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»Die haben alle geschlossen, fürchte ich. Die Skiläufer sind alle drüben in der Nähe von Big Squaw. Sie werden im Umkreis von einer Autostunde keine Unterkunft finden, die offen hat.«

»Und sie fanden keine Unterkunft«, murmelte Pendergast, als sie das Badezimmer verließen.

»Es gibt da noch das Lowly Mackerel«, sagte Sergeant Waintree.

»Genau!«, sagte Young. »Das hält doch das ganze Jahr über ein paar Zimmer offen, oder? Ich habe mich immer gewundert, warum.«

»Das Motel liegt kurz vor Millinocket«, sagte Waintree, drehte sich um und ging zur Tür, dann blieb er stehen. »Zum Abendessen können Sie sich auf dem Weg dahin etwas im SaveMart besorgen.«

»Restaurants haben auch keine geöffnet?«, fragte Coldmoon. Aber Waintree war bereits den beiden Inhabern auf den Flur gefolgt und nicht mehr zu sehen.

»Es wundert mich gar nicht, dass die hier ein Opioidproblem haben«, sagte Pendergast halblaut. Und dann rieb er sich die Hände und startete die penibelste Untersuchung, die Coldmoon je im Leben gesehen hatte. Mithilfe eines Vergrößerungsglases inspizierte Pendergast die Ränder des Teppichbodens vom einen Ende des Zimmers zum anderen; er nahm das Telefon wie auch das Radio auseinander und untersuchte deren Innenleben; er strich mit einem winzigen Kamm mit ultrafeinen Zinken über die Montagewinkel der Duschvorhangstange im Bad. Hin und wieder erschienen wie von Zauberhand kleine Plastikumschläge aus den unzähligen Taschen seines Parkas, dann wieder hob er mit einer Juwelierpinzette irgendeinen Gegenstand auf, tat ihn in den Umschlag, steckte diesen ein und fuhr fort.

Zunehmend verwundert schaute Coldmoon eine Zeit lang zu, bis er schließlich sagte: »Der Besitzer hat doch gesagt, dass das Zimmer renoviert wurde. Und Elise Baxter hat hier vor über elf Jahren Selbstmord begangen. Hunderte Gäste haben seitdem dieses Zimmer benutzt.«

Während Coldmoon das sagte, hatte Pendergast ein kleines Multiwerkzeug aus seinem Parka gezaubert und schraubte eine Lüftungsklappe der Heizung unten an der Wand ab. »Sie haben ganz recht«, sagte er. »Und dennoch –«, er leuchtete mit einer Taschenlampe in die Verrohrung, die er gerade eben freigelegt hatte, griff erneut nach der Pinzette und entfernte irgendetwas, das an einem kleinen metallenen Grat hing. »Elise Baxter hat sich in diesem Zimmer aufgehalten. Und sie hat sich hier das Leben genommen.«

»Was genau hoffen Sie denn zu finden? Haben Sie die Hoffnung, dass sie aus dem Wanagi Tacanku zu Ihnen spricht?«

»Das ist eine Möglichkeit.« Pendergast stand auf und staubte sich die Kleidung ab. »Agent Coldmoon, wie Ihnen sicherlich aufgefallen ist, ist die Akte, die wir erhalten haben, so gut wie wertlos. Ohne das Hotelregister, in dem steht, wer sonst noch am Tag des Suizids hier gewohnt hat, haben wir herzlich wenig, mit dem wir etwas anfangen können. Und deshalb bin ich sehr daran interessiert, alles in diesem Zimmer zu sammeln, was ich nur kann – wenn es denn hier überhaupt etwas zu sammeln gibt. Aber sicherlich würden Sie Ihre Zeit gern auf andere Art und Weise verbringen. Wollen wir uns in der Lobby treffen?«

Er zuckte mit den Achseln. »Kein Problem.« Und damit verließ er umstandslos das Zimmer.

Coldmoon war solche Warterei schon lange gewohnt: in der Beschwerdekammer der Einwanderungsbehörde und bei den Stammesgerichten, auf dem Exerzierplatz in der FBI-Basis in Quantico, in zivilen Fahrzeugen des FBI. Mittlerweile gefiel ihm das. Außerdem hatte er den größten Teil der vorherigen Nacht wach gelegen und war deshalb ziemlich müde. Als er sah, dass die Lobby wie ausgestorben war, zog er das Tuch von einem der Sofas – trotz der bevorstehenden Renovierungsarbeiten waren keine Handwerker vor Ort –, nahm sich von einem Tisch in der Nähe ein paar Zeitschriften und nahm Platz, um zu lesen.

Irgendwann später wachte er auf. Die Wanduhr zeigte zehn vor drei. Die Lobby war so leer, wie sie es gewesen war, als er das erste Mal dorthin zurückgekehrt war. Von Horace oder Carol Young keine Spur. Er horchte. Es war grabesstill in der Lodge. Was machte Pendergast bloß?

