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»Ja?«

»Ich beantrage hiermit, die Leiche von Agatha Flayley exhumieren zu dürfen.«

»Das haben wir mit Blick auf Baxter bereits erörtert«, sagte Pickett. »Welchem Zweck soll das denn dienen? Es handelt sich hier um einen klaren Fall, der elf Jahre zurückliegt … und der sich viele Bundesstaaten entfernt zugetragen hat.«

»Ich würde aber trotzdem gern eine Obduktion durchführen lassen.«

»Darf ich Sie daran erinnern, dass die Leiche schon einmal obduziert wurde – so, wie es bei Selbstmorden üblich ist?«

»Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ich habe mir das Gutachten des Rechtsmediziners bezüglich Ms Flayley angesehen. Und es ist ebenso vage und wenig hilfreich wie das der Obduktion von Elise Baxter.«

Pickett seufzte. »Und was genau hoffen Sie zu finden?«

»Ich bin mir nicht sicher. Und genau deshalb möchte ich noch mal genauer hinschauen. Die sterblichen Überreste sind leicht zugänglich. Diesmal scheint es auch keine Angehörigen zu geben, die Einspruch dagegen erheben könnten.«

Als Pickett zu Coldmoon sah, dachte der einen unbehaglichen Moment lang, er könnte nach seiner Meinung gefragt werden. Aber das wäre offensichtlich unangemessen, weswegen Pickett schließlich sagte: »Also gut, Agent Pendergast – wenn Sie unbedingt wollen. Und weil Sie in diesem Fall der leitende Agent sind, werde ich Ihnen die Genehmigung erteilen.«

»Verbindlichsten Dank«, sagte Pendergast. »Noch dankbarer wäre ich Ihnen allerdings, wenn die Obduktion zum frühestmöglichen Zeitpunkt durchgeführt werden könnte.«

16

Pickett hielt Wort. Zum frühestmöglichen Zeitpunkt bedeutete, wie Coldmoon belustigt feststellte, mitten in derselben Nacht. Pickett hatte das Ganze, da war sich Coldmoon ziemlich sicher, so geregelt, dass es maximal lästig fiel. Doch sollte Pendergast sich darüber ärgern, so ließ er es sich nicht anmerken. Ja, mehr noch: Er schien sich ganz im Gegenteil darüber zu freuen – wenn man denn so etwas von einem derart sphinxartigen Mann überhaupt behaupten konnte. Die Friedhofsmitarbeiter dagegen waren völlig genervt, und als man sich vor dem Mausoleum versammelte, verspürte Coldmoon eine Kühle, die vermutlich wenig mit der Nachtluft zu tun hatte.

»Eine wunderschöne Nacht«, sagte Pendergast. »Welch beeindruckendes Firmament. Der Sternenhimmel hier erscheint näher als in New York, wie ich nicht zum ersten Mal bemerke.«

Pendergasts Verzückung en miniature erstaunte Coldmoon. Der Himmel hatte aufgeklart, und obwohl der Mond schien und die Stadt sie umgab, zeigte sich dort oben in der Tat ein riesiger Dom mitternächtlicher Sterne. Und noch während Coldmoon zum Himmel blickte, zog eine Sternschnuppe durch die Finsternis. Als er ein Junge war, hatte ihm seine Großmutter erklärt, dass ein Mensch bei der Geburt von Wakan Tanka den Lebensatem erhalte, der nach seinem Tod als Lichtblitz zur Welt der Geister zurückfliege. Vielleicht war diese wichahpi, die da am Nachthimmel entlangflitzte, ja Jennifer Rosen, deren Lebensatem in die Ewigkeit zurückkehrte.

Der Friedhofsdirektor höchstselbst war zugegen, um das Ganze zu überwachen, ein kugelrunder Mann mit Grübchen in den Wangen und geschürzten Lippen, gerahmt von Hängebacken. Den Namen hatte Coldmoon nicht ganz verstanden, aber er hörte sich irgendwie wie »Fatterhead« an. Ein Gerät zum Transport von Särgen war bis zur Tür des Mausoleums geschoben worden, konnte jedoch aufgrund der kurzen Treppe aus Granitstufen nicht reinfahren. Insgesamt vier Mitarbeiter sollten den Sarg mittels Segeltuch-Bandschlingen aus dem Schiebegrab ziehen, ihn hinaustragen und auf den Transportkarren setzen. Auf der schmalen Friedhofsstraße stand ein Krankenwagen, der die sterblichen Überreste in die Rechtsmedizin bringen sollte. Das Scheinwerferlicht tauchte die Wandfächer mit den Särgen in lange Schatten.

