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Dass Bronner möglicherweise nicht mehr praktizierte, hatte Smithback nicht in Betracht gezogen. Die Klinik trug ja noch seinen Namen. Er war wie vor den Kopf geschlagen und überlegte angestrengt, was als Nächstes zu tun war.

»Mr Smithback? Bitte kommen Sie mit.«

Wenn Bronner im Ruhestand war, dann musste er diese ganze Theaternummer nicht durchziehen. Am besten, er machte, dass er schleunigst von hier verschwand. »Hm, wissen Sie was? Es geht mir schon viel besser.«

Das war offenbar ein schlechtes Zeichen, denn die Stimme der Schwester klang auf einmal sehr viel sanfter. »Ich finde, Sie sollten den Arzt auf der Stelle sehen. Das meine ich wirklich.«

O Gott. »Nein, nein. Mir geht’s bestens!« Smithback drehte sich um und flüchtete aus der Praxis. Die Schwester rief ihm noch irgendetwas hinterher, als er schon zur Tür hinauseilte und über den Parkplatz zu seinem Wagen spurtete.

Im Auto warf er einen Blick zurück. Niemand folgte ihm.

Gott sei Dank. Er zog sein Telefon hervor und machte schnell – indem er das Informationsportal seiner Zeitung nutzte – einen Dr. Peterson Bronner ausfindig. Aber der wohnte ganz unten in Key Largo, und es war schon spät am Tag – er würde also in einen mörderischen Verkehr geraten. Er konnte auch morgen früh dort hinfahren und den Doc in seiner Höhle aufsuchen. Wenn er im Ruhestand war, wäre er wahrscheinlich so alt, dass er gar nicht der Brokenhearts-Mörder sein konnte. Wie auch immer, Smithback war sich ziemlich sicher, dass ein freundlicher alter Psychiater es nicht mit ihm aufnehmen könnte. Er würde alles erfahren, was es zu erfahren gab – und dann, ganz vielleicht, die größte Story seines Lebens schreiben.

28

Assistant Director in Charge Walter Pickett trat aus dem Aufzug in die schwülwarme Luft in der Rooftop-Bar. Angesichts des Gesamtprofils dieses ultraluxuriösen Fünfsternehotels hatte er damit gerechnet, dass die Bar groß, laut und voller Touristen sein würde. Aber da hatte er sich getäuscht. Das Restaurant hatte am Abend geschlossen, an den von Kerzen erhellten Tischen, die gegenüber dem Bartresen aufgereiht standen, saßen nur wenige Gäste, und tief unten, hinter der niedrigen Balustrade aus Panzerglas am Rand des Gebäudes erstreckten sich die Lichter von Miami Beach und die dunkle Linie des Atlantiks.

Jenseits der Bar befand sich ein Swimmingpool, der, so wie der Rest der Dachterrasse, von Licht in gedämpften Blautönen erhellt wurde. Der Pool war leer und umgeben von luxuriös gepolsterten Liegestühlen mit dazugehörigen Einzeltischen und Sonnenschirmen. Da und dort spendeten diskret platzierte Petroleumfackeln ein gelborangefarbenes Licht. Fast alle Liegestühle waren frei. Pickett ging drei Viertel des Wegs um den Pool, ehe er bei Pendergast ankam.

Der Agent entspannte sich, die Rückenlehne war auf Liegeposition gestellt. Pickett – der Wert auf gute Kleidung legte, soweit sein Budget das erlaubte – fiel auf, dass Pendergast den schwarzen Anzug gegen einen aus reinweißem Leinen getauscht hatte und statt der maßgefertigten englischen Schuhe ein Paar italienischer Slipper trug. Es schien, als spiegelten das hellblonde Haar und die sehr dunkle Brille, die er trotz der späten Stunde trug, das blau-orangefarbene Licht, das der Pool und die Lampen verströmten.

Als Pendergast ihn kommen sah, stellte er die kleine Espresso-Tasse hin, richtete sich auf und sagte in völlig ausdrucklosem Ton: »Sir.«

Pickett hob eine Hand, womit er Pendergast zu verstehen gab, er solle sitzen bleiben. Gleichzeitig blickte er sich um und hockte sich dann auf die Kante des benachbarten Liegestuhls.

Seit er das Telefonat mit Coldmoon am Morgen unvermittelt beendet hatte, hatten sich Pickett und Pendergast nicht mehr gesprochen. Pickett wusste natürlich, was nach dem Anruf durchgesickert war. Auf dem Flug hinunter nach Miami hatte er sich so seine Gedanken gemacht. Und zwar nicht wenige.

»Ich musste einen späteren Flug nehmen«, erklärte Pickett seine Verspätung.

»Ich habe gern gewartet. Möchten Sie Kaffee – oder einen Digestif?«

Pickett schüttelte den Kopf, worauf Pendergast dem heraneilenden Kellner ein Zeichen gab, wieder zu gehen. »Ich nehme an, Sie haben mein Versetzungsschreiben mitgebracht.«

Pickett tätschelte die Innentasche seines Jacketts. »Coldmoons auch.«

»Ich muss gestehen, dass ich noch nie in Salt Lake City war. Ich verstehe gar nicht, warum ich die Stadt in all den Jahren nicht besucht habe.«

Darauf gab ihm Pickett keine Antwort.

Pendergast trank einen Schluck Espresso. »Darf ich das Schreiben einmal sehen? Ich vermute, Sie schließen die Namen der Agenten ein, die uns ersetzen. Sie wollen doch bestimmt, dass wir sie in unsere Ermittlungen einweisen.« Er streckte die Hand aus.

»Gleich«, sagte Pickett. »Ich würde Ihnen gerne eine hypothetische Frage stellen.«

»Das sind mir die liebsten.«

»Wie Sie wissen, sind Sie jetzt nicht mehr mit dem Fall befasst. Aber hypothetisch gefragt: Wenn ich Sie weiter ermitteln lassen würde, wie sähe dann Ihr nächster Schritt aus?«

Es schien, als ob Pendergast darüber nachdächte. »Ich würde mir die, ähm, Kundenliste der verstorbenen Ms Carpenter ansehen. Sie scheint einen Escort-Service der Extraklasse geführt zu haben – ich bin mir sicher, dass eine so intelligente Frau im Laufe ihrer Karriere in alle möglichen Arten von Geheimnissen eingeweiht war.«

»Die Polizei Miami tut das bereits – und das wissen Sie auch.«

Eine kurze Pause. »Danach würde ich weiter nach Gemeinsamkeiten zwischen den drei ermordeten Frauen suchen. Alle wurden nachts getötet, in belebten Gegenden. Warum ist der Mörder ein so hohes Risiko eingegangen? Die Sorgfalt, mit der die Morde geplant wurden, sowie die Grabbeigaben lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass der Mörder ans hintere Ende der Bellkurve planvoll handelnder Mörder eingeordnet werden sollte. Das scheint mir ein fruchtbarer Ansatz zu sein – wie heißt der Ausdruck noch mal? –, um Boden zu gewinnen.«

Pickett regte sich ungeduldig. »Verdammt, Pendergast. Ich bin kein Idiot, hören Sie also auf, mich wie einen zu behandeln. Das alles sind naheliegende Ermittlungsschritte. Ich will hier keinen Quatsch hören. Ich will wissen, was Sie untersuchen würden – wenn man Ihnen die Gelegenheit dazu böte.«

Die nächste Pause fiel sehr viel länger aus. Endlich nahm Pendergast die dunkle Brille ab, klappte sie zusammen und steckte sie in seine Jacketttasche. Jetzt waren es seine blassblauen Augen, in denen sich der Pool spiegelte. »Also gut. Es ist immer meine Überzeugung gewesen, dass die alten Selbstmorde und die neuen Morde auf fundamentale Weise zusammenhängen, und zwar jenseits dieses offensichtlichen Hinterlassens von ›Geschenken‹. Vielleicht hängen sie sogar historisch miteinander zusammen. Möglicherweise besteht zwischen dem Mörder, obwohl er noch jung ist, und diesen früheren Selbstmorden eine persönliche Verbindung. Von denen einer sich, wie wir jetzt wissen, als Mord erwiesen hat. Aus diesen Gründen würde ich meine Hauptanstrengung darauf richten, diese früheren Todesfälle zu untersuchen. So werden Sie am ehesten diese Person – oder Personen – aufspüren.«

Pickett runzelte die Stirn. »Aber die alten Selbstmorde scheinen auch nichts gemeinsam zu haben, außer dass die Frauen alle aus Miami stammten.«

»Ich wiederhole: Elise Baxter hat sich nicht umgebracht. Sie ist ermordet worden. Ein viel genauerer Blick auf die anderen beiden mutmaßlichen Selbstmorde ist daher angezeigt.«

Pickett seufzte verärgert. »Das setzt voraus, dass die Assistentin des Rechtsmediziners recht hat – vergessen Sie nicht, der Chef der Gerichtsmedizin war nur partiell an der Obduktion beteiligt.«

»Ich habe jeden Grund zu der Annahme, dass die Assistentin recht hat. Zudem vermute ich, dass es sich im Fall von Flayley und Adler ebenfalls um Mord handelt.«