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»Und wer hat Ihnen die Genehmigung erteilt, eine derartige Entscheidung zu treffen? Wir dürfen in diesem Fall weder Unerfahrenheit noch Fehlern Raum geben.« Er drehte sich zu einem der Gehilfen um und deutete gleichzeitig zur Videokamera. »Ich übernehme. Kamera läuft?«

»Ja, Dr. Moberly.«

»Gut. Charlotte, Sie dürfen hierbleiben und zuschauen. Es dürfte eine wertvolle Lernerfahrung für Sie werden.«

Fauchets Miene zeigte, dass sie ganz und gar nicht glücklich über diese Entwicklung war. Sie zog ihren Atemschutz herunter, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und besann sich offenbar eines Besseren, dann trat sie zurück und setzte den Mundschutz wieder auf.

»Schere, bitte.«

Einer der Sektionsgehilfen reichte dem Chef die Schere.

»Entschuldigung, Dr. Moberly?«, sagte Pendergast mit leiser Stimme.

Coldmoon sträubten sich die Nackenhaare. Da war es wieder, dieses Etwas in Pendergasts Tonfall, das er schon einmal gehört hatte – nur war es jetzt noch bedrohlicher.

»Ja, Agent Pendergast?«, sagte Moberly nach hinten über die Schulter.

»Legen Sie die Instrumente beiseite, drehen Sie sich um und schauen Sie mich an.«

Diese Anweisung wurde zwar leise und sanft erteilt, doch sie klang überhaupt nicht angenehm.

Moberly richtete sich auf und wandte sich um, seine Miene verriet Verständnislosigkeit. »Wie bitte?«

»Dr. Fauchet wird die Obduktion durchführen. Sie dürfen bleiben und zusehen. Vielleicht werden dann ja Sie diese als wertvolle Lernerfahrung betrachten.«

Moberly starrte ihn noch etwas länger an, wurde rot im Gesicht, verarbeitete den Affront.

Pendergast fixierte den Blick aus seinen funkelnden Augen auf den Leiter der Gerichtsmedizin. »Ich habe Dr. Fauchet gebeten, diese forensische Autopsie durchzuführen, und das wird sie auch tun.«

»Das ist empörend«, sagte Moberly mit erhobener Stimme. »Wie können Sie es wagen, in meinem rechtsmedizinischen Institut Befehle zu erteilen?«

Eine Pause. Dann fragte Pendergast: »Dr. Moberly, wollen Sie wirklich, dass ich diese Frage beantworte?«

»Was soll das heißen?«, erwiderte er wütend. »Soll das eine Drohung sein? Aber Pickett hat mich ja vor Ihnen gewarnt. Für wen halten Sie sich eigentlich?«

»Ich bin FBI-Agent mit Zugang zu ausgezeichneten Ressourcen.«

»Das interessiert mich nicht die Bohne. Verlassen Sie meinen Obduktionssaal.«

»Ich habe diese Ressourcen genutzt, um Ihre Vergangenheit zu durchleuchten. Die – wie soll ich das sagen? – durchwachsen ist.«

Er machte eine Pause. Moberly sah ihn entgeistert an, wie erstarrt.

»Zum Beispiel wurde Ihre Obduktion aus dem Jahr 2008 an der sechzehnjährigen Ana Gutierrez, in der Sie feststellten, dass diese nach einer Blutinfektion verstarb, von einer gerichtlich angeordneten Autopsie verworfen, die nachwies, dass die junge Frau einer Vergewaltigung mit Strangulierung zum Opfer fiel. Oder Ihre Obduktion aus dem Jahr 2010 der acht Monate alten Gretchen Worley, in der Sie zu dem Schluss kamen, dass sie an Schütteltrauma verstarb, obwohl sie –«

»Das reicht«, sagte Moberly mit hochrotem Kopf. »Jeder Rechtsmediziner macht mal Fehler.«

»Ach ja?«, sagte Pendergast, weiterhin in freundlichem Ton. »Ihrer Personalakte hier in Miami entnehme ich, dass Sie in Ihrem Bewerbungsschreiben für die Stelle des Leiters der Abteilung für forensische Pathologie verschwiegen haben, dass Sie 1993 in Indianapolis entlassen wurden.«

Schweigen.

»Entlassen, könnte ich hinzufügen, nachdem Sie festgenommen und verurteilt worden waren wegen Trunkenheit am Steuer … auf dem Weg zum Arbeitsplatz.«

Die Stille, die folgte, war elektrisierend.

»Da ist natürlich noch mehr«, sagte Pendergast ganz leise. »Soll ich fortfahren?«

Die unerträgliche Stille setzte sich einen Augenblick lang fort. Schließlich schüttelte Moberly nur den Kopf. Coldmoon, den diese plötzliche Wendung der Ereignisse verblüfft hatte, bemerkte, dass alle Farbe aus Moberlys Gesicht gewichen war. Der Blick des Arztes schwenkte zur oberen Ecke des RauMs Coldmoon folgte dem Blick und sah eine funkelnde Kameralinse.

»Ah!«, rief Pendergast. »Die Videokamera. Guter Himmel, wurde das, was ich soeben gesagt habe, auf Band festgehalten? Wie peinlich. Ich denke, die Angelegenheit wird offiziell untersucht werden müssen. Dr. Moberly, wir haben lange genug geplaudert. Sie möchten jetzt sicherlich gehen. Ihnen noch einen guten Morgen.«

Mit zittrigen Händen nahm Moberly langsam seinen Mundschutz ab und zog den Kittel aus, ließ beides in einen der Mülleimer fallen und ging zur Tür hinaus. Zischend schloss sich die Tür. Die beiden Sektionsgehilfen standen reglos und mit offenem Mund da. Keiner sprach ein Wort.

Schließlich sagte Coldmoon, den die jähe Wendung von Moberlys Kriegsglück noch immer fassungslos machte: »Ich glaub’s einfach nicht, wie Sie den Mann da eben fertiggemacht haben. Ich meine, er war sprachlos.«

»Wenn man eine Atombombe hochgehen lässt«, sagte Pendergast, »können die Schatten, die an den Wänden zurückbleiben, nur selten protestieren.« Er drehte sich zu Dr. Fauchet, die selber völlig verstört und geschockt wirkte. »Ich bedaure, mit diesem Drama Ihre Untersuchung unterbrochen zu haben. Bitte fahren Sie fort.«

Dr. Fauchet atmete tief durch, nahm wortlos die Instrumente zur Hand und machte sich an die Arbeit.

26

Die Leiche von Elise Baxter war sehr viel besser erhalten als die von Agatha Flayley, weshalb die Obduktion auch viel leichter auszuhalten war. Coldmoon ließ alles mit dem üblichen Stoizismus über sich ergehen, froh, dass er am Morgen nichts als den Camp-Kaffee zu sich genommen hatte. Fauchet ging äußerst vorsichtig vor, schien es, während sie ununterbrochen Kommentare in Richtung Videokamera sprach. Pendergast hingegen sagte weiter kein Wort. Schließlich war es zehn Uhr, und Fauchet arbeitete immer noch. Langsam zerlegte sie die Leiche, entfernte die Körperorgane und legte sie in Behälter. Es gab keine Überraschungen. Bei Baxter sah alles nach Suizid aus, so wie bei Flayley.

Kurz vor elf spürte Coldmoon, dass das Mobiltelefon in seiner Hosentasche vibrierte. Er zog es derart abrupt hervor, dass etliche Münzen zu Boden fielen. Pickett. Weil Fauchet ihnen eingeschärft hatte, in ihrem Beisein auf keinen Fall auf Telefonate zu reagieren, ging er leise in den Vorraum.

»Jaa?«

»Ich habe Pendergast auf dem Handy angerufen«, sagte Pickett. »Er geht nicht ran. Der Chef der Rechtsmedizin, Moberly, hat mir mitgeteilt, dass Pendergast gegen meine Anordnung die sterblichen Überreste von Baxter hat exhumieren lassen. Ich will mit Ihnen beiden reden, und zwar sofort.«

»Pendergast überwacht noch die Obduktion.«

»Coldmoon? Haben Sie nicht gehört, was ich gesagt habe?«

»Ich hole ihn.«

»Tun Sie das.«

»Einen Moment.«

Coldmoon ging zurück in den Obduktionssaal. Fauchet war dabei, die Obduktion zu beenden, sie sezierte gerade den Schulter- und Kopfbereich, während Pendergast ihr dabei genau zuschaute. Als Coldmoon ein Zeichen machte, kam Pendergast herüber, wenig begeistert.

»Agent Pickett ist am Telefon. Er will uns sprechen.«

Fast schien es, als wollte Pendergast sich weigern, dann aber nickte er. Sie gingen leise in den Vorraum, und Pendergast reichte Coldmoon die Münzen, die dieser im Obduktionssaal hatte fallen lassen.

»Hier, Ihre dreißig Silberlinge.«

Darauf gab Coldmoon keine Antwort. Er stellte das Handy auf laut.

»Agent Pendergast?«, ertönte Picketts Stimme. »Sind Sie da?«

»Ja.«

»Agent Coldmoon?«

»Ich auch.«

»Gut, dann passen Sie beide mal gut auf. SA Pendergast, wie ich höre, haben Sie die Exhumierung der sterblichen Überreste dieser Baxter autorisiert, einen Gerichtsbeschluss erwirkt und führen gerade eine Obduktion durch.«

»Das ist richtig.«

»Anstatt eine wertvolle Ermittlungsspur zu verfolgen, wie etwa den Mord an dem Callgirl – der auf der anderen Straßenseite, direkt vor Ihrem Hotel stattgefunden hat, wie ich höre –, haben Sie diese Obduktion entgegen meiner Anweisung beauftragt. Entgegen meiner direkten Anweisung.«