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Jetzt schlossen die beiden zu Beth auf, die stehen geblieben war, die Hände in die Hüften stemmte und auf eine der wenigen Ladenfronten blickte, deren metallene Rollläden heruntergelassen waren. »Ach du Sch… Das hier ist der Klub, von dem ich euch erzählt hab. Ich fasse es nicht, dass er geschlossen ist. Vielleicht sind die ja in was Größeres umgezogen.« Und dann zog sie ihr Handy aus der Handtasche und tippte auf dem Bildschirm herum, wobei sie selbstvergessen mal nach links, dann nach rechts auswich, während sich gleichzeitig die Menschenmassen an ihr vorbeidrängten.

Jenny zog am Ausschnitt ihres Tops. Es war erst Ende März, aber schon jetzt war es in Miami unglaublich schwül, und dieses Gedränge, diese heißen, klebrigen Leiber machten alles nur noch schlimmer. Wenn sie ihren Willen bekommen hätte, wären sie in einen Laden wie das LIV gegangen – immer noch einer der Top-Megaklubs im Land, von Miami Beach ganz zu schweigen –, doch Beth war knapp bei Kasse und hatte keine Lust, Geld für die Tischbedienung auszugeben. Außerdem (und das war das Entscheidende) war das LIV nicht Beths Idee gewesen. Und Beths Idee – so wie sie vorgeschlagen hatte, dieses abgerockte, komisch riechende Airbnb-Apartment zu buchen, das Kilometer weg von irgendwo lag – war es auch gewesen, ein Dutzend Häuserblocks weit über die Washington zu laufen, nur um sich unterwegs dann an mehrere angeblich fantastische Bars zu erinnern, von denen sich alle als zu teuer oder zu langweilig oder beides herausstellten. Trotzdem hatten sie in jedem Laden was getrunken: Tequilasunrises für Megan, irgendein Fruchtcocktail für Beth. Jenny, die nicht besonders auf Alkohol stand, hatte bei jedem Stopp Wodka mit Cranberrysaft bestellt. Jetzt steckte Beth das Handy wieder ein und setzte sich in Bewegung. »Komm schon, Meg«, rief sie nach hinten. »Jen-Mädel.«

Jenny widerstand der Regung, Megan einen Blick zuzuwerfen. Das wäre nicht smart. Megan war Beths beste Freundin, und das schon seit zwei Jahren, seit dem zweiten Studienjahr am Macalester. Megan hatte sogar beschlossen, einen in etwa ähnlichen Berufsweg einzuschlagen. Beth hoffte, ihren Master in Kommunikationswissenschaften zu machen, mit dem Hauptfach »Bürgerschaftliches Engagement«. Megan redete davon, einen Abschluss in Soziologie anzustreben, mit dem Schwerpunkt »Beziehungen zwischen den Ethnien«. Jenny selbst hatte Überlegungen angestellt, in die medizinische Forschung zu gehen, doch nach einem Semester Organische Chemie war sie davon geheilt. Jetzt ging ihr Studium stattdessen so in die Richtung, einen Master in Töpferkunst zu machen.

Jenny drängte sich ein bisschen missmutig durch die Menschenmenge. Wegen des ständigen Geschreis rings um sie herum hatte sie Kopfschmerzen – die drei Drinks, die sie intus hatte, hatten ihr Übriges getan.

Sie kamen am Colony Hotel vorbei, dessen weiß-blaue Art-déco-Fassade im künstlichen Licht erstrahlte, und gingen weiter Richtung Norden. Wir sind, dachte Jenny, schon ein komisches Trio. Wobei sie sich im Klaren darüber war – auch wenn ihr das niemand ins Gesicht gesagt hätte –, dass sie eigentlich nicht dazugehörte. Aber sie schloss eben nicht so schnell Freundschaften und hatte schon zu viel Zeit in Beth und Meg investiert, als dass sie die Beziehungen so einfach abbrechen wollte. Und das war auch der Grund, weshalb sie sich den beiden anderen, die ihre Aufnahmegespräche an der University of Miami Graduate School führten – Reisespesen wurden bezahlt –, übers Wochenende angeschlossen hatte. Und obwohl Jenny das nicht gern zeigte, stellte in ihrer Familie Geld kein Problem dar, weswegen sie das Flugticket auch selbst bezahlt hatte. Nicht, dass sie besonders scharf darauf war, Miami Beach kennenzulernen, aber sie hatte auch keinen Bock, ein langes Wochenende allein in ihrem Einzelzimmer im Studentenwohnheim zu verbringen. Und wer weiß? Vielleicht machte das Ganze ja doch Spaß. Womöglich führte sich Beth nicht so herrisch auf wie sonst. Vielleicht würde sie sich tatsächlich gut amüsieren, würde es ein stressfreier Wochenendtrip werden.

Jaja. Wer’s glaubt …

Sie überquerten die Straße und gingen an mehreren Restaurants vorbei, eins nach dem anderen nach dem anderen. Vor allen standen verführerische Schönheiten in Bikinis und grölende Schlepper, die ihr Bestes gaben, die Touristen auf eine Mahlzeit in die Lokale zu locken. Dann bog Beth plötzlich in Richtung einer doppelflügeligen, von Schwarzlicht eingerahmten Tür ab, in deren Nähe ein Türsteher in Lederklamotten stand. Beth blickte ganz aufgeregt zu ihnen zurück.

»Auf geht’s!«, rief sie, während der Mann ihren Ausweis überprüfte.

Sichtlich begeistert drängelte sich Megan, den Ausweis schon gezückt, durch die Menge. »Komm schon, Jen-Mädel!«, rief Beth und gestikulierte wie wild.

Jenny konnte es nicht ausstehen, »Jen-Mädel« genannt zu werden, doch tapfer folgte sie ihren Freundinnen in den Klub. Sie erhaschte gerade noch einen kurzen Blick auf das angestrahlte Schild über der Tür: ELECTRIC OCEAN.

Drinnen war es wahnsinnig dunkel, und es kam ihr vor, als würde der pulsierende Beat der Merengue-Platten, die ein DJ auflegte, die Luft nahezu vibrieren lassen. Nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erblickte Jenny in der Mitte des Raums eine große Tanzfläche. An der Wand links Sitzgruppen, vor der Wand rechts ein langer Bartresen. Beth und Megan hatten sich bereits auf die überfüllte Tanzfläche begeben. Jenny ging zu ihnen, drehte dann aber plötzlich ab und steuerte auf die Bar zu. Sie hatte schon einen kleinen Glimmer, aber wenn sie tanzen wollte, musste sie sich noch ein bisschen mehr Mut antrinken.

Der Barkeeper nahm ihren Zwanziger entgegen, schob ihr einen großen Wodka mit Cranberrysaft hin, legte dann fünf Einer auf die Theke. Jenny lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen, nippte an ihrem Drink und beobachtete die schemenhaften Gestalten der Tanzenden, während diese in den flackernden Lichtstrahlen ins Blickfeld gerieten, dann wieder verschwanden. Ihre Freundinnen in der tanzenden Menge hatte sie aus den Augen verloren.

Beinahe ohne dass sie es richtig mitbekam, hatte der Barkeeper ihr leeres Glas abgeräumt und es durch ein volles ersetzt. Verdammt, die wollen einen hier echt abfüllen. Sie kramte noch einen Zwanziger hervor und reichte dem Barkeeper den Geldschein. Irgendwas, das noch lauter war als die Musik, drang an ihr Ohr. Sie blickte zur Seite und sah einen hageren Typ mit Kinnbart in Post-Punk-Outfit, der sie anschrie.

Sie drehte sich ihm zu. »Was?«

»Ich hab gesagt, bist du ein Knöllchen«, brüllte er zurück.

»Knöllchen? Was redest du denn da?«

»Weil ich werd dich nämlich nicht bezahlen!« Er lachte wie irre, mit weit aufgerissenen Augen. Er war derart zappelig, dass der Martini in seiner Hand überschwappte. Selbst in dieser Schummerbeleuchtung sah Jenny, dass seine Pupillen stecknadelgroß waren. Und ich hab gedacht, dass die Typen in Minneapolis-Saint Paul Langweiler sind. Das Letzte, was sie momentan wollte, war, von einem Widerling angemacht zu werden.

Sie trank aus und verließ den Bartresen. In der vage sichtbaren mittleren Distanz, erhellt von kurzen, flackernden Lichtimpulsen, war eine von blauen Neonröhren gesäumte Treppe zu sehen, auf der Leute in einem steten Strom hinauf- und heruntergingen. Der Fiesling fing schon wieder an, ihr irgendwas hinterherzurufen, und um von ihm wegzukommen, drängelte sich Jenny zur Treppe hinüber und stieg sie hoch. Oben angekommen, fand sie sich vor einer zweiten Tanzfläche wieder, die genauso dunkel war, aber anstatt von Salsa-Rhythmen war die Luft von Techno-House erfüllt. Sie näherte sich der Tanzfläche, blieb am Rand stehen und überlegte, ob sie mittanzen und versuchen sollte, mit irgendwem Augenkontakt aufzunehmen. Allerdings fühlte sie sich nicht besonders gut. Es kam ihr vor, als würde der Tanzboden unter dem Gestampfe von Hunderten Partypeople ein bisschen schwanken, aber dann spürte sie, dass sie schwankte. Fünf Drinks, das lag weit über ihrem üblichen Limit – und die letzten beiden hier waren scheißstark gewesen.