Coldmoon bewegte sich unruhig auf dem Bett. »Darf ich fragen, warum, Sir?«
»Ich dachte, wir hätten das besprochen, als Sie einwilligten, sein Partner zu sein. Ich werde es unterbinden, bevor es geschieht.«
»Selbst dann, wenn es – was immer es ist – der Ermittlung helfen könnte?«
»Was der Ermittlung helfen wird, das ist, Dinge zu erreichen. Wir wissen beide, wenn man sich bei Pendergast einer Sache sicher sein kann, dann, dass er sich in irgendwelchen sinnlosen Unternehmungen verheddert, Zeit verplempert und alle Beteiligten schlecht aussehen lässt. Und das sind Sie und ich, Agent Coldmoon. Sie sehen doch selbst, was bei dem Trip nach Maine herausgekommen ist.«
»Ja, Sir.«
Pickett hatte, was untypisch für ihn war, die Stimme gehoben. »Ich will ganz ehrlich zu Ihnen sein. Die Wahrheit lautet: Pendergast ist eine Schlange im Garten. Meinem Garten. Ich habe schon einmal erlebt, wie er mit Vorgesetzten umgesprungen ist.« Plötzlich hielt er inne, so, als wollte er nichts Falsches sagen, und es entstand eine kurze Stille, ehe er leiser weiterredete. »Hier beim FBI machen wir alles nach Vorschrift, weil wir auf diese Weise die Täter zu fassen bekommen und unsere Handlungsweise vor Gericht Bestand hat. Wir schützen uns, unsere Ermittlungen und unsere Beweisketten, und wir wahren unseren Ruf, integer zu sein. Und deshalb müssen Sie Ihren Partner genau im Auge behalten und mich benachrichtigen, sobald er anfängt, auf Abwege zu geraten.«
Coldmoon runzelte die Stirn. »Ich bin kein Spitzel, Sir.«
»Ach, um Himmels willen, darum hat Sie doch niemand gebeten.« Pickett sprach jetzt wieder lauter. »Es geht hier darum, dass wir nicht von unserer Erfolgsmethode abweichen. Wir haben darüber gesprochen – schon vergessen? Weder Sie noch ich wollen, dass uns dieser Fall aufgrund widersetzlichen oder unethischen Vorgehens seitens Ihres Partners um die Ohren fliegt. Dieser Fall ist wichtig für meine und Ihre Karriere. Pendergast ist wie eine Bombe, die nur darauf wartet, hochzugehen, und es ist Ihre Aufgabe, sie zu entschärfen. Das hat nichts mit Verpfeifen zu tun.«
»Ja, Sir.«
»Gut.« Pickett senkte die Stimme. »Hören Sie zu. Sie sind ein vielversprechender Agent. Sie haben es bereits weit gebracht, obwohl die Chancen verdammt schlecht standen. Ich bewundere Ihren Ehrgeiz. Und obwohl ich es nicht ausdrücklich sagen sollte – Sie haben hier mehr zu verlieren als alle anderen. Verstehen Sie mich, Agent Coldmoon?«
»Ja, Sir.«
»Dann will ich Ihren Abend nicht noch weiter stören. Ich erwarte, in Kürze von Ihnen zu hören.«
Ein leises Klicken, dann war die Leitung unterbrochen. Coldmoon griff nach der Fernbedienung und widmete sich erneut dem Fernsehprogramm. Mist, er hatte die Folge schon mal gesehen – die, in der Rob Petrie die Nacht in einer von Geistern bewohnten Hütte verbringt.
Seufzend und einen Fluch murmelnd, fing er an, durch die Fernsehkanäle zu zappen.
23
Sie können mich hier absetzen«, sagte Misty Carpenter, beugte sich etwas vor und legte die Hand auf die Kopfstütze des Beifahrersitzes. Während das Uber-Taxi rechts ranfuhr, sah sie im Rückspiegel, dass die Nasenflügel des Fahrers sich ein wenig blähten, als er ihr Parfüm roch.
Sie stieg aus und betrat den Bürgersteig. Dabei legte sie ihr Handy zurück in die Handtasche von Miu Miu, die sie über der Schulter trug. Der schwarze Wagen fuhr langsam vom Bordstein an und fädelte sich in den Verkehr auf der Collins Avenue Richtung Süden ein. Einen Moment lang blieb Misty stehen und atmete die wohltuende Nachtluft ein. Links verlief die breite Avenue mit ihrer Reihe von Luxushotels und Hochhäusern mit Eigentumswohnungen, alles in sanfte Pastelltöne getaucht. Rechts, hinter einem dunklen Grasstreifen, lag der Indian Creek, die kleine Bucht mit ihren Jachten und Superjachten, die still im ruhigen Wasser lagen. Einfach nur ein perfekter Abend in Miami Beach.