Coldmoon legte die Magazine auf den Tisch zurück, stand auf und ging über den mit Teppichboden ausgelegten Flur zum ehemaligen Zimmer von Elise Baxter. Die Tür, die er hatte offen stehen lassen, war geschlossen. Coldmoon trat darauf zu, dann blieb er stehen und lauschte. Aus dem Zimmer drang kein Laut.

Die Schlösser zu den Zimmern funktionierten nicht mit magnetischen Türkarten, sondern mit altmodischen Schlüsseln. Leise ging Coldmoon in die Hocke und spähte durch das offene Schlüsselloch.

Zunächst konnte er gar nichts erkennen. Dann aber sah er Pendergast. Er lag auf dem Bett, immer noch im Parka, die Hände auf der Brust verschränkt. Die Fotos, die Sergeant Waintree mitgebracht hatte, lagen auf dem Bett um ihn herum, fast wie Opfergaben um einen Götzen. Er hielt irgendetwas in der Hand: ein Goldkettchen, daran ein Medaillon, dessen Details Coldmoon nicht erkennen konnte.

Einen Moment lang fragte er sich, ob der Leiter der Ermittlungen wohl einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten hatte. Dann aber sah er, dass Pendergasts Brust sich hob und senkte, in kaum wahrnehmbarem, aber regelmäßigem Rhythmus. Pendergast musste wohl schlafen, auch wenn das Coldmoon unwahrscheinlich erschien – nicht einmal Schlafende lagen derart still da.

Coldmoon beobachtete Pendergast noch einen Augenblick länger durchs Schlüsselloch. Dann richtete er sich auf, drehte sich um und ging in die Lobby zurück.

10

Jenny Rosen ging hinter ihren Freundinnen Beth und Megan um die Ecke der Seventh Street auf den Ocean Drive. Dann blieb sie stehen. Vor ihr erstreckte sich ein endloses Babylon. Die Begegnung mit der schillernden Art-déco-Meile war in etwa so, als bekäme man einen Schuss Adrenalin direkt in den zentralen Kortex: eine überwältigende und scheinbar undurchdringliche Mauer aus konkurrierenden Backbeats, Wolken von Parfüm, vermischt mit dem Geruch von gegrilltem Fisch, Auspuffgasen und in Mojo mariniertem Fleisch, dazu hin und wieder einen Anflug von Marihuana. Und die Lichter erst – weiße LED-Leuchtketten, die sich an jedem Palmenstamm emporringelten, knallbunte Neon-Leuchtreklamen in den Fenstern der Tattoostudios und der Geschäfte für Strandbekleidung. Und dazu – mindestens ein Dutzend Häuserblocks weit von jedem Vordach und jedem Schild flackernd – ein Durcheinander von Strahlern und Stroboskoplichtern und mehrfarbigen Lasern, die hin und her schwenkten und wie verrückt um Aufmerksamkeit wetteiferten.

»Na, kommt schon«, rief Beth über das Geschrei und Gelächter der Massen hinweg, die den Bürgersteig entlangströmten. »Es ist gleich da vorne.«

Jenny und Megan folgten Beth, die sich durch die Menschenmassen schlängelte, besser gesagt: drängelte. Die meisten Leute waren jung, in Jennys Alter oder ein paar Jahre älter, sie zogen an ihren E-Zigaretten und schrien einander irgendwas durch das Stimmengewirr zu, wobei die eine Hälfte betrunken und die andere halb high war. Jenny war schon durch ziemlich viele trendige Viertel gelaufen – die Lower East Side, den Mission District in San Francisco, Venice und Silver Lake in Los Angeles –, aber noch nie hatte sie ein derart buntes Völkchen von Hipstern, Punks, Cybergoths, Gangbangern, Surfern, Losern, Stonern, Posern und den zahllosen Unterarten gesehen, die sich alle zu einer einzigen wogenden Masse vermischten.

Jenny und Megan eilten an einer Shisha-Bar vorbei, einer schmalen Service-Gasse, dann einem hell erleuchteten Ladengeschäft, das trendige Sonnenbrillen verkaufte, und gaben ihr Bestes, mit Beths Tempo mitzuhalten. Wie üblich hatte Beth das Kommando übernommen und spielte den Kontrollfreak. Nur weil sie im nahe gelegenen Georgia wohnte und zwei Jahre zuvor »Ewigkeiten« in Miami verbracht hatte – in Wirklichkeit nur ein Jahr –, hatte sie sich die Rolle der erfahrenen Klubbesucherin angemaßt, die ihre beiden Freundinnen unter die Fittiche nahm, und versprochen, ihnen einen erinnerungswürdigen Abend zu bieten.