»Nun denn«, sagte Fatterhead, »fangen wir an.«

Die Arbeiter drängten sich in das Mausoleum und stellten sich vor dem dunklen Wandfach auf. Coldmoon und Pendergast blieben draußen stehen. Das Pendelherz war entfernt worden. Der vorn am Sarg sichtbare Messinggriff wurde nicht verwendet, stattdessen setzten die Arbeiter eine lange Stange ein und legten einen der Segeltuchgurte um das Sargende. Dann hoben die Männer den Sarg ein wenig an, worauf dieser teilweise herausglitt. Ein zweiter Segeltuchgurt wurde unter den Sarg geschlungen, dieser noch rund einen Meter weiter herausgezogen, dann wurde ein weiterer Gurt unter den Sarg platziert, und so weiter, bis sich schließlich nur noch dessen hinteres Ende im Wandfach befand.

»Sieht so aus, als würden die Jungs das nicht zum ersten Mal machen«, sagte Coldmoon halblaut.

Als der hintere Teil des Sargs herausglitt, ächzten alle vier Arbeiter, zwei auf jeder Seite, unter dem Gewicht. Ihre Muskeln spannten sich unter den T-Shirts. Jetzt, da der Sarg vollständig sichtbar war, erkannte Coldmoon, dass es sich – obwohl er vergleichsweise neu war – um ein Wrack handelte. Wegen der Dachleckage hatte es vermutlich immer wieder auf den Sarg herabgetropft, sodass das Holz aufgequollen war. Die Scharniere und Messingbeschläge waren abgeplatzt, an der Rückseite war das Holz erheblich verfault.

Mit einer geübten Bewegung schwenkten die vier Männer den Sarg herum. Nach einer Pause machten alle gleichzeitig einen Schritt, dann noch einen, und trugen den Sarg auf den Schultern zur Tür – so, als ob sie an einem Begräbniszug teilnähmen.

Während der Sarg aus der Tür des Mausoleums herausgetragen wurde, bereiteten sich die Arbeiter darauf vor, die kurze Steintreppe bis aufs Bodenniveau hinunterzusteigen. Als die führenden Männer den ersten Schritt machten, hörte man ein Geräusch wie Papier, das zerdrückt wird, und plötzlich erschien im verfaulten Abschnitt des Sargs ein senkrechter Riss. Der Sarg hing in der Mitte durch.

»Vorsichtig!«, rief der Direktor. »Festhalten!«

Die Männer blieben stehen, ihre Gesichter schweißbedeckt. Unheil verkündend, während ein bröckelndes Geräusch zu hören war, verlief der Riss an der Unterseite des Sargs entlang und auf der anderen Seite wieder hinauf.

»Schnell! Noch einen Gurt um die Mitte!«, rief der Direktor, während weitere Arbeiter herbeigeeilt kamen. Doch es war zu spät. Die Sarghälften brachen in der Mitte entzwei, und aus dem breiter werdenden Spalt begann etwas hervorzuschauen – die Bauchregion einer Leiche.

»Den Spalt schließen!«, kreischte Fatterhead.

Doch die beiden Sarghälften hatten eine Art Eigenleben entwickelt. Denn jetzt schwangen sie auf, ähnlich wie ein Schokoriegel, der entzweigebrochen wird. Und dann brach auch die Leiche entzwei, glitt in einer Wolke aus morscher Seide und vermoderter Kleidung aus dem Sarg und prallte mit einem hohlen Laut auf den feuchten Boden. Die Leiche, durchfeuchtet nach der jahrzehntelangen Leckage, war die einer Frau mit braunen Haaren, die etwas trug, das ein schwarzes Kleid mit Perlenkette gewesen sein konnte.

Coldmoon war echt geschockt. Er war erzogen worden, größten Respekt vor den Toten zu haben.

»Verdammte Sch…!«, schrie Fatterhead, während alle anderen entsetzt und fasziniert auf den Sarg starrten.

Schweigen. Schließlich hatte sich der Direktor wieder gefasst und sagte, ruhiger jetzt: »Bitte holen Sie das Leichentuch und betten Sie die sterblichen Überreste der Toten darin um.«

Die Arbeiter nahmen den Leichensack, der auf dem Karren gelegen hatte, und legten ihn parallel zum Leichnam aus. Gemeinsam, die Hände unter den sterblichen Überresten, lagerten sie anschließend die beiden Teile auf den Leichensack um, zogen den Reißverschluss zu und legten den Sack auf den Sargkarren.

»Was sollen wir mit dem Sarg machen?«, fragte einer der Arbeiter.

»Den holen wir später ab«, sagte Fatterhead. Er wandte sich Pendergast zu. »Es tut mir sehr leid, Sir. Das ist das allererste Mal … außergewöhnliche Umstände …«, stammelte er und rang die Hände.