Misty ging den Bürgersteig entlang. Dabei war sie sich der Enge ihres Cocktailkleids bewusst, dem leisen Klicken ihrer Sandaletten von Louboutin auf dem Beton. Harry, das wusste sie, gefiel dieses Kleid ganz besonders gut.
»Harry«, das war Harold Lawrence III., vormaliger Vorstandschef der größten Privatbank in Bezirk Palm Beach und Eigner der 40-Meter-Motorjacht Liquidity. Selbst heute noch, da er in der Vorstandsetage nicht mehr den Ton angab, nannten ihn alle »Sir« oder »Mr Lawrence«. Soll heißen, alle außer Misty. Misty redete ihre Kunden mit Vornamen an.
Nicht, dass sie in deren Anwesenheit das Wort »Kunden« in den Mund nahm. Das würde ja bedeuten, dass es mehr als einen gab. Misty wollte, dass jeder ihrer besonderen Freunde glaubte, er sei ihr einziger besonderer Freund. Was ja beinahe stimmte. Sie beschränkte ihre Aufmerksamkeit auf eine ausgewählte Gruppe von weniger als einem Dutzend kultivierter und reicher Leute, von denen die meisten, aber nicht alle, betagt waren. Was alle gemeinsam hatten, war, dass sie Mistys seltene Mischung aus Schönheit, Eleganz, Einfühlungsvermögen und jugendlicher Belesenheit sehr zu schätzen wussten.
Eine Zeit lang ging sie langsamer und blickte dabei zum Indian Creek. Dabei hob sie ein wenig mürrisch die perfekt gezupften Augenbrauen. Sie war zu früh aus dem Uber ausgestiegen. Das hier war das Viertel mit den billigen Liegeplätzen. Die Jachten hier waren alle miteinander vertäut, sie lagen mit dem Heck zum Ufer, eng an eng, wie schwimmende Brownstone-Häuser. Die größeren Boote wie die Liquidity lagen unmittelbar dahinter, parallel zum Pier festgemacht.
Sie sah auf die Uhr: Viertel nach neun. Harry wartete bestimmt schon auf sie, saß im Salon, die Flasche seines bevorzugten alten Champagners in einem Kühler voll Eis neben sich. Wahrscheinlich würden sie an Bord essen – zu dieser Jahreszeit zog er das vor –, möglicherweise war er auch ein klein bisschen melancholisch. Denn fast auf den Tag genau vor einem Jahr war seine Frau an Krebs gestorben. Es war natürlich Mistys Aufgabe, ihm zu helfen, darüber hinwegzukommen, ihn mit ihrem funkelnden Geist und Witz zum Lachen zu bringen, ihn in Gespräche zu verwickeln über die Themen, die ihm am meisten Freude bereiteten. Für drei oder vier Stunden würde sie dafür sorgen, dass er seinen Kummer und seine Einsamkeit vergaß. Und dann würde sie gehen – und am nächsten Morgen würden auf ihr Bankkonto fünftausend Dollar überwiesen werden.
Misty – tatsächlich Louisa May Abernathy aus Point of Rocks, Montana, beide Eltern verstorben – hatte etwas, was sie für eine einzigartige Berufung hielt, die aber nichts mit Sex zu tun hatte – zumindest jetzt nicht mehr, wo sie die Liste ausgewählter besonderer Freunde geschlossen hatte. Denn eines stand fest: Weil sie keine neuen Kunden mehr annahm, bestand auch keine Notwendigkeit mehr, ihre Identität oder ihr Vorleben zu überprüfen oder sich an Recherche-Agenturen wie das P411 zu wenden. Misty bot eine lobens- und ehrenwerte Dienstleistung an. Die äußerst lukrativ war. Und vermutlich sogar legal.
Sie ging weiter. Dabei klackerten ihre High Heels auf den dunklen Flächen zwischen den Straßenlaternen. Pulks von Autos fuhren an, wenn die Ampeln umsprangen, mal war es belebt auf der Straße, dann wieder ganz ruhig. Die Lichter der Hotels warfen trübe, vielfarbige Schatten auf die Palmen, den Indian Creek selbst und – auf der anderen Seite – den Pinetree Park. Sie hatte jetzt die regulären Liegeplätze passiert, gleich müsste etwas weiter vorn der elegante Umriss der Liquidity ins Blickfeld kommen.
Misty wunderte sich, wie viele der Jachten dunkel waren und anscheinend unbewohnt, nicht mal die Crew war an Bord, so, als wären die Boote nichts als extravagante Kunstobjekte, die lediglich ausgestellt werden sollten. Die Szenerie, deren Dunkelheit ein wenig durchbrochen wurde vom Licht, das aus dem Osten dort hineinfiel, ließ sie unweigerlich an Magrittes Serie von Ölgemälden L’Empire des lumières denken.