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Man hörte ein Rascheln, Notebooks wurden hervorgeholt und Tablets hochgefahren. Jetzt kam der entscheidende Punkt.

»Unsere psychologische Analyse legt nahe, dass Brokenhearts, allen anderslautenden oberflächlichen Eindrücken zum Trotz, ein höchst planvoll agierender Mörder ist. Er wählt den Ort aus, nicht die Opfer. Er wartet an dem Ort, nachdem er seine Taten vorher detailliert geplant hat. Um die Identifizierung durch etwaige Überwachungskameras zu erschweren, sucht er sich Bereiche aus, in denen viele Menschen kommen und gehen. Wenn dann ein Opfer an dem Ort eintrifft, führt er die vorher ausgearbeitete Straftat bemerkenswert kühn aus. Er ist selbstbewusst genug, in stark frequentierten Gegenden seine Morde zu begehen und größere Entfernungen zum Ort zurückzulegen, an dem er das Herz abzulegen beabsichtigt.

Der Mord wird schnell ausgeführt, mittels zweier unterschiedlicher Werkzeuge mit Klingen. Die Kehle wird durchtrennt, das Brustbein gespalten, das Herz von den Arterien abgetrennt – alles mit einem erstaunlichen Mangel an Zögerlichkeit. Das bedeutet, dass er die Tat geübt hat.

Derartige Mörder bezeichnen wir als den ›Ritualistischen Typus‹. Das Motiv beinhaltet in aller Regel eine religiöse Fixierung, oftmals an den Teufel, Satan, Gott oder Jesus. Vermutlich ist der Mörder schizophren, hört Stimmen, die er so deutet, dass sie zu einer guten oder bösen Gottheit gehören, welche ihn zu einer speziellen Tat drängt. Der Mörder leidet unter Größenwahn, was seine Stellung in der Gesellschaft betrifft, und fühlt sich daher gezwungen, bestimmte Taten auszuführen. Er ist fast ausnahmslos körperlich gesund und, in diesem Fall, aller Wahrscheinlichkeit höchstens fünfundzwanzig. Er ist männlich. Entgegen der landläufigen Meinung hat er die Kontrolle über seine Taten. Er leidet nicht unter dem Zwang, die Morde ausführen zu müssen. Er begeht sie willentlich und könnte damit aufhören, wenn er einen Grund dafür findet.« Der Mann schob seine Brille die Nase hoch. »Der Mörder verwendet jedes Mal dieselben Werkzeuge, die er sorgsam hütet, wenn sie nicht in Gebrauch sind. Zwar sind die Opfer weiblich, es finden sich aber keine Hinweise darauf, dass die Morde mit dem Ziel der libidinösen Befriedigung begangen wurden.«

Nach dieser Aussage entstand ein kurzes Schweigen.

»Es gibt weitere Eigenschaften, auf die wir schließen können. Er lebt allein. Er hat keine Freundin beziehungsweise Sexualpartnerin, höchstwahrscheinlich keine Vorstrafen. Seinen Nachbarn erscheint er mehr oder weniger normal. Auffällig ist, dass Mörder dieses Typus in ihrer Kindheit beinahe immer schwerem Missbrauch ausgesetzt waren – sexuellem, seelischem und/oder körperlichem –, begangen von einem nahen Verwandten, in der Regel dem Vater. Ein deutliches Charakteristikum seiner Vorgeschichte ist zudem das Verlassenwerden durch die Mutter. Mitunter stammt der Mörder aus einer ungewöhnlich strengen religiösen oder sektenhaften Familie, in der es zu gewalttätigen, ritualähnlichen Handlungen kommt, die mit großer Präzision ausgeführt werden müssen – und bei deren Nichtbefolgung eine Bestrafung droht. Die Morde wiederholen dann diese frühen Erfahrungen.«

»Zudem blühen solche Mörder nicht selten geradezu auf, wenn man ihnen Aufmerksamkeit schenkt«, fügte Pickett hinzu, »wir sollten ihm diese also vorenthalten. Es ist schon schlimm genug, dass erste Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind, wonach der Mörder die Herzen auf den Gräbern von Selbstmörderinnen zurücklässt. Zwar bin ich mir nicht ganz sicher, aber wir glauben, dass wir das Informationsleck dem Friedhofsaufseher der Stadt Miami zu verdanken haben. Halten wir weitere Details also unter dem Deckel, den Inhalt der Briefe des Mörders, seinen Namen, alles.«

»Ich stimme Ihnen zu.« Dr. Mars hielt kurz inne und blickte eulenhaft in die Runde. »Also – hat jemand noch Fragen?«

Pendergast meldete sich zu Wort. »Ist es üblich, dass ein Mörder wie dieser für gewöhnlich zwei Waffen verwendet?«

»Nein.«

»Das habe ich mir gedacht. Unser Mörder schleicht sich zunächst von hinten an sein Opfer an und durchtrennt ihm die Kehle – und zwar recht ›fachmännisch‹, um sicherzustellen, dass es zu einem schnellen Tod durch Ausbluten kommt –, dann entnimmt er das Herz, dessen Besitz sein primäres Ziel zu sein scheint.«

»Das passt ins Profil«, sagte Dr. Mars.

»Könnten Sie einmal darüber spekulieren, warum der Mörder seinem Opfer das Herz nicht einfach aus dem Brustkorb entnimmt? Warum vergeudet er Zeit damit, ihm die Kehle durchzuschneiden?«

Es entstand eine Pause. »Vielleicht, um es zum Schweigen zu bringen«, sagte Dr. Mars schließlich.

»Es gibt andere Möglichkeiten, dafür zu sorgen, ohne sich diese zusätzliche Arbeit zu machen und sich dem zusätzlichen Risiko auszusetzen, das mit dem Einsatz zweier Waffen einhergeht. Könnte es nicht sein, dass der Mörder – der, und da dürften wir wohl übereinstimmen, mehr daran interessiert ist, das Herz zu erhalten, als daran, einen Mord zu begehen – versucht, dem Opfer möglichst wenig Leid zuzufügen?«

»Das würde nicht ins gängige Profil passen.«

»Aber würden Sie mir beipflichten, dass dies der Fall sein könnte?«

Dr. Mars runzelte die Stirn. »Ja. Also, wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben –«

»Nur noch eins«, unterbrach ihn Pendergast in höflichem Ton. »ADC Pickett erwähnte vorhin den selbst gewählten Spitznamen des Mörders: Mister Brokenhearts. Das scheint auf eine Verbindung mit dem Roman von Nathanael West, Miss Lonelyhearts, vielleicht auch die Seufzerspalten in gewissen Zeitungen hinzudeuten. Haben Sie diesen Zusammenhang untersucht?«

»Ähm, ich kenne den Roman nicht.«

»Sie wären gut beraten, sich damit vertraut zu machen. Der Roman handelt von der Entfremdung in der modernen Welt … und von einem Mord. Die Romanfigur der Miss Lonelyhearts, bei der es sich im Übrigen um einen Mann handelt, wird von einem Leiden geplagt, dem sie sich zwar nur allzu bewusst ist, das sie aber offenbar nicht lindern kann.«

»Der Roman befindet sich nicht in unserer Datenbank.«

Pendergast gefiel diese Antwort offenbar gar nicht, denn er fixierte Mars mit funkelndem Blick. »Es gibt viele Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich nicht in Ihrer Datenbank befinden, Dr. Mars.«

»Ich bezweifle, dass unser Mörder ein großer Leser ist«, sagte Pickett verärgert.

»Im Gegenteil, in seinem ersten Brief hat er T. S. Eliot zitiert und im zweiten Shakespeare paraphrasiert.«

»Okay, gut, die Verhaltensanalytiker werden sich darum kümmern. Gibt es weitere Fragen oder Anmerkungen?«

Die Diskussion setzte sich noch eine Zeit lang fort. Coldmoon beteiligte sich nicht daran. Er hasste Meetings wie dieses, auf denen die Anwesenden das Wort ergriffen, aber nicht, um Informationen auszutauschen, sondern um ihre Vorgesetzten zu beeindrucken oder sich selber reden zu hören.

Schließlich erhob sich Pickett von seinem Stuhl. »Wenn es nicht noch etwas anderes gibt –?«, sagte er in einem Ton, der signalisierte, dass die Sitzung beendet war.

»Nur noch eine Kleinigkeit«, meldete sich Pendergast und hob einen Finger.

Coldmoon spürte eine Art Adrenalinkick. In Pendergasts freundlichem Tonfall lag etwas, das er allmählich zu erkennen begann – eine gelegentlich aufkommende, geheime Unterströmung von Kampfeslust.