punkt des Gesprächs übernahm Sergeant Waintree. Als Erste seien ein Streifenpolizist – inzwischen im Ruhestand und wohnhaft in Arizona – sowie ein Krankenwagenfahrer, der erst einige Monate zuvor bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, in der Lodge angekommen. Als Nächstes sei ein kleines Team der Kriminaltechnik eingetroffen, das den Leichnam von der Stange abnahm, eine erste forensische Bewertung durchführte, Proben nahm, Fotos – jetzt in Coldmoons Besitz – machte und den Leichnam der Gerichtsmedizin übergab. Der Rechtsmediziner lebe noch in der Gegend, praktiziere nicht mehr, wohne aber weiter unten an der Küste in einer Stadt namens Balliol.

»Waren Sie schon damals bei der Polizei hier?«, fragte Coldmoon Waintree, während er den Ordner mit den Unterlagen aufklappte.

Der Polizist nickte. »Ja.«

»Waren Sie Mitglied des Ermittlungsteams?«

»Da war nicht viel zu ermitteln. Wir sind allerdings alle Details durchgegangen.«

»Zum Beispiel?«, fragte Pendergast und warf einen Blick in den Ordner, den Coldmoon gerade durchblätterte.

»Niemand hat irgendetwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört. Einige von den Gästen in den umgebenden Zimmern sowie das Personal, das an jenem Abend Dienst hatte, sind vernommen worden. Wie auch ein paar Kolleginnen der Verstorbenen